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„Durchhaltegeist und keine Angst vor Veränderungen“

Beim fünften Europäischen Salon wurde über Solidarität in der Europäischen Union diskutiert

06.01.2016

M. Sarrazin (Europapolitischer Sprecher Bündnis 90/ Die Grünen), Prof. C. Calliess (Europarechtler an der Freien Universität), V. Kupsch (Mitgründerin des Think Tanks „European Democracy Lab“) und E. Brok (Mitglied im Europäischen Parlament).

M. Sarrazin (Europapolitischer Sprecher Bündnis 90/ Die Grünen), Prof. C. Calliess (Europarechtler an der Freien Universität), V. Kupsch (Mitgründerin des Think Tanks „European Democracy Lab“) und E. Brok (Mitglied im Europäischen Parlament).
Bildquelle: Peter Schraeder

Ein drohender Austritt Griechenlands aus dem Euro, die Flüchtlingskrise, erstarkender Nationalismus in den EU-Staaten – 2015 sah sich Europa mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Der fünfte Europäische Salon, der Ende vergangenen Jahres stattfand, bewegte sich nahe an den aktuellen Themen und nahm die jüngsten Entwicklungen als Ausgangspunkt für die Frage nach europäischer Solidarität.

Eingerichtet worden ist die seit 2013 bestehende Veranstaltungsreihe „Europäischer Salon“ von Christian Calliess, Professor für Öffentliches Recht und Europarecht an der Freien Universität, und seiner ehemaligen Mitarbeiterin Mayte Peters, promovierte Staatswissenschaftlerin. Inzwischen wird der Salon von Christian Calliess und seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Stephanie Goebel und Philipp Schmirler betreut. Das von der Robert Bosch Stiftung geförderte Projekt will europarechtlichen Themen eine breitere Aufmerksamkeit verschaffen. Hierfür setzen die Initiatoren nicht nur aufs klassische Podium, sondern auch aufs Netz. Unter www.eu-salon.de sowie über Twitter und Facebook können Interessierte vorab und auch während der Diskussionen mitreden.

Calliess moderierte den Abend im „Auditorium“ an der Friedrichstraße in Berlin-Mitte. Auf dem Podium saßen Elmar Brok (CDU), Mitglied im Europäischen Parlament und Experte im Thema Außenpolitik der EU, Manuel Sarrazin (Bündnis 90/ Die Grünen), Bundestagsmitglied und Europapolitischer Sprecher der Grünen sowie Victoria Kupsch, Mitgründerin des Berliner Think Tanks „European Democracy Lab“.

Die „Brücke des Rechts“

Eingeleitet wurde die Runde von Calliess, der angesichts der gegenwärtigen Probleme diagnostizierte, dass die „Brücke des Rechts“, also die gemeinsame Rechtsordnung innerhalb der EU, zu erodieren drohe. Dabei bilde sie „traditionell das Bindeglied in Europa“, um die Verschiedenheit in den Mitgliedsstaaten zu überbrücken. „Brauchen wir mehr oder weniger Europa?“, so seine einleitende Frage. Brok spezifizierte: „Wir müssen eine Definition dafür finden, was nationales Interesse ist – und was nicht.“ Zudem dürfe nicht mit zweierlei Maß gemessen werden: Wenn Deutschland gegen europäische Verträge verstoße, müsse das genauso geahndet werden, wie Verstöße anderer Mitgliedsstaaten.

Broks Einschätzung, die Bevölkerung sei auf die gegenwärtigen Probleme nicht vorbereitet gewesen, konterte Kupsch mit einer Gegenthese: Euro- und Flüchtlingskrise seien absehbar gewesen, die Politik habe wirksame Maßnahmen versäumt. Daher sei eine der wichtigsten Fragestellungen in ihrem Think Tank: „Wie können wir eine europäische Demokratie funktional gestalten?“.

Bricht Europa auseinander?

„Zwei Dinge fehlen zur Zeit in Europa für mehr Solidarität“, meinte Grünen-Politiker Sarrazin. Erstens brauche man eine „Art konservativen Durchhaltegeist“. Bestehende Regelungen dürften nicht ständig hinterfragt werden. Zweitens sei es auch nötig, weniger „Angst vor Veränderungen“ zu haben. Nur so seien Spaltungen innerhalb Europas vermeidbar. Sarrazin kritisierte auch das Vorgehen Schäubles, als dieser im vergangenen Sommer während der Verhandlung über den Verbleib Griechenlands in der Eurozone „mit einem Grexit gedroht“ habe.

Andere Staaten denken bereits von sich aus über einen Austritt aus der EU nach. Bis Ende 2017 will Großbritannien eine Volksabstimmung darüber abhalten, ob es in der Staatengemeinschaft bleibt. Elmar Brok zeigte für die Unabhängigkeitsbestrebungen des Landes wenig Verständnis. „Großbritannien muss sich klar darüber werden, ob es weiterhin positiv in der EU mitwirken will“, sagte er. Europa habe sich für „Größe statt Tiefe“ entschieden, merkte Kupsch an. Die EU-Erweiterung sei schnell vorangeschritten, die Herstellung eines gemeinsamen Konsenses über nationale und gesamteuropäische Souveränitäten habe damit nicht Schritt gehalten.

Viele offene Fragen

Ein zentraler Punkt der Diskussion war außerdem das zunehmende Misstrauen in die gesellschaftlichen Eliten. Dieses Problem reiche sehr weit und sei nicht auf europäische Institutionen beschränkt, so Brok. Kupsch und Sarrazin griffen den Gedanken auf und bestätigten die Beobachtung weitgehend. Eine Lösung dafür zu finden falle bisher schwer.

Das Fazit: Zwischen den Podiumsgästen gab es wenige große Streitpunkte, aber viele offene Fragen. Calliess hielt fest, dass es die große europäische Krise noch nicht gebe. Noch bleibe Zeit, Konstruktionsfehler auf Ebene der EU zu beheben und darüber nachzudenken, ob weitere nationale Kompetenzen auf die Gemeinschaft zu übertragen seien.