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Vordenker der Digitalisierung

Philosophieprofessorin Sybille Krämer hat für die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften eine Konferenz zu Gottfried Wilhelm Leibniz konzipiert

27.01.2016

Der Philosoph der Aufklärung Gottfried Wilhelm Leibniz war ein Netzwerker, bevor der Ausdruck überhaupt erfunden wurde.

Der Philosoph der Aufklärung Gottfried Wilhelm Leibniz war ein Netzwerker, bevor der Ausdruck überhaupt erfunden wurde.
Bildquelle: Juulijs - Fotolia

Er gilt als der letzte Universalgelehrte: Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) war Mathematiker, Jurist, Ingenieur, Politikberater und Philosoph. Mit rund 20.000 Briefen ließ er wenig unkommentiert, was die Menschen im 18. Jahrhundert bewegte. Doch was sagt uns Leibniz‘ Denken zum großen Thema des 21. Jahrhunderts: der Digitalisierung? Mit dieser Frage beschäftigen sich Wissenschaftler auf der Tagung „Leibniz – Netzwerk – Digitalisierung“, die im Rahmen des Jahresthemas der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften „Leibniz:vision als Aufgabe“ am 4. und 5. Februar stattfindet. Campus.leben sprach mit Sybille Krämer, Professorin für theoretische Philosophie an der Freien Universität, die das Tagungskonzept entwickelt hat.

Frau Professorin Krämer, was macht das Thema Netzwerke für Philosophen interessant?

Das „Netz“ ist im Selbstverständnis unserer Kultur zu einer absoluten Metapher geworden. Das Internet wird zur Chiffre dafür, dass die Weltgesellschaft sich nur noch als Netzwerk begreifen kann. Doch dem inflationären Gebrauch dieses Wortes entspricht keine angemessene Reflexion über die Reichweite und Grenzen der Begriffe ‚Netz‘, ‚Netzwerk‘ und ‚Vernetzung‘. Hier hat die Philosophie eine wichtige Aufgabe.

Was hat Leibniz damit zu tun?

Obwohl der Begriff „Netz“ erst Generationen nach seinem Tod in Gebrauch gekommen ist, hilft Leibniz uns zu verstehen, warum netzartige Verbindungen eine so erfolgreiche Architektur sind. Der Philosoph hat also nicht nur den Binärcode sowie eine Rechenmaschine für alle Grundrechenarten erfunden, sondern auch als Vordenker netzartiger Verbindungen Grundlagen der digitalen Kultur geschaffen. Er konzipierte eine Metaphysik, deren Grundsubstanzen individuelle Monaden sind, die von ihrem beschränkten Standpunkt aus die Gesamtheit des Universums auf je singuläre Weise repräsentieren. Damit bezieht sich jede Monade kommunikativ auf andere, indem sie das System der anderen aus ihrer Perspektive darstellt. Wie sich Vielfalt mit Einheit verbinden kann, ist hier vorgedacht.

War Leibniz ein Netzwerker?

Leibniz‘ Vision ist die einer Enzyklopädie des Wissens, die das Wissen seiner Zeit zur Verfügung stellt. Er arbeitete beispielsweise an einer Wiedervereinigung der christlichen Kirchen und setzte sich für die Gründungen wissenschaftlicher Akademien in Dresden, Petersburg und Wien ein. Hier in Berlin gründete er die „Societät der Wissenschaften“ – die Vorgängerin der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Seine technischen Entwürfe zur Entwässerung der Harzer Bergwerke durch Windkraft oder zum Kanalbau in den Herrenhäuser Gärten am Fürstenhof in Hannover erläutern seine Ideen von selbstregulativen technischen Systemen, die überdies multifunktional nutzbar sein sollten.

All das sind Schlaglichter auf Leibniz‘ Streben, das, was individuell und verschieden ist, so zu verbinden, dass diese Verschiedenheit nicht etwa annulliert, sondern durch die wechselseitige Verbindung erhalten und gestärkt wird.

Was haben Sie persönlich von Leibniz gelernt?

Leibniz‘ Wirken kann eine Parabel auf die Möglichkeiten und Grenzen eines Lebens sein, in dem briefliche Kommunikation und rastlose Tätigkeit zur Lebensform werden: Sein Nachlass umfasst 200 000 Blätter, Briefe und Notate. Ein Hauptwerk hat er jedoch nicht hinterlassen. Das hat seine philosophische Strahlkraft für die Gegenwart – verglichen mit Descartes, Kant, Hegel – zweifellos geschmälert. Die Fülle seiner Aktivitäten haben seine Muße zur konzentrierten Arbeit an Texten, die seine philosophischen Überzeugungen begrifflich und argumentativ hätten entfalten können, aufgezehrt. Müssen wir darin nicht die Herausforderung erkennen, wie das Übermaß akademischer Betriebsamkeit mit der Muße zur fokussierten Forschungsarbeit zu verbinden ist?

Die Fragen stellte Jonas Huggins

Weitere Informationen

LEIBNIZ - NETZWERK - DIGITALISIERUNG

Eine Veranstaltung des Jahresthemas 2015|16 „Leibniz: Vision als Aufgabe“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

Zeit und Ort

  • 4./5. Februar 2016
  • Akademiegebäude am Gendarmenmarkt, 10117 Berlin

Das Programm finden Sie hier. Weitere Informationen erteilt Ihnen gern Mimmi Woisnitza, E-Mail: woisnitza@bbaw.de