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Monumentales Grab unter Prignitzer Bäumen

Neue archäologische Untersuchungen des Exzellenzclusters TOPOI zeigen erstmals, wie das Königsgrab von Seddin errichtet wurde

30.10.2013

Vor der 1899 entdeckten Grabkammer wurde um die Jahrhundertwende ein eisernes Tor errichtet. Die Grabkammer ist heute frei zugänglich.

Vor der 1899 entdeckten Grabkammer wurde um die Jahrhundertwende ein eisernes Tor errichtet. Die Grabkammer ist heute frei zugänglich.
Bildquelle: Nina Diezemann

Ein Teil der Grabbeigaben ist heute im märkischen Museum ausgestellt.

Ein Teil der Grabbeigaben ist heute im märkischen Museum ausgestellt.
Bildquelle: Berliner Stadtmuseum

Grabungsschnitte ermöglichen erstmals Einblicke in die Architektur des Grabhügels nahe Seddin.

Grabungsschnitte ermöglichen erstmals Einblicke in die Architektur des Grabhügels nahe Seddin.
Bildquelle: Nina Diezemann

Der Grabhügel bei Seddin

Der Grabhügel bei Seddin
Bildquelle: Nina Diezemann

Der Grabungsschnitt zeigt erstmals, wie das Hügelgrab errichtet wurde, und verdeutlicht die Dimensionen des Bauwerks.

Der Grabungsschnitt zeigt erstmals, wie das Hügelgrab errichtet wurde, und verdeutlicht die Dimensionen des Bauwerks.
Bildquelle: Nina Diezemann

Ein Teil der insgesamt 290 Meter langen Feuergrubenreihe wurde ebenfalls freigelegt. Die Funktion der mit brandrissigen Steinen dicht gefüllten Gruben ist noch unklar.

Ein Teil der insgesamt 290 Meter langen Feuergrubenreihe wurde ebenfalls freigelegt. Die Funktion der mit brandrissigen Steinen dicht gefüllten Gruben ist noch unklar.
Bildquelle: Nina Diezemann

Vor fast 3.000 Jahren muss das monumentale Grab in der sanft gewellten Landschaft der Prignitz schon aus mehreren Kilometern Entfernung sichtbar gewesen sein: ein gigantisches Bauwerk der Bronzezeit, ein mit Steinen oder einer dünnen Grasschicht bedeckter kuppelförmiger Hügel, zehn Meter hoch, mit einem Durchmesser von 62 Metern. Heute liegt das Grab, das 1899 bei Steinbrucharbeiten für den Chausseebau nahe der Ortschaft Seddin in der Prignitz entdeckt worden ist, versteckt unter Bäumen, zwischen Wäldern und Wiesen. Ein Forschungsprojekt des Exzellenzclusters TOPOI soll nun klären, wie das Grab in der Bronzezeit um 830 v. Chr. errichtet wurde und welche Bedeutung es hatte. Auch für Besucher soll ab Frühjahr 2013 dessen alte Größe wieder sichtbar werden.

Über 100 Jahre nach seiner Entdeckung gibt das sogenannte Königsgrab in der Prignitz immer noch viele Rätsel auf. Woher stammt das Baumaterial für den gewaltigen Hügel? Wie wurde er errichtet? Wie lebten die Menschen zusammen, die einem ihrer Anführer dieses Denkmal errichtet haben? Da es aus der Bronzezeit (2.200 bis 800 v. Chr.) im nördlichen Mitteleuropa keine schriftlichen Quellen gibt, erzählen materielle Überreste – wie der Hügel aus Sand und Steinen oder Gegenstände – die Geschichte.

1899 stießen Arbeiter auf der Suche nach Steinen auf eine kunstvoll aus Findlingen gebaute Grabkammer, darin drei Urnen und zahlreiche Grabbeigaben, die heute im Stadtmuseum Berlin ausgestellt sind. Auch diese sind bereits kurios, denn einzigartig und deshalb auf eine gewisse Weise besonders wertvoll sind nicht das Schwert, Zeichen von Macht und Würde, oder eine bronzene Amphore, verziert mit aufwendigem Punktmuster, das als Kalender gedeutet wird. Es sind zwei schlichte Nadeln aus Eisen. Diese Nadeln sind Vorboten der kommenden Eisenzeit. Eisen war in der ausgehenden Bronzezeit, in der das Grab entstand, ein noch neuartiges und deshalb wertvolles Metall, eine Grabbeigabe für einen mächtigen und offenbar Innovationen aufgeschlossenen Herrscher, der hier etwa vierzigjährig mit zwei jüngeren Frauen vermutlich gemeinsam bestattet wurde.

Herausragende Konzentration von Reichtum und Macht

Es sei das größte Hügelgrab im nördlichen Mitteleuropa, sagt Jens May, Gebietsarchäologe für das nordwestliche Brandenburg Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischem Landesmuseum. Seit mehr als zehn Jahren erforscht May gemeinsam mit Fachkollegen das Grab und dessen Umgebung und betreut das Projekt für den Exzellenzcluster Topoi. Geleitet wird das Projekt von Svend Hansen, Direktor der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, und Franz Schopper, Brandenburgischer Landesarchäologe, die beide an der Freien Universität Berlin lehren.

Nicht nur das Hügelgrab, auch die unmittelbar angrenzenden Flächen, die ganze Umgebung ist interessant. In unmittelbarer Nähe liegt eine 290 Meter lange, fast schnurgerade Feuergrubenreihe, bestehend aus gut 150 mit Steinen gefüllten, ungefähr 80 cm tiefen Gruben, deren Funktion noch nicht eindeutig geklärt ist. Nahezu in Sichtweite liegt in den nach ihrem damaligen Besitzer benannten „Wickboldschen Tannen“ das größte Hügelgräberfeld der Prignitz. Es bestand ursprünglich aus mehr als 100 Grabhügeln, die allerdings viel kleiner waren. Das mit etwa 40 Metern Durchmesser größte dieser Hügelgräber ist ein sogenanntes Schwertgrab, dessen Grabbeigaben im Zweiten Weltkrieg als „Beutekunst“ nach Russland verbracht wurden und zur Zeit in der umstrittenen Ausstellung „Bronzezeit – Europa ohne Grenzen“ zu sehen sind, die nach St. Petersburg nun in Moskau gezeigt wird.

„Die hohe Dichte an reich ausgestatteten Hügelgräbern und die für den Norden einzigartige Ballung von Schwertgräbern zeigt eine große Konzentration von Macht und Reichtum auf kleinstem Raum“, sagt Jens May. In den nächsten Jahren soll genauer datiert werden, in welchem Zeitraum die reichsten Gräber angelegt wurden, ob zeitgleich oder über einen längeren Zeitraum hinweg. Das könne Aufschluss über den Aufbau der Gesellschaft geben, vor allem über den der Eliten. Die Prignitz war in der Bronzezeit vermutlich ähnlich dicht bevölkert wie heute – damals allerdings eine dichte Besiedelung.

Einblicke in die Architektur des größten Grabhügels im nördlichen Mitteleuropa

Grabungsschnitte zeigen erstmals im Detail, wie der gewaltige Hügel des Seddiner Königsgrabs errichtet wurde. Durch geomagnetische Kartierung wurde das Gelände zunächst als Ganzes erfasst, auch um geeignete Orte für die ersten größeren wissenschaftlichen Ausgrabungen seit Entdeckung der Grabkammer zu finden. Durch die geomagnetischen Messungen konnte nicht nur der Steinkreis aus größeren Steinen um das Grab fast vollständig sichtbar gemacht, sondern auch dessen Durchmesser auf 62 Meter präzisiert werden.

Durch einen Grabungsschnitt an der südöstlichen Hangseite unmittelbar über der Grabkammer wurde nun deutlich, dass der Grabhügel wie eine „Schichttorte“, wie Jens May es ausdrückt, aus Steinen unterschiedlicher Größe und Sand gebaut wurde.

Der Steinkreis, der zuerst auf einem heute noch vorhandenen holzkohlehaltigen Kulturboden errichtet wurde, wurde mit einem einlagigen, wohl ebenen, Steinpflaster gefüllt. Wie dieses genau ausgesehen habe, wisse man wegen des kleinen Ausschnitts, der in dem Grabungsschnitt zu sehen ist, allerdings noch nicht, erklärt May. Bei einem Grabhügel in der Uckermark etwa seien in dieser „basalen Steinsetzung“ Muster gefunden worden, und auch bei anderen Grabhügeln gäbe es beispielsweise Radmotive. Auf das Steinpflaster kam eine Sandschicht als eigentliche Hügelschüttung, die dann erneut mit Steinen befestigt wurde. Diese Steinschicht verläuft in der unteren Hälfte des Grabhügels tatsächlich parallel zur heute geneigten Oberfläche des Hügels.

Es könnte sein, dass diese ebenfalls einlagige Steinschicht die alte bauzeitliche Oberfläche des Grabhügels bildete – „um den Hügel nach Außen als Steinbauwerk zu deklarieren und um gleichzeitig Erosion zu verhindern“, so May. Überrascht habe ihn der hohe Sandanteil, in älteren Quellen sei man immer von einem höheren Steinanteil ausgegangen. Vielleicht hat die Steinausbeutung des Hügels für den Chausseebau im 19. Jahrhundert bei älteren Forschungen den Blick verstellt.

Bei einem weiteren Grabungsschnitt im nächsten Sommer hofft May nicht nur auf weitere Einsichten in die komplexe Bauweise des Grabes, sondern auch darauf, die Verbrennungsstelle, die sogenannte Ustrine, zu finden. Das würde die genauere Datierung des komplexen Geschehens an der gewaltigsten urgeschichtlichen Grabbaustelle Brandenburgs mit Hilfe von C14-Messungen ermöglichen.

Wie lange der Bauprozess insgesamt gedauert hat, wie viele Menschen daran beteiligt waren – ob eine kleine Gruppe auserwählter Experten oder eine große Anzahl zwangsverpflichteter Arbeitskräfte – darüber kann man nur spekulieren. Jens May könnte sich auch vorstellen, dass der Ort bereits vor dem Begräbnis rituell genutzt worden ist.

Bauen für die Ewigkeit

Das Projekt ist Teil einer Forschergruppe. Sie besteht aus Wissenschaftlern des Exzellenzclusters Topoi, einem Forschungsverbund der Freien Universität und der Humboldt-Universität zu Berlin in Kooperation mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, dem Deutschen Archäologischen Institut und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Unter dem Titel „XXL – Monumentales Wissen“ beschäftigt sich die die Forschergruppe mit Großbauten in der Antike und untersucht antike Großbaustellen in Babylon oder Rom. Beispielsweise die Kurgane, Grabhügel in der eurasischen Steppe, die deutlich größer waren als das „Königsgrab“ der Prignitz. „In der Prignitz bedeutete ‚groß‘ etwas völlig anderes als in Rom oder Babylon“, sagt Jens May. Was in einer Gesellschaft als groß empfunden wurde und warum Gesellschaften sich solche aufwendigen Bauprojekte leisteten, soll durch den Vergleich ganz unterschiedlicher Kulturen herausgefunden werden.

Hinter allem stecke wohl dieselbe Idee: Macht dauerhaft sichtbar zu machen und für die Ewigkeit zu bauen, sagt May. Obwohl es durch den Chausseebau beschädigt ist und seit Langem baumbedeckt, zeugt das Seddiner Königsgrab noch heute vom großen Gestaltungswillen der damaligen Bevölkerung in der Region. Um weitere Rätsel zu lösen, die das Hügelgrab aufgibt, will May das Umfeld des Grabhügels erforschen: „Was groß ist, kann man nur sagen, wenn man auch weiß, was klein ist.“

Weitere Informationen

www.topoi.org