Springe direkt zu Inhalt

Im kleinsten Bundesland die europäische Idee verwirklichen

In der saarländischen Landesvertretung in Berlin präsentierte der Linguist Philipp Krämer die Ergebnisse seiner Studie zur Frankreichstrategie des Saarlands

16.11.2017

Französisch schon im Kindergarten. Im Saarland soll bis zum Jahr 2043 neben der deutschen Sprache das Idiom des Nachbarlandes als zweite Verkehrs- und Umgangssprache etabliert werden.

Französisch schon im Kindergarten. Im Saarland soll bis zum Jahr 2043 neben der deutschen Sprache das Idiom des Nachbarlandes als zweite Verkehrs- und Umgangssprache etabliert werden.
Bildquelle: Rainer Jensen/dpa

Die Eindeutigkeit war selbst für den Initiator der Studie verblüffend: Die Mehrheit der saarländischen Bevölkerung will dem Französischen im Alltag einen größeren Stellenwert einräumen. Das wies der Sprachwissenschaftler und gebürtige Saarländer Philipp Krämer vom Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität im April in einer Onlinebefragung nach. Hintergrund ist die Initiative der dortigen Großen Koalition unter Annegret Kramp-Karrenbauer, die 2014 eine „Frankreichstrategie“ beschlossen hat. Demnach soll Französisch im Saarland bis 2043 als zweite Alltagssprache etabliert werden. Philipp Krämer und Annegret Kramp-Karrenbauer stellten die Initiative und Ergebnisse der Studie in der Saarländischen Landesvertretung in Berlin vor.

Das Saarland soll „mehrsprachiger“ werden

Rund 1400 Menschen hätten den Fragebogen zur Frankreichstrategie beantwortet, sagte Krämer in der Landesvertretung des Saarlandes vor vollbesetzten Reihen. Dabei habe sich die Einstellung der Befragten zum Französischen als überwiegend positiv erwiesen: Zweidrittel der Befragten bewerteten die Frankreichstrategie der Landesregierung mit „gut“ oder „eher gut“. Sie sieht vor, das Französische durch alle gesellschaftlichen Segmente hindurch weiter zu etablieren. Das Saarland sei zwar bereits mehrsprachig, solle aber „mehrsprachiger“ werden und somit im Rahmen eines europaweit einzigartigen Vorstoßes der europäischen Idee Rechnung tragen.

Phlipp Krämer, Linguist an der Freien Universität, stellte seine Studie in der saarländischen Landesvertretung vor.

Phlipp Krämer, Linguist an der Freien Universität, stellte seine Studie in der saarländischen Landesvertretung vor.
Bildquelle: Saarländische Landesvertretung

Diskussionsrunde mit Moritz Rödle (Saarländischer Rundfunk), Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und Philipp Krämer von der Freien Universität Berlin.

Diskussionsrunde mit Moritz Rödle (Saarländischer Rundfunk), Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und Philipp Krämer von der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Saarländische Landesvertretung

Die Lage „im Herzen Europas“ sei ein Alleinstellungsmerkmal ihres Bundeslandes, sagte Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer. In diesem Sinne sei es von besonderer Bedeutung, den europäischen Gedanken durch die aktive Etablierung von Mehrsprachigkeit vor Ort mit Leben zu füllen: „Das Ziel ist nicht nur Fremdsprachenunterricht, sondern das Eintauchen in eine andere Welt.“ Der Ausbau der Mehrsprachigkeit gehe dabei weit über die lokalen Interessen des Bundeslandes hinaus. Die Frankreichstrategie könne gleichsam als Modell für Mehrsprachigkeit weitere Initiativen anstoßen – etwa in der Grenzregion zu Polen.

Bilinguale Kindertagesstätten auch im Norden des Saarlands anbieten

Wie genau die Mehrsprachigkeit im Saarland in den kommenden Jahren vorangebracht werden soll, sei noch nicht abschließend entschieden, vielmehr würden stets neue Ideen gesammelt und niederschwellige Angebote gemacht. So wolle man etwa bilinguale Kindertagesstätten im Norden des Saarlandes stärker etablieren – in den grenznahen Regionen des Saarlandes gibt es diese bereits fast flächendeckend. Begrüßenswert wäre die Eröffnung eines digitalen Informationsportals, sagte Krämer, über das Interessierte Informationen zum derzeitigen Stand der Frankreichstrategie, zu den geplanten Maßnahmen und bisherigen Erfolgen finden könnten. Grenzüberschreitende Berufsausbildungen und zweisprachige Berufszentren seien bereits vielversprechende Einrichtungen, um die Mehrsprachigkeit in der Region zu fördern, so Kramp-Karrenbauer. „Das Ganze hat noch nicht die Dynamik, die es haben könnte“, räumte die Ministerpräsidentin ein, dennoch sei man zuversichtlich. „Wir wollen als Bundesland der Frankophonie beitreten.“

Zu anspruchsvoll für Kinder?

Trotz überwiegend positiver Rückmeldungen im Rahmen der Studie habe es auch skeptische Positionen gegeben, sagte Krämer. Während die Zustimmung in den Altersgruppen der unter 30- und über 50-Jährigen besonders hoch war, befürchteten vor allem Eltern die Überforderung ihres Nachwuchses. Traditionell gelte das Französische gegenüber dem Englischen als schwerer zu erlernende Fremdsprache. Auch zeigten sich in Hinblick auf die Zustimmung regionale Unterschiede: „Im Norden des Saarlandes fielen die Reaktionen skeptischer aus als in der Grenzregion.“

Die Frankreichstrategie betreffe nicht nur Kinder in Bildungseinrichtungen, vielmehr sei die Sprachkompetenz auch im Berufsleben von Erwachsenen wichtig, sagte Kramp-Karrenbauer. „Mehr als zwanzig Prozent der Kunden im Einzelhandel sind Franzosen, wir brauchen die Sprache also an jeder Ladenkasse.“ Obgleich Englisch lange Zeit als lingua franca des internationalen Handels und der Forschung unterstützt worden sei, werde ihr von der Bevölkerung nicht zwangsläufig der Vorzug gegeben. Es gehe hierbei nicht darum, eine Sprache gegen die andere auszuspielen, sondern beide Fremdsprachen als gleichrangig zu lehren und zu etablieren.

„Mein Minimalziel ist es, dass Franzosen und Deutsche in der Lage sind, sich im Alltag gegenseitig zu verstehen“, sagte Kramp-Karrenbauer. Es gelte nun, die bereits etablierten Maßnahmen weiter voranzubringen, wofür es vor allem dauerhafte, finanzielle Unterstützung brauche. „Ich freue mich über jedes gute Wort von Jean-Claude Juncker in der Europäischen Union“, sagte die Ministerpräsidentin – und fügte augenzwinkernd hinzu: „Aber noch mehr über Fördermittel.“