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Die Zerstörung von Kulturgütern – eine kriegerische Tradition?

Archäologen der Freien Universität und des Deutschen Archäologischen Museums debattierten über kulturhistorische Hintergründe des Wütens der Terrormiliz IS in irakischen Museen

19.03.2015

Das Relief einer Torhüterfigur im Pergamon-Museum Berlin, wie sie in Ninive zerstört worden ist.

Das Relief einer Torhüterfigur im Pergamon-Museum Berlin, wie sie in Ninive zerstört worden ist.
Bildquelle: Wikimedia

Prof. Reinhard Bernbeck (ganz links) moderierte mit Carolin Jauss (3.v.r.). 2.v.l.: Prof. Dominik Bonatz, Dr. Margarete van Ess (3.v.l.), Prof. Wendy Shaw (2.v.r.) und Wassim Alrez, syrischer Dozent an der Freien Universität.

Prof. Reinhard Bernbeck (ganz links) moderierte mit Carolin Jauss (3.v.r.). 2.v.l.: Prof. Dominik Bonatz, Dr. Margarete van Ess (3.v.l.), Prof. Wendy Shaw (2.v.r.) und Wassim Alrez, syrischer Dozent an der Freien Universität.
Bildquelle: David Bedürftig

Mit Äxten und Hämmern zertrümmern fanatisch johlende Männer Skulpturen, reißen antike Gemäuer ein, treten Statuen um. Der Film zeigt die jüngsten Gewalttaten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Nordirak. Andere Bilder, die die Besucher an diesem Abend in der Topoi-Villa der Freien Universität zu sehen bekamen, zeigen die Zerstörung der Babri-Moschee 1992 im indischen Ayodhya durch hinduistische Extremisten – ein Beispiel dafür, dass die barbarische Vernichtung menschlicher Kulturzeugnisse kein neues Phänomen ist. „Mossul, Nord-Irak: Kulturzerstörungen im Kontext“ hieß die Veranstaltung, zu der das Institut für Vorderasiatische Archäologie der Freien Universität geladen hatte. Die Zerstörungen bezeichnete Archäologieprofessor Reinhard Bernbeck, der die Podiumsrunde gemeinsam mit Carolin Jauß moderierte, als „unersetzlichen Verlust“.

Auf dem Podium saßen Margarete van Ess, promovierte Archäologin und zweite Direktorin der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin, Susan Pollock und Dominik Bonatz, beide Professoren am Institut für Vorderasiatische Archäologie, Professorin Wendy Shaw vom Institut für Kunstgeschichte der Freien Universität und Wassim Alrez, syrischer Dozent an der Freien Universität und Kulturgutexperte in Syrien und im Irak. Im Fokus der Experten-Diskussion, standen die aktuellen Zerstörungen von assyrischen und parthischen Skulpturen im Museum von Mossul und in Ninive durch IS-Kämpfer.

Bei allem Entsetzen, das die Nachricht über die unwiederbringliche Vernichtung des jahrtausendealten Kulturguts hervorgerufen hat, dürfe man selbstverständlich nicht die humanitären Gräuel vergessen, die tagtäglich durch den IS begangen würden, sagte Margarete van Ess. Die in einem Videofilm des IS festgehaltenen Zerstörungen, der über die Medien weltweit verbreitet wurde, bildeten nur eine Tat von vielen im Irak ab. Die Vernichtung der Kulturstätten, so die Professorin, müsse man „im Zusammenhang betrachten“, etwa mit den Irakkriegen – in denen, wie Reinhard Bernbeck hinzufügte, durch „die Nachlässigkeit der US-Besatzungsmacht sehr viel großflächigere Schäden“ verursacht worden seien – mit extremer Armut, landesweitem Exodus und der religiösen Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten. Derartige Zerstörungen seien keineswegs singuläre Ereignisse, sagte Archäologieprofessorin Susan Pollock: „Kulturgüter werden und wurden ständig bewusst vernichtet.“

Beispiele der Zerstörungen von Kulturgut in der jüngeren Geschichte

Besonders in Kriegen werde versucht, das kulturelle Gedächtnis des Feindes auszulöschen, sagte ihr Kollege Dominik Bonatz und führte hierzu mehrere Beispiele der jüngeren Geschichte an: die afghanischen Taliban etwa, die überdimensionale Buddha-Statuen aus dem 5. Jahrhundert nach Christus zerlegt hatten, die Sprengung der beinahe 500 Jahre alten Mostar-Brücke in Bosnien-Herzegowina durch kroatische Truppen während des Bosnienkrieges und den Raub und die Zerstörung von Kulturgut durch die Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges. Schon im Altertum hätten die Assyrer selbst einen ähnlichen zerstörerischen Umgang mit dem Kulturerbe ihrer Feinde betrieben, sagte Bonatz.

Die islamistische Terrormiliz habe in den vergangenen Jahren unzählige Schreine, schiitische Schriften und Grabstätten sowie andere religiöse Heiligtümer im Irak und in Syrien vernichtet, sagte Wassim Alrez, syrischer Dozent an der Freien Universität und Kulturgutexperte in Syrien und im Irak. Dies sei in der westlichen Welt nur wenig zur Kenntnis genommen worden. Die Frage sei deshalb, warum sich die Weltöffentlichkeit gerade jetzt empöre und sich sogar der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-moon veranlasst sehe, die Taten als Kriegsverbrechen zu verurteilen?

„Der Museumsgedanke ist europäisch“

„Mit Ninive wurde eine weltweit bekannte und mythische Stätte mit dem Pressluftbohrer verwüstet, die Figuren in Mossul waren ‚Prototypen assyrischer und parthischer Kunst‘“, wie Bonatz ausführte. Natürlich sorge auch die Verbreitung, das propagandistische IS-Video, für weltweites Entsetzen. „Lust an der Destruktion“ nennt Wendy Shaw, Professorin am Institut für Kunstgeschichte der Freien Universität, diese provozierende Inszenierung. Aus ihrer Sicht setzt der IS das Video bewusst ein, um zu zeigen, dass sich der Westen mehr um die Kulturgüter als um die Menschen vor Ort sorge.

Tatsächlich, sagte Bonatz, werde ein Angriff auf ein Museum nach westlichem Verständnis als Angriff auf einen „Tempel der Zivilisation“ verstanden. Margarete van Ess erklärte die entsprechend große Aufmerksamkeit für die Vorfälle in Mossul mit einem weiteren Aspekt: „Der Museumsgedanke ist europäisch.“

Wie die Situation der Menschen vor Ort aussehe und wie die irakische Bevölkerung zu ihren Kulturgütern stehe, sei nur oberflächlich untersucht. Nicht selten sei ihre Haltung gegenüber antiken Objekten in Museen gleichgültig oder gar negativ, weil diese meistens von Fremd- und Kolonialmächten ausgegraben worden seien, ohne die Bevölkerung der Forschungsregionen einzubeziehen. Ein anderer Grund sei die Nutzung dieser Altertümer für propagandistische Zwecke durch Saddam Hussein in der Vergangenheit gewesen. Angesichts der jahrelangen humanitären Katastrophe kämpften die Menschen im Irak zudem mit existenziellen Problemen.