Ideen und Illusionen
Soziologin Ulla Bock über Pionierinnen der Frauen- und Geschlechterforschung an Universitäten im deutschsprachigen Raum
10.06.2015
Sie waren die erste Generation von Professorinnen der Frauen- und Geschlechterforschung. Getragen von den 68ern und der Frauenbewegung waren sie angetreten, die Welt zu verändern – und auch die Bedingungen für Frauen an Hochschulen: Gerechter sollte es zugehen zwischen Männern und Frauen, das Verhältnis der Geschlechter zudem wissenschaftlich untersucht werden. Daraus wurde für viele Akademikerinnen eine Lebensaufgabe. Diese Pionierinnen der Geschlechterforschung – die promovierte Soziologin Ulla Bock von der Freien Universität stellt sie in ihrer gerade erschienenen Studie vor – sind inzwischen emeritiert. Was können nachfolgende Generationen von ihnen lernen?
Mit der Frauenbewegung kamen die sogenannten Gender Studies an die Universitäten und Fachhochschulen. Deren Entwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz nimmt Ulla Bock in den Blick. „Heute sind rund 190 Professuren in Deutschland entweder ganz oder zum Teil der Geschlechterforschung innerhalb eines Fachbereichs wie Soziologie oder Literaturwissenschaft gewidmet“, sagt die Soziologin, die bis Mai die Zentraleinrichtung zur Frauen- und Geschlechterforschung an der Freien Universität geleitet hat.
Die 64 ersten Genderprofessorinnen an deutschsprachigen Hochschulen sind laut Ulla Bocks Recherchen inzwischen im Ruhestand. 38 von ihnen hat sie kurz vor der eigenen Pensionierung zu ihren Erfahrungen befragt. Aus den Interviews ist nun ein Buch hervorgegangen. Darin lässt Ulla Bock die Wissenschaftlerinnen ausführlich zu Wort kommen, die sowohl über eigene Berufsbiografien berichten als auch eine Einschätzung zur wissenschaftlichen und politischen Bedeutung von Genderprofessuren geben.
Aufbruchstimmung in der Studienzeit
Die Forscherinnen erinnern sich an die Aufbruchsstimmung der Frauenbewegung, die sie während ihrer Studienzeit persönlich, politisch und beruflich beflügelt hat. Sie erzählen, wie sie sich ohne Vorbilder in der Männerdomäne „Universität“ ihren Platz erkämpfen mussten und gleichzeitig die Frauen- und Geschlechterforschung mit viel kreativer Freiheit ins Leben rufen konnten. Sie erinnern sich an die „Emanzipations-Illusion“, mit der sie antraten, an die Desillusionierung, die später folgte – und ebenso an die vielen Erfolge.
Die größte Überraschung ihrer Forschung sei gewesen, dass die Mehrheit der befragten Frauen der Meinung war, sie hätte es zu ihrer Zeit leichter gehabt als die jüngeren Frauen heute, sagt Ulla Bock. Sie hätten zwar gegen Widerstände und Anfeindungen kämpfen müssen, dennoch seien sie in vieler Hinsicht freier gewesen, da sie ihr Fach selbst hätten erschaffen und gestalten können. Heute gebe es dagegen viel mehr Auflagen für die Lehre, den ständigen Druck, Drittmittel einzuwerben, befristete Arbeitsverträge und mehr Konkurrenzkampf.
Publikation als „kommunikatives Gedächtnis“ für nachfolgende Generationen
Mit ihrer Studie will Bock das Wissen dieser ersten Generation bewahren, um es als „kommunikatives Gedächtnis“ und „kulturelles Kapital“ an folgende Generationen weiterzugeben. „Der Rückblick ist ein Angebot für einen Dialog zwischen den Generationen“, sagt die Autorin.
Das Gespräch zwischen älteren und jüngeren Wissenschaftlerinnen sei nicht immer einfach, sagt sie, besonders dann, wenn die Jüngeren meinten, das Anliegen der Geschlechterstudien habe sich erfüllt und könne jetzt „nebenbei“ betrieben werden. Ulla Bock versteht ihre Studie auch als Plädoyer für den Erhalt der eigenständigen Frauen- und Geschlechterforschung. Sie hofft, dass die neue Generation sich dafür einsetzt und mit dem Wissen über die Vergangenheit die Zukunft gestaltet.