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Weniger Arten, weniger Land

Vor dem Internationalen Tag zur Verhinderung von Naturkatastrophen (13.10.) und der UN-Klimakonferenz (6.11.): Verhaltensbiologe Carsten Niemitz warnt vor dramatischen Entwicklungen beim Weltklima

02.10.2017

Auswirkungen von Hurricane Maria in Guadeloupe im September 2017.

Auswirkungen von Hurricane Maria in Guadeloupe im September 2017.
Bildquelle: Filo gèn' via Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Eigentlich beschäftigt sich Carsten Niemitz als Humanbiologe mit Evolutionstheorien und dem Verhalten von Arten. In den vergangenen zwei Jahren hat er jedoch über das eigene Fachgebiet hinausgeblickt und aktuelle Forschungsergebnisse aus der Klima-, Arten- und Meeresforschung und vielen anderen Gebieten ausgewertet, in denen sich Wissenschaftler mit dem Fortbestand der Erde auseinandersetzen. Eine einzelne wissenschaftliche Studie gebe nur ein sehr spezifisches Bild eines Bereichs wieder. „Mein Ziel war es, unterschiedliche Forschungsergebnisse aus vielen verschiedenen Bereichen zu einem Mosaik zusammenzusetzen“, sagt Niemitz. „Das so entstehende Bild kann einen größeren Blick ermöglichen, der umfassender ist als einzelne Teile.“ Das Bild, das Niemitz zusammengesetzt hat, ist dramatisch: „Es ist alarmierend, wie die Menschheit dabei ist, in immer schnellerem Tempo sich selbst abzuschaffen“, sagt Niemitz.

Besorgniserregende Entwicklungen gäbe es in vielen verschiedenen Bereichen. Ein Beispiel sei die Phosphor-Belastung der Meere. In der landwirtschaftlichen Produktion wird mit Nitrat oder Phosphat gedüngt. Phosphor findet durch die Erde seinen Weg ins Grundwasser, von dort gelangt er in Flüsse und Meere. Dort verändert er den pH-Wert, das Wasser wird saurer. Die Folge: Ruder- und Flügelschnecken, die im Atlantik und Pazifik eigentlich in riesigen Wolken vorkommen, sterben aus, bei Flügelschnecken greift das saurere Wasser die Konsistenz der Gehäuse an. „Die Schwärme verschwinden allmählich“, sagt Niemitz. Das wiederum sei ein Problem für andere Meeresbewohner wie Thunfische, Heringe und Makrelen, denn diesen komme eine wichtige Nahrungsgrundlage abhanden. „Diese Situation im Nordatlantik und Nordpazifik war so vor 15 Jahren noch nicht bekannt, es kommen also ständig neue Probleme hinzu.“

Humanbiologe Carsten Niemitz hat sich mit aktuellen Forschungsergebnissen aus der Klima-, Arten- und Meeresforschung auseianandergesetzt.

Humanbiologe Carsten Niemitz hat sich mit aktuellen Forschungsergebnissen aus der Klima-, Arten- und Meeresforschung auseianandergesetzt.
Bildquelle: Niemitz

Den Biodiversitätsverlust sieht Niemitz als weiteres großes Problem. „Wir machen uns täglich unser lebenserhaltendes Netz kaputt“, sagt der Forscher. „Jeden Tag verschwinden Arten, die wir nie kennengelernt haben.“ Eine Folge dieses Artensterbens könnte langfristig sein, dass wichtige Medikamente nicht mehr verfügbar sind. „Bei etwa einem Viertel aller rezeptpflichtigen Medikamente in deutschen Apotheken stammt die Ursubstanz aus tropischen Regenwäldern, etwa bei Medikamenten gegen Rheuma oder zur Stärkung des Immunsystems“, erklärt Niemitz.

Ein weiteres Problem sei die Fleischproduktion. Vier Kilo Fleischkonsum im Jahr seien für eine gesunde Ernährung ausreichend, in Deutschland liege der aktuelle Verbrauch aber bei 88 Kilo pro Verbraucher pro Jahr. „Ein Drittel der Weltgetreideproduktion wird für die Fleischproduktion verwendet, weil es als Tierfutter gebraucht wird. Ein Kilogramm Getreide ist notwendig, um weniger als 100 Gramm Fleisch zu produzieren“, sagt Niemitz, „dafür wird eine riesige Landfläche von 30 Millionen Quadratkilometern benötigt, das entspricht etwa der Größe von Afrika. Diese könnte man anders nutzen, denn Land ist bereits jetzt knapp.“ Aktuelle Entwicklungen verschlimmerten diese Situation eher, als dass sie sie verbesserten: Zwar sei der Fleischkonsum in Deutschland zuletzt leicht zurückgegangen, doch nehme in China mit zunehmendem Wohlstand auch der Fleischkonsum zu. „Das ist angesichts der hohen Bevölkerungszahl für den Planeten eine dramatische Entwicklung“, erklärt Niemitz.

Wie aber lassen sich die Probleme Niemitz zufolge in den Griff kriegen? Die Lösung, sagt der Wissenschaftler, könne nur global sein. Eine Vereinbarung wie das Klimaschutzabkommen von Paris hält er auch für andere Bereiche für erforderlich. „Das Thema ‚Klima‘ ist medial sehr präsent, aber es gäbe daneben viele andere Felder, auf denen etwas getan werden müsste.“ Das größte Problem sei die Bevölkerungsentwicklung, weitere Bereiche seien Biodiversität, Fleischkonsum, Landnutzung und Luftverschmutzung. „Für jedes dieser Themen bräuchte man ein eigenes Pariser Abkommen“, sagt der Biologe.