„Auf Tuchfühlung mit der Gegenwartsliteratur“
10. bis 12. November: Aris Fioretos und Hans Ulrich Gumbrecht beim Auftakt des akademischen Jahres an der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule
08.11.2016
Die Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule werden wie in jedem Jahr nicht nur feierlich begrüßt, sie können auf der an die Begrüßung anschließenden Jahrestagung auch gleich mitdiskutieren: über „Techniken und Technologien des Literarischen“. In der öffentlichen Podiumsdiskussion am 11. November 2016 im ICI, an der unter anderen der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht von der Stanford University teilnimmt, sollen digitale Methoden in der Literaturwissenschaft kritisch hinterfragt werden. Einen Tag zuvor, am 10. November, spricht im Literarischen Colloquium am Wannsee der Autor, Übersetzer und Wissenschaftler Aris Fioretos, seit diesem Jahr Mitglied im Internationalen Beirat der Graduiertenschule. Ein Interview mit der Professorin für Literaturwissenschaft und Direktorin der Schlegel-Schule Jutta Müller-Tamm über das Tagungsprogramm und die Vorteile, an einer „Schule“ zu promovieren.
Frau Professorin Müller-Tamm, das Thema der diesjährigen Jahrestagung heißt „Techniken und Technologien des Literarischen“. Inwiefern prägt die Digitalisierung inzwischen auch die Literaturwissenschaft?
Das Thema haben die Doktorandinnen und Doktoranden selbst ausgesucht, denn die Digitalisierung ist ein virulentes Thema in den Geisteswissenschaften. Dennoch wenden sich bislang eher noch Spezialisten diesem Thema zu. Wir haben zum Beispiel in diesem Bereich nicht so viele Bewerbungen wie auf anderen Gebieten. Auf der Tagung wird das Thema aber in die längere Tradition des Technikdenkens in den Literaturwissenschaften gestellt, auch jenseits des eingeschränkten Begriffs literarischer Techniken, der mit der Herausbildung der Literaturwissenschaften im 19. Jahrhundert aufkam.
Gibt es Themen, zu denen an der Graduiertenschule besonders viele Doktorarbeiten entstehen?
Wir beobachten, dass es einen starken Anteil von Promotionsprojekten gibt, die sich mit zeitgenössischer Literatur beschäftigen, dieser Anteil wird sogar tendenziell größer. Wir verstehen uns als komparatistische Schule, Literatur wird in wissensgeschichtlichen oder intermedialen Zusammenhängen untersucht, und auf die eine oder andere Weise wird über den Tellerrand einer Nationalphilologie geschaut – zurzeit mehren sich deshalb auch die Themen Migration, Flucht und Vertreibung. Aber es gibt keinen eindeutigen Trend.
Im Werk von Aris Fioretos, der in diesem Jahr den Vortrag zur Begrüßung der Stipendiaten hält, spielen diese Themen eine wichtige Rolle…
… ja, aber bei seinem Festvortrag wird er in seiner Themenwahl ganz frei sein, denn wir haben ihn als Autor eingeladen. Es ist nun schon seit zwei Jahren eine, wie ich finde, sehr gute Tradition der Friedrich-Schlegel-Schule, Autorinnen und Autoren für die Begrüßungsrede einzuladen und damit noch einmal einen Schritt auf die Literatur zuzumachen.
Fioretos tritt in gewisser Weise in einer Doppelrolle auf, denn er ist seit diesem Jahr Mitglied im Internationalen Beirat der Graduiertenschule. Das verstehen wir als ein Signal für eine engere und stärkere Tuchfühlung mit der Gegenwartsliteratur. Gleichzeitig ist Aris Fioretos, Schwede mit österreichisch-griechischen Wurzeln, jemand, der als Übersetzer tätig ist, Paul Celan und Nelly Sachs herausgegeben hat und als Wissenschaftler eine internationale Laufbahn verfolgt.
Warum halten Sie den Kontakt mit Literaten für angehende Literaturwissenschaftler für wichtig?
Ich halte es für wesentlich, ein Verständnis für die Produktionsprozesse von Literatur zu haben. Was Literaturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler von Genussleserinnen und -lesern unterscheidet, ist nicht der Genuss oder das Unterhalten-Werden, sondern ein Verständnis für das Gemachtsein des Werks. Wir möchten, dass unsere Absolventinnen und Absolventen ein Verständnis davon bekommen, was es heißt zu schreiben.
Was ist der Vorteil, an der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule zu promovieren, gegenüber einer Individualpromotion?
Der entscheidende Mehrwert ist der Schulcharakter, der lebendige Forschungs- und Arbeitszusammenhang, in den die Stipendiatinnen und Stipendiaten von Anfang an hineinwachsen, ein Netzwerk von inner- und außeruniversitären Beziehungen. Die Themen der Doktorarbeiten sind sehr divergent – und trotzdem erlebt man, wenn man etwa ein Kolloquium begleitet, wie wohlwollend kritisch da diskutiert wird und wie ein Jahrgang schließlich zusammenfindet und neue Ideen entstehen. Teil einer solchen Schule zu sein, bedeutet auch, eine professionellere und realistischere Einsteinstellung zum Promovieren zu bekommen. Ein Auslandsaufenthalt ist beispielsweise Teil des Programms. Ich würde sagen: Die Schule macht’s.
Die Fragen stellte Nina Diezemann.
Weitere Informationen
Begrüßung des neuen Jahrgangs der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenchaftliche Studien
Festvortrag von Aris Fioretos: „Die dichte Welt”
Zeit und Ort
- Donnerstag, 10. November, 18 Uhr
- Literarisches Colloquium am Wannsee (LCB), Am Sandwerder 5, 14109 Berlin (S-Bhf. Wannsee)
Jahrestagung der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule: „téchnē. Techniken und Technologien des Literarischen"
Zeit und Ort
- 11./12. November 2016 im
- ICI Berlin, Christinenstraße 18/19 (Zugang auch über Schönhauser Allee 176)
Podiumsdiskussion: Techniken und Technologien der Lektüre: Alte Kulturtechniken, literaturwissenschaftliche Methoden und die Digital Literary Studies
Zeit und Ort
- Freitag,11. November 2016, 19 Uhr bis 20:30 Uhr
- ICI Berlin, Christinenstraße 18/19 (Zugang auch über Schönhauser Allee 176)
Mit
- Sybille Krämer (Freie Universität Berlin)
- Christine Ivanovic (Universität Wien),
- Hans Ulrich Gumbrecht (Stanford University)
- Thomas Weitin (TU Darmstadt).
Moderation: Irmela Krüger-Fürhoff (Freie Universität Berlin), Bernhard Metz (Freie Universität Berlin).
Weitere Informationen und Programm
Tipp
In dem Blog www.literaturwissenschaft-berlin.de berichten Stipendiatinnen und Stipendiatinnen der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule über aktuelle Themen in der Literaturwissenschaft oder wie es die Autorinnen und Autoren ausdrücken „Literaturwissenschaft ist unsere Leidenschaft“.