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Du bist, was du nicht isst!

Mangel, Überfluss, Hungerstreik und Vegetarismus / Eine Tagung befasst sich mit Gesundheit und Ernährung aus historischer Perspektive

16.02.2016

Ein Salatblatt macht noch keinen Vegetarier. Was hinter bestimmten Ernährungsweisen steckt, wer, zu welcher Zeit, was, warum gegessen hat, sind Themen der Tagung.

Ein Salatblatt macht noch keinen Vegetarier. Was hinter bestimmten Ernährungsweisen steckt, wer, zu welcher Zeit, was, warum gegessen hat, sind Themen der Tagung.
Bildquelle: baweg / Photocase

Veronika Settele und Norman Aselmeyer haben den interdisziplinären Arbeitskreis „Gesundheit und Ernährung“ am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität gegründet und die Tagung organisiert.

Veronika Settele und Norman Aselmeyer haben den interdisziplinären Arbeitskreis „Gesundheit und Ernährung“ am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität gegründet und die Tagung organisiert.
Bildquelle: Manuel Krane

Fleisch oder nicht Fleisch? Die Frage, die auf einen aktuellen Trend hinzuweisen scheint, hat eine lange Tradition. Die Geschichte des Vegetarismus in Deutschland ist deshalb ein Thema unter mehreren auf der Tagung „Du bist, was du nicht isst! Gesundheit und Ernährung seit 1850“, zu der am 27. Februar Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Europa und den USA nach Dahlem kommen. Campus.leben sprach mit Veronika Settele und Norman Aselmeyer, die den interdisziplinären Arbeitskreis „Gesundheit und Ernährung“ am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität gegründet haben und die Tagung organisieren.

Frau Settele, Herr Aselmeyer, was hat sich beim Nahrungsmittelverzicht in den letzten 150 Jahren verändert?

Settele: Im 19. Jahrhundert ging es der breiten Masse vorrangig um die Überwindung des Nicht-Essens als Folge von Mangel. In den Überflussgesellschaften heute steht Nicht-Essen im Gegensatz dazu oft gerade für ein besonderes Gesundheitsbewusstsein und den Erhalt der Gesundheit. Früher fürchtete man den Hunger, heute hat man Angst vor Krankheiten, die durch falsche Ernährung verursacht werden.

Ein Thema auf der Konferenz ist Vegetarismus. Was verändert sich, wenn Menschen auf Fleisch verzichten?

Settele: Zunächst einmal bewirkt man eine Veränderung der eigenen Identität, des Konzeptes vom eigenen Selbst. Wir werden auf der Konferenz das Thema Vegetarismus aus historischer Perspektive betrachten, dabei zeigt sich, dass es eine erste Vegetarismus-Bewegung in Deutschland schon im Kaiserreich gab. Ein Vortrag stellt den Vegetarismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts der aktuellen Debatte über Fleischkonsum gegenüber.

Eine Form des Nicht-Essens ist der Hungerstreik  –  er ist eine politische Äußerung. 

Settele: Das Thema Hungerstreik macht die Auswirkungen einer bestimmten Ernährungsform auf Politik, Macht und Gewalt deutlich. Die Diskussion wird dabei in zwei Richtungen gehen: Zunächst ist Hungerstreik – ausgehend vom Individuum – eine Widerstandsform und eine politisch-künstlerische Agitationsform.

Aselmeyer: Es gibt da beispielsweise den klassischen Hungerkünstler um 1900, eine Attraktion auf Jahrmärkten. Damit hat er eine ästhetisch ganz neue Form begründet, nämlich den Selbstverzicht als individuelle Ausdrucksform.

Wie hat sich das Gesundheitsbewusstsein der Menschen mit der Zeit verändert?

Settele: Die Zeitspannen, in denen bestimmte Ernährungsweisen als gesund empfunden werden, werden wohl immer kürzer. Was vor wenigen Jahren noch als gesund galt, kann mitunter morgen schon als ungesund in Verruf geraten sein. Und umgekehrt.

Aselmeyer: In der 1950er Jahren war beispielsweise die Zigarette Ausdruck eines bürgerlichen Lebensstils, Rauchen galt als gesund und den Körper anregend, heute wird das natürlich anders gesehen. Das betrifft ein Problem, das uns trotz aller Verwissenschaftlichung wesentlich erscheint: Ein Großteil der Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung basieren auf einer dünnen empirischen Basis. Sie tragen nicht minder dazu bei, dass sich gewisse Moden des Verzichts so schnell verbreiten. Ein gutes Beispiel ist dafür Cholesterin, das für allerhand Krankheiten herhalten muss und allgemein als ungesund gilt, das allerdings ein lebensnotwendiger Baustein ist.

Settele: Auch beim Fleischkonsum haben sich die Ansichten geändert. Fleisch war in den Jahren des Wirtschaftswunders nicht nur Wohlstandsmerkmal, sondern auch das Lebensmittel, das besonders gesund und stark macht. In der aktuellen Diskussion ist Fleisch hingegen auf der Liste der – zumindest im Übermaß verzehrt – gesundheitsgefährdenden Lebensmittel gelandet.

Sie schreiben, dass Herstellungs- und Zubereitungswissen mit der Zeit verloren gehen – trotz höherer Sensibilität für gesunde Ernährung. Welche Konsequenzen hat das beim Nahrungsmittelkonsum?

Settele: Zunächst führt das ganz praktisch dazu, dass vermehrt vorgefertigte Lebensmittel konsumiert werden. Supermärkte sind ein Phänomen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und mit den Supermärkten kam das Convenience Food („bequemes Essen“), also das vorgefertigte Essen.

Aselmeyer: Es gibt diesbezüglich aber innerhalb Europas große Unterschiede. In Italien ist beispielsweise die Fertigproduktkultur noch nicht so ausgeprägt wie in Deutschland. Fertigprodukte wie die von Maggi oder Knorr findet man dort kaum. Man kann aber auch innerhalb Deutschlands Unterschiede beobachten: Es gibt bestimmte Nahrungsmittel, die wichtig sind für regionale Identitäten. Interessant ist, dass das Herstellungs- und Zubereitungswissen speziell um diese Lebensmittel erhalten bleibt – man denke jetzt in der Winterzeit zum Beispiel an Grünkohl oder die diversen deutschen Knödel und Klöße.

An wen richtet sich die Tagung und was erwartet die Besucher?

Settele: Wir werden das Thema Ernährung aus einer historischen Perspektive betrachten. Neben den historisch Interessierten sind all diejenigen eingeladen, die sich für den spezifischen Zusammenhang von Gesundheit und Ernährung interessieren. Tipps rund um die Ernährung oder gar eine neue Gesundheitslehre werden wir allerdings nicht anbieten können.

Die Fragen stellte Manuel Krane

Weitere Informationen

Tagung „Du bist, was du nicht isst! Gesundheit und Ernährung seit 1850“

Zeit und Ort

  • 27. Februar 2016
  • Clubhaus der Freien Universität Berlin, Goethestraße 49, 14163 Berlin (U-Bhf. Krumme Lanke, U 3)

Für die Teilnahme ist eine Anmeldung per E-Mail erforderlich: gue@geschkult.fu-berlin.de

Im Internet:

Tagungsprogramm

Interdisziplinärer Arbeitskreis Gesundheit und Ernährung