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Vom Nutzen der Kunst

Ein Interview mit dem Theaterwissenschaftler Matthias Warstat aus Anlass der Jahrestagung des ERC-Projektes „Ästhetiken angewandten Theaters“ am 21. und 22. Oktober

14.10.2016

Ausschnitt aus einem Theaterprojekt von Chen Alon und Avi Mograbi in einem israelischen Aufnahmelager für Asylsuchende (Holot Detention Centre, im Jahr 2015).

Ausschnitt aus einem Theaterprojekt von Chen Alon und Avi Mograbi in einem israelischen Aufnahmelager für Asylsuchende (Holot Detention Centre, im Jahr 2015).
Bildquelle: Kristin Flade

Welchen individuellen und welchen gesellschaftlichen Nutzen hat Kunst? Wie lassen sich die hohen Subventionen rechtfertigen, die Kultureinrichtungen in Deutschland zukommen? Fragen wie diese zeigen, dass die Künste in den vergangenen Jahren verstärkt unter Druck geraten sind, sich und ihre Arbeit zu legitimieren. So richten sich immer mehr Forderungen an die Vertreterinnen und Vertreter von Kultureinrichtungen, durch Kunst pädagogische Effekte zu erzielen, gesamtgesellschaftliche Diskussionen voranzutreiben und politische Teilhabe zu ermöglichen. Wie etwa Museen, Theater, Opern auf diese Forderungen reagieren und mit welchen Strategien sie versuchen, ihre künstlerische Position zu behaupten, damit beschäftigt sich die Jahreskonferenz „Profitable Aesthetics. Performative Strategien der Teilhabe” am 21. und 22. Oktober. Im Vorfeld sprach campus.leben mit Matthias Warstat, Professor für Theaterwissenschaft an der Freien Universität und Leiter des vom Europäischen Forschungsrat (ERC) geförderten Projekts „The Aesthetics of Applied Theatre“.

Herr Professor Warstat, das Thema der Konferenz ist im weitesten Sinne die zunehmende Ökonomisierung der Künste. Wie ist dieser Schwerpunkt entstanden?

In unserem Forschungsprojekt beschäftigen wir uns mit verschiedenen Formen des angewandten Theaters. So richten wir unseren Blick zum Beispiel sowohl auf Theaterarbeit in Krisen- und Konfliktsituationen, als auch auf Theaterprojekte innerhalb von Betrieben oder staatlichen Institutionen wie Gefängnissen. Mit diesen Formen von Theater verbindet sich meist ein pädagogischer oder therapeutischer Anspruch. Solche Ideen prägen zunehmend aber auch ganz allgemein den Kulturbetrieb. So haben sich neuerdings gesellschaftliche Forderungen an die Künste deutlich verstärkt, sich zu legitimieren und neben ästhetischen auch soziale und politische Versprechen einzulösen. Subventionen und Eintrittsgelder sollen demnach gleichsam in Form messbarer Effekte vergolten werden, was sich natürlich auf die Angebote und Verkaufsstrategien der künstlerischen Betriebe auswirkt. In Kooperation mit dem ebenfalls an der Freien Universität angesiedelten sozial- und geisteswissenschaftlichen Sonderforschungsbereich 1171 „Affective Societies – Dynamiken des Zusammenlebens“ wollen wir uns im Rahmen der Konferenz mit diesen Entwicklungen beschäftigen und herausarbeiten, wie die Künste auf solche Forderungen reagieren.

Was erwartet die Besucher der Konferenz?

Wir haben sowohl Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als auch Praktikerinnen und Praktiker eingeladen, die ihre Inhalte in Form von Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Performance Lectures präsentieren werden. Dabei ist uns wichtig, aktuelle Entwicklungen in verschiedenen Künsten zu vergleichen, sodass die Konferenz unter anderem literaturwissenschaftliche, kunsthistorische, theaterwissenschaftliche und philosophische Perspektiven aufzeigen wird. Zudem wollten wir Entwicklungen im kulturellen Betrieb auch international beleuchten. So ist die Situation in Deutschland ja insofern besonders, als dass Theater hierzulande stärker als anderswo staatlich subventioniert werden. Dementsprechend stehen Theater in anderen Ländern schon viel länger unter Druck, sich marktwirtschaftlichen Prinzipien zu unterwerfen, um ihre Produkte an die Frau oder den Mann zu bringen.

Wir haben Sprecher eingeladen, die sich unter anderem mit der kulturellen Landschaft Südafrikas, Griechenlands und Großbritanniens beschäftigen. Die Frage, welche Aufgabe den Künsten allgemein eigentlich zukommt, ist immer nur für konkrete Kontexte zu beantworten und berührt ganz viele unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche. Insofern verspreche ich mir sehr spannende Diskussionen.

Für Freitag- und Samstagabend ist jeweils eine Lecture Performance angesetzt. Was darf man sich darunter vorstellen? Und gibt es weitere Highlights, auf die sich Besucher freuen können?

Eine Lecture Performance ist eine Mischung aus wissenschaftlichem Vortrag und künstlerischer Darbietung, in der Künstler theoretische Reflexion in performativer Weise umsetzen. Da wird wissenschaftliche Arbeit etwa tänzerisch in Bewegung versetzt oder die übliche Form einer Powerpoint-Präsentation in ungewohnter Weise aufgebrochen. Letztendlich ist das ein ganz offenes, meist überraschendes Format, und so sind wir als Veranstalter ebenso wie das Publikum gespannt darauf, was Daniel Peltz oder Alexander Karschnia von „andCompany&Co.“ – für mich eine der wichtigsten politischen Performancegruppen der Gegenwart – präsentieren werden. Ein besonderes Highlight stellt sicherlich der Vortrag von Joseph Vogl dar, der die Ökonomisierung der Gesellschaft und der Künste seit Langem – sehr wirkungsvoll zuletzt in seinem Buch „Das Gespenst des Kapitals“ – aus kulturwissenschaftlicher Perspektive reflektiert. Ein wichtiges Thema der Konferenz werden zudem aktuelle künstlerische Verarbeitungen der Situation Geflüchteter sein, etwa in dem Vortrag von Marilena Zaroulia.

Die Fragen stellte Nora Lessing.

Weitere Informationen

Konferenz „Profitable Aesthetics. Performative Strategien der Teilhabe”

Zeit und Ort

  • Freitag, 21. Oktober 2016, 14 bis 22 Uhr und Samstag, 22. Oktober 2016, 10 bis 22 Uhr
  • Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin
  • Eintritt frei, keine Anmeldung erforderlich
  • Veranstaltungssprachen sind Deutsch und Englisch
  • Weitere Informationen