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Neandertaler in der Niederlausitz

Paläontologen der Freien Universität sind beteiligt an der Ausgrabung von etwa 130.000 Jahre alten Fundstücken in Brandenburg

29.11.2013

Die ältesten menschlichen Zeugnisse Brandenburgs fanden Paläontologen der Freien Universität Berlin und Archäologen des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum bei einer Grabung in der Nähe von Cottbus.

Die ältesten menschlichen Zeugnisse Brandenburgs fanden Paläontologen der Freien Universität Berlin und Archäologen des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum bei einer Grabung in der Nähe von Cottbus.
Bildquelle: Quelle: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Museum

Gefunden wurde unter anderem ein 130.000 Jahre alter Pferdeunterkieferknochen.

Gefunden wurde unter anderem ein 130.000 Jahre alter Pferdeunterkieferknochen.
Bildquelle: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Museum

Ein weiterer Fund: die Geweihschaufel eines Elchs (Alces alces), der heute in Eurasien weit verbreitet ist.

Ein weiterer Fund: die Geweihschaufel eines Elchs (Alces alces), der heute in Eurasien weit verbreitet ist.
Bildquelle: T. Korn, Senckenberg

Dass der frühere Jagdplatz des Neandertalers heute noch erhalten ist, ist einer Abfolge von erdgeschichtlichen Vorgängen zu verdanken. Die Darstellung zeigt den Bereich des ehemaligen Eem-Sees von Jänschwalde.

Dass der frühere Jagdplatz des Neandertalers heute noch erhalten ist, ist einer Abfolge von erdgeschichtlichen Vorgängen zu verdanken. Die Darstellung zeigt den Bereich des ehemaligen Eem-Sees von Jänschwalde.
Bildquelle: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Museum

Annette Kossler ist als Paläontologin von der Freien Universität Berlin an den Grabungen in Jänschwalde beteiligt.

Annette Kossler ist als Paläontologin von der Freien Universität Berlin an den Grabungen in Jänschwalde beteiligt.
Bildquelle: Ingo Raufuß

Vor 130.000 Jahren sah die Region um den Braunkohletagebau Jänschwalde bei Cottbus noch anders aus als heute: Es war eine flache, durch seichte Gewässer unterbrochene Waldtundra, mit einer Vegetation bestehend aus Sanddorn, Weiden und Birken sowie Kräutern, Gräsern und Moosen. Dort lebten Wölfe, Pferde, Elche, Steppenbisons – und frühzeitliche Vorfahren des Menschen. Das ist das Ergebnis einer Grabung, die derzeit von Archäologen des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums und Paläontologen der Freien Universität Berlin in Kooperation mit der Vattenfall Europe Mining AG durchgeführt wird. Die Erkenntnis, dass in dieser Region vor etwa 130.000 Jahren Menschen gelebt haben, ist eine Sensation; die bisher ältesten Fundstücke aus Brandenburg sind nur etwa 40.000 Jahre alt.

Gefunden wurden zwar keine Knochen eines Neandertalers, dafür aber verschiedene Werkzeuge aus Feuerstein: Zum einen fanden die Forscher einen Schaber, ein Werkzeug, mit dem die Neandertaler vermutlich Fleischreste vom Fell erbeuteter Tiere abgeschabt haben. Außerdem wurde ein sogenannter Schildkern entdeckt. „Dabei handelt es sich um den Rest eines ursprünglich größeren Feuersteins, aus dem durch gezieltes Abschlagen Werkzeuge und Waffen abgespalten wurden, sodass am Ende nur noch der Kern des Steins übrig blieb“, erklärt Annette Kossler.

Die Paläontologin von der Freien Universität Berlin ist an den Grabungen beteiligt. Sie sagt, man könne anhand der zahlreichen Fossilfunde von Flora und Fauna erkennen, dass das Nahrungsangebot und die Temperaturen den heutigen Lebensbedingungen im nördlichen Skandinavien ähnelten, wo auch heute noch Waldtundren zu finden sind. „Aber natürlich kann man die damaligen Verhältnisse nicht eins zu eins mit den heutigen vergleichen“, sagt Kossler. „So geben die Fossilfunde Hinweise auf ein stärker kontinental geprägtes Klima als im heutigen Skandinavien.“ Sicher sei damit, dass die Neandertaler zumindest in den Sommermonaten in dieser Region leben konnten, sagt Annette Kossler.

Vor etwa 130.000 Jahren begann die Atmosphäre, sich zu erwärmen

Dass der frühere Jagdplatz des Neandertalers heute noch erhalten ist, ist einer Abfolge von erdgeschichtlichen Vorgängen zu verdanken: Zum Ende der „Saale-Eiszeit“, also vor etwa 130.000 Jahren, begann die Atmosphäre, sich zu erwärmen. „Das hatte zur Folge, dass mächtige Eisreste im Untergrund abtauten, wodurch allmählich eine gewaltige Senke entstand“, erklärt Annette Kossler. Darin bildete sich ein großer See, der über mehrere Jahrtausende existierte, bis in die sogenannte Eem-Warmzeit hinein. Diese Warmzeit war die letzte vor der heutigen Warmzeit, dem Holozän, und ist nach dem Fluss Eem in den Niederlanden benannt.

Mächtige Seeablagerungen

Heute ist der See verschwunden, doch die Forscher fanden in bis zu neun Meter mächtigen Seeablagerungen zahllose Tierknochen und -wirbel und andere Skelettelemente von Fischen und Säugetieren sowie Pflanzenreste wie Holz, Blätter, Samen und Zapfen. „Diese Funde belegen die Existenz des Sees“, sagt die Paläontologin. Während des auf die Warmzeit folgenden Zeitalters, der „Weichsel-Eiszeit“ (zirka 115.000 bis 11.600 Jahre vor unserer heutigen Zeit) wurden die Sedimente tiefgründig abgetragen. „Dafür waren Erosionsprozesse verantwortlich, die wiederum durch sogenannte Vergletscherung, also die Ausdehnung der Inlandsgletscher, zustande kamen“, sagt Kossler. Nur die tiefsten Beckenbereiche des ehemaligen Sees und die darunter liegende Sedimentschicht, in der die Relikte gefunden wurden, seien von der natürlichen Abtragung verschont geblieben.

In den darauffolgenden Jahrtausenden wurden sie von jüngeren Ablagerungen aus der Weichsel-Eiszeit und dem Holozän erneut überdeckt. „Das hat zu dem für uns glücklichen Umstand geführt, dass sie heute noch erhalten sind“, fasst die Wissenschaftlerin die Abläufe zusammen.

Fundreiches Gebiet

Schon bei früheren Grabungen im Tagebau Jänschwalde wurden ähnlich bedeutsame Funde gemacht: 1885 waren Forscher am Rande des Tagebaus auf Wirbeltierknochen gestoßen, und nur knapp 20 Jahre später hatte man hier das deutschlandweit erste Mammutskelett gefunden. Dass nun auch menschliche Hinterlassenschaften ausgegraben wurden, ist den Archäologen zufolge für die archäologische Geschichtsschreibung äußerst bedeutsam.

Die Forschung im Tagebau Jänschwalde ist damit noch nicht beendet. Gemeinsam mit Archäologen des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und mit Unterstützung von Geologen und Technologen des Vattenfall-Konzerns werden die Paläontologen der Freien Universität dort weiter forschen und so vielleicht noch weitere Geheimnisse um die Brandenburger Neandertaler lüften.