Kranksein als Teil des Lebens
26. Oktober: Ausstellung „SICK! Kranksein im Comic” und Konferenz (27. bis 29. Oktober) des interdisziplinären Forschungsprojekts PathoGraphics
24.10.2017
Wie lebt man mit Morbus Crohn oder Schizophrenie? Was empfindet man, wenn man einen Angehörigen beim Sterben begleitet? Wie beleuchtet die Literatur, im Speziellen Comics, Einschränkungen und das Erleben von Krankheit? Solchen Fragen geht das interdisziplinäre Forschungsprojekt PathoGraphics nach, das an der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien angesiedelt ist. Es richtet sich nicht nur an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus literaturwissenschaftlichen und medizinischen Fächern, sondern sucht auch die breite Öffentlichkeit. Nun lädt PathoGraphics zu einer Konferenz und zur Eröffnung der Ausstellung „SICK! Kranksein im Comic“ im Berliner Medizinhistorischen Museum (BMM) der Charité ein. Campus.leben im Gespräch mit Irmela Krüger-Fürhoff, Projektleiterin und Professorin für Neuere deutsche Literatur an der Freien Universität.
Frau Professorin Krüger-Fürhoff, PathoGraphics ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das neben der Forschung im klassischen Sinne nun auch eine allgemein zugängliche Ausstellung präsentiert. Wie kam es dazu, und was ist Ihr Anliegen?
Es geht bei PathoGraphics darum, disziplinäre Grenzen zu überwinden und auch jenseits des akademischen Kontextes ein breites Publikum anzusprechen – nicht zuletzt, weil wir früher oder später alle von Krankheit und Behinderung betroffen sind. Außerdem wollen wir nicht nur über literarische Texte und Comics forschen, sondern auch mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten.
Wir möchten also den Dialog zwischen Forschung, praktischer Medizin, Pflege, Künsten und Öffentlichkeit vorantreiben und haben das Glück, unsere Ausstellung „SICK! Kranksein im Comic“ zwischen den historischen Präparaten des Pathologen Rudolf Virchow zeigen zu können. Die Virchow-Präparate sind Zeugnisse krankhafter Veränderungen des menschlichen Körpers, der gewissermaßen in Einzelteile zerlegt worden ist. Diesem objektivierenden, pathologisierenden Blick stellen wir in der Ausstellung das persönliche und emotionale Erleben gegenüber, ergänzen mithilfe von Comics sozusagen die Geschichte des ganzen Menschen rund um die Diagnose. Wir wollen damit sichtbar machen, wie der oder die Einzelne mit Krankheit, Behinderung, Tod oder Heilung umgeht, und was das für die Gesellschaft bedeutet.
Was genau zeigt „SICK! Kranksein im Comic“?
Der Ausstellung ist ein internationaler „call for comics“ mit der Einladung vorausgegangen, auf einer Seite Erfahrungen mit Krankheit, Behinderung, Pflege darzustellen. Ausgewählt haben wir zehn Werke von Künstlerinnen und Künstlern aus acht verschiedenen Ländern – unter anderem aus Israel, Kanada, Portugal und den USA. Die Themen reichen dabei von Alzheimer, Demenz über Depression und Unfruchtbarkeit bis hin zur Pflege von Angehörigen und dem Burn-out Syndrom.
Eines meiner Lieblingsexponate, „Mein Ringen mit Morbus Crohn“ von Safdar Ahmed, zeigt sehr gut, wie vielschichtig das Erleben von Krankheit in der Kombination von Bild und Text dargestellt werden kann: Der Comic zeigt Abbildungen, die aus einem medizinischen Lehrbuch zu stammen scheinen, erzählt aber eben auch die persönliche Geschichte eines Mannes, der mit einer chronischen Erkrankung und deren Therapie leben muss, zum Beispiel mit einem künstlichen Darmausgang. Dieser künstliche Darmausgang wird als ein übellauniger und unflätig sprechender Geselle präsentiert, der dafür sorgen will, dass keine Frau sich in den Protagonisten verliebt. Der australische Künstler Ahmed zieht also ganz verschiedene Register, um uns mit der Krankheitsperspektive vertraut zu machen, durchaus mit schwarzem Humor. Der Schmerz wird zum Beispiel als Käsereibe in den Eingeweiden dargestellt.
Jeder ausgestellte Comic erzählt eine andere Geschichte und entwickelt dabei eine eigene ästhetische Handschrift. Zu den Exponaten werden wir im Rahmen von „SICK! Kranksein im Comic“ einen kostenlosen, zweisprachig gehaltenen Ausstellungskatalog auslegen. Bei der Vernissage am 26. Oktober gibt es zudem die Möglichkeit, gemeinsam mit der Kuratorin Uta Kornmeier durch die Schau zu gehen.
Neben der Ausstellung, die bis zum 4. März 2018 zu sehen sein wird, haben Sie auch eine internationale Konferenz organisiert, die ebenfalls im Medizinhistorischen Museum stattfindet. Worum geht es, und wer kann teilnehmen?
Die Konferenz „Stories of Illness/Disability in Literature and Comics” richtet sich an ein Fachpublikum aus unterschiedlichen Disziplinen, aber auch an Menschen mit medizinischem, pflegerischem oder künstlerischem Hintergrund. Die Vortragenden kommen etwa aus den Literatur- und Kulturwissenschaften, den Comic-Studien, Medienwissenschaften, Gesundheitswissenschaften, der Medizinethik und Kulturanthropologie sowie den Sozialwissenschaften.
Viele der Vorträge versuchen, literarische Texte und Comics gemeinsam in den Blick zu nehmen und eine interdisziplinäre Perspektive anzubieten. Da geht es zum Beispiel um die Darstellungsweise von Zeit, das Erleben von Schmerz, Fieber oder psychischen Grenzerfahrungen. Welche Impulse geben Literatur und Comics, um individuelle Krankengeschichten zu erzählen und sichtbar zu machen? Stellen sie dabei Alternativen zum ausgegrenzten oder zum ‚gefügigen Patienten‘ bereit? Wie gestalten literarische Texte und Comics solche Konzepte wie „ Behinderung“, „Heilung“ oder „chronisches Leiden“? Auch gesellschaftspolitische Aspekte im internationalen Kontext spielen eine wichtige Rolle. Weil Krankheiten je nach kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen ganz verschieden verhandelt werden, sind wir gespannt auf die Beiträge aus dem nordamerikanischen Raum sowie aus Süd-, Nord- und Osteuropa.
Beide großen Veranstaltungen sind möglich, weil das PathoGraphics-Projekt von der Einstein Stiftung Berlin und der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien großzügig unterstützt wird.
Die Fragen stellte Nora Lessing
Weitere Informationen
Ausstellung „SICK! Kranksein im Comic / Reclaimin illness through comics“
Zeit und Ort
- Vernissage: Donnerstag, 26. Oktober 2017, 18 Uhr (Eintritt frei)
- 27. Oktober bis 4. März 2018 zu den regulären Eintrittspreisen und Öffnungszeiten des Berliner Medizinhistorischen Museums (Dienstags bis Sonntag, 10-17 Uhr/ Mittwoch und Sonnabend 10-19 Uhr)
- Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité, Charitéplatz 1, 10117 Berlin
Ausstellungssprachen sind englisch und deutsch, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Zeit und Ort
- 27. bis 29. Oktober 2017, Beginn 9.30 Uhr
- Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité, Hörsaalruine, Charitéplatz 1, 10117 Berlin
Anmeldung unter alexandrahu@zedat.fu-berlin.de
Die Konferenz findet in englischer Sprache statt.