Die vielfältige Kunst des Mittelalters
20. bis 23. September: Beim IV. Internationalen Forum zur Kunst des Mittelalters richten Wissenschaftler aus vielen Teilen der Welt den Blick auf geografische und methodische Grenzbereiche der Mittelalterforschung
06.09.2017
Vielfalt Stein für Stein: Das Mosaik in der Kathedrale von Otranto in Apulien entstand um 1165. Es zeigt Szenen aus verschiedenen Religionen, Kulturen und Traditionen.
Bildquelle: Galatina : Congedo, 1980/ Aufnahme: Carl A. Willemsen
Wer sich heute auf die Spuren des Mittelalters begibt, gewinnt vor allem in Kirchen und Museen einen Eindruck von jener Epoche, die als aufklärerisch und düster gleichermaßen gilt. Die Kunstwerke des Mittelalters sind Gegenstand der Tagung „360° – Verortung, Entgrenzung, Globalisierung“. Das Forum ist eine Kooperation des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft e. V. mit den kunstgeschichtlichen Instituten der Humboldt-Universität und der Freien Universität Berlin sowie den Berliner Museen. Veranstaltungsorte sind neben den beiden Berliner Universitäten verschiedene Museen und die mittelalterliche Bischofsstadt Brandenburg an der Havel. Kunsthistoriker Christian Freigang von der Freien Universität organisiert die Tagung gemeinsam mit seinem Kollegen Kai Kappel von der Humboldt-Universität. Im Interview mit campus.leben berichtet Freigang, wie das mittelalterliche Kunstwerk vom Austausch mit Kulturen am Rande Europas bereichert wurde und warum die Begriffe Europa und Mittelalter unter Mediävisten neu diskutiert werden.
Herr Professor Freigang, was ist unter der Kunst des Mittelalters zu verstehen?
Traditionellerweise wird darunter meist religiöse und kirchliche Kunst verstanden. Altarbilder beispielsweise, Handschriften, aber auch die Bauwerke selbst. Hier ist die Überlieferung häufig viel besser als bei profanen Werken der Gebrauchskunst oder Wohnarchitektur. Allerdings gab es im Mittelalter noch keinen Begriff von autonomer Kunst. Zwar wurde durchaus über den medialen Status und die Qualität der Werke räsoniert, aber zunächst einmal waren Gemälde und Statuen auch Handwerksarbeiten. Für die Kunstgeschichte bedeutet das, Bilder und Gebäude auch aus anthropologischer Perspektive zu betrachten, statt sie ausschließlich auf ihre Kunsthaftigkeit zu untersuchen. Auf der Tagung geht es beispielsweise auch darum, wie sich Migration und Handel mit anderen Regionen auf die zentraleuropäische Kunst des Mittelalters auswirkten.
Worum geht es in der Tagung außerdem?
Als wir mit der Planung angefangen haben, waren die massiven Zerstörungen durch den sogenannten Islamischen Staat in Syrien gerade im vollen Bewusstsein. Ähnliches sehen wir auch in Nordafrika. Darauf wollen wir mit dem Grundkonzept der Tagung den Blick lenken. Wenn wir über das Mittelalter sprechen, gehören diese Regionen immer dazu, gerade bei künstlerischen Produktionen. Spaniens reiche Keramikkunst beispielsweise ist in seiner heutigen Form nicht denkbar ohne den intensiven Austausch mit Nordafrika.
Architektur des Mittelalters: Das Kloster Dschwari ist ein georgisch-orthodoxes Kloster aus dem 6. Jahrhundert und Georgiens älteste Kreuzkuppelkirche.
Bildquelle: Christian Freigang
Sie laden auch zu einer Diskussionsrunde mit dem Titel „Was ist Mittelalter, was Europa?“ ein – müssen Mediävisten diese Begriffe neu verhandeln?
Ja, und das tun wir auch schon seit ein bis zwei Jahrzehnten. Unter Mittelalter verstehen wir gemeinhin die Phase zwischen der Mitte des ersten und der Mitte des zweiten Jahrtausends. In der Geschichte und auch in der Kunstgeschichte geht es häufig im Kern um Veränderung, Umbruch und Fortschritt. Mit diesem Fokus stellt sich aber schon innerhalb Europas die Frage, ob und in welchem Ausmaß man vom Mittelalter sprechen kann. Die Metropolen Rom und Konstantinopel beispielsweise zeichneten sich zwischen der Spätantike und dem 15. Jahrhundert eher durch Kontinuität als durch radikale Umbrüche aus. Auch, was unter Europa zu verstehen ist, ist sehr umstritten, insbesondere die Idee einer vermeintlichen Leitkultur. Ganz aktuell hat das International Center of Medieval Art, die größte Interessensvereinigung für mittelalterliche Kunst, sich mit einer Petition entschieden gegen eine Entwicklung in den USA gestellt, in der von den „Neuen Rechten“ so getan wird, als sei das Mittelalter eine allein westliche und weiße Kultur. Das stimmt dezidiert nicht. Das mittelalterliche Europa war vielfältig religiös, kulturell und ethnisch. Auch das wollen wir bei der Tagung in Erinnerung rufen.
An wen richtet sich die Tagung?
An Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit Fragen der mittelalterlichen Kunst beschäftigen und den internationalen Dialog suchen. Wir freuen uns sehr auf den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen von Forschungsgebieten wie der Byzantinistik oder den Spezialisten etwa aus dem Kaukasus. Bislang haben 120 Referentinnen und Referenten aus allen Teilen der Welt zugesagt. In dieser Vielfalt spiegeln sich auch das Programm und die Intention des Kongresses, Randbereiche in Europa zu beleuchten: Wir haben beispielsweise Gäste aus Armenien, Skandinavien und von den irischen Inseln, Regionen also, von denen man bislang eher in engeren Kreisen über das Mittelalter gehört hat. Und wir haben eine sehr starke Sektion zu sogenannten Hot Spots: Städten, die schon immer international gewesen sind, die immer für Migration und kulturelle Vielfalt standen, wie neben Konstantinopel etwa die historische Hauptstadt Armeniens, Ani.
Christian Freigang ist Kunsthistoriker an der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Die Tagung findet an verschiedenen Orten in Berlin sowie in Brandenburg an der Havel statt. Wie viel Mittelalter lässt sich dort erleben?
Seitdem vor dem Roten Rathaus in Berlin beim U-Bahn-Bau vor ein paar Jahren die Grundmauern des erstaunlich großen mittelalterlichen Rathauses zu Tage gefördert wurden, ist das Mittelalter in der öffentlichen Wahrnehmung wieder etwas stärker präsent. Charakteristisch für Berlin ist aber vielmehr, dass ständig neu überbaut wird. Weltweit herausragend sind die Sammlungen mittelalterlicher Kunst in der Hauptstadt. Was im Bode-Museum, in der Gemäldegalerie oder in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin gezeigt wird, gehört – nicht ohne kontroverse Diskussion ihrer Provenienz – zu den weltgrößten Sammlungen mittelalterlicher Kunst.
Brandenburg an der Havel hingegen bietet ein relativ intaktes mittelalterliches Ambiente mit komplexen Ensembles vor Ort. Das Pauli-Kloster und der Dom Sankt Peter und Paul sind deshalb auch Veranstaltungsorte unserer Tagung. Hinzu kommt eine Reihe von Führungen, die besonders für unsere Gäste aus dem Ausland interessant sein dürften. In Berlin wiederum bieten wir ausgewählte Objektpräsentationen in den genannten Sammlungen an. Außerdem wird es eine Führung geben, die sich explizit mit dem sensiblen Verhältnis zwischen der heutigen Metropole und den mittelalterlichen Zeugnissen beschäftigt.
Die Fragen stellte Annika Middeldorf
Weitere Informationen
IV. Forum Kunst des Mittelalters: „360° – Verortung, Entgrenzung, Globalisierung"
Mittwoch, 20. September, bis Samstag, 23. September 2017
- Humboldt-Universität zu Berlin: Hauptgebäude, Unter den Linden 6, 10099 Berlin (20. September)
- Freie Universität Berlin: Henry-Ford-Bau, Garystraße 35, 14195 Berlin (21. September)
- Brandenburg an der Havel: Altstädtischer Markt, St. Johanniskirche, St. Katharinenkirche, Dom St. Peter und Paul und Archäologisches Landesmuseum/Paulikloster (22. September)
- Berlin: Gemäldegalerie, Kunstgewerbemuseum, Bodemuseum, Staatsbibliothek (Potsdamer Str.) (23. September)
Anmeldung unter: tagungsbuero@mittelalterkongress.de
Tagungskosten:
je nach Statusgruppe von 35 Euro bis 100 Euro.
Programm und weitere Informationen