Alles im Blick beim Rückwärtsfahren
Intelligentes Assistenzsystem für Müllwagen der BSR soll Unfälle verhindern / Entwickelt von Ausgründung der Freien Universität
03.05.2013
Ein 26 Tonnen schweres Fahrzeug durch Berlins teilweise enge Straßen zu manövrieren – das ist trotz Rück- und Seitenspiegel, Einweisehilfe der Kollegen und Erfahrung des Fahrers kein Kinderspiel. Deshalb kommt es immer wieder zu Kollisionen mit Gegenständen oder – im schlimmsten Fall – mit Menschen. Um dies zu vermeiden, hat die Berliner Stadtreinigung (BSR) die Ausgründung der Freien Universität „AutoNOMOS Systems“ damit beauftragt, ein Konzept für eine Lösung des Problems zu entwickeln. Dabei herausgekommen ist ein intelligentes Kamerasystem, das die Fahrer der Müllautos beim Rückwärts-Navigieren unterstützen soll. Nach einer einjährigen Entwicklungsphase wird das sogenannte Rückfahr-Assistenzsystem (RAS) für ein Jahr im Straßenverkehr getestet, bevor entschieden wird, ob weitere Fahrzeuge der BSR damit ausgestattet werden.
Mit den bisherigen Ergebnissen seines ersten Auftrags ist das Team von „AutoNOMOS Systems“ um die Gründer Patrick Vogel, Tinosch Ganjineh und Michael Schnürmacher sehr zufrieden. Gemeinsam mit ihrem Mentor, Informatikprofessor Raúl Rojas, der die Arbeitsgruppe „Intelligente Systeme und Robotik“ am Fachbereich Mathematik und Informatik der Freien Universität leitet, setzen sich die Neu-Unternehmer mit der gesellschaftsrelevanten Frage nach sicherer Mobilität in der Zukunft aktiv auseinander. Gefördert wird die noch junge Ausgründung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Im Zentrum des BSR-Projekts stehen Patrick Vogel zufolge „der Schutz von Mitarbeitern und Passanten sowie die Unterstützung des Fahrers, ohne jedoch die Arbeitsabläufe zu behindern“. Im Falle eines Zusammenstoßes seien sowohl das Opfer als auch der Fahrer betroffen.
Um beide Seiten schützen zu können, müssten drei Voraussetzungen erfüllt sein: spezielle Abstandssensoren, zum Beispiel 3D-Kameras, Kenntnisse über die Arbeitsvorschriften sowie eine funktionierende Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Hierfür müssen die Kameradaten so aufbereitet werden, dass der Fahrer sie ohne weiteres verstehen und darauf reagieren kann.
„Technik, Know-how und komplexe Algorithmen“
Aufgenommen werden die Daten von Stereokameras, die im hinteren Bereich des Wagens in kleinen metallenen Kästen als Sensoren montiert sind. Das Besondere an den Kameras ist, dass sie einen Bereich aus verschiedenen Perspektiven filmen und so Tiefe und Abstand von Objekten wahrnehmen und darstellen können. Durch Sensoren am Heck und an den Seiten des Fahrzeugs werden der Rückraum und die Seitenbereiche des Wagens überwacht, da diese von der Fahrerkabine aus sonst kaum einsehbar sind.
Befindet sich innerhalb dieser Bereiche ein Mensch, Tier oder Gegenstand, erkennt das System die Gefahr: Ein Warnsignal ertönt, und auf dem Monitor in der Fahrerkabine wird das Hindernis rot angezeigt. Der Fahrer kann nun entsprechend reagieren oder – beispielsweise während der Einweisung durch andere BSR-Mitarbeiter – das Signal eigenständig ausschalten. Reagiert der Fahrer nicht, soll der Wagen in Zukunft selbstständig stoppen können – Tinosch Ganjineh zufolge ein großer Fortschritt, da Computer deutlich schneller reagierten als Menschen.
Auch die Trittbretter zu beiden Seiten der Ladeluke sowie der sogenannte Lifter, der die Mülltonnen anhebt und den Abfall ins Innere des Müllautos entleert, sind potentielle Gefahrenquellen für Mitarbeiter und Passanten. Deshalb überwachen die Kameras auch diese Bereiche. „Letztendlich“, sagt Ganjineh, „verbergen sich hinter diesem System ein hohes Maß an Technik und Know-how sowie komplexe Algorithmen zur Datenauswertung.“ Der Fahrer erhalte jedoch nur die Informationen, die er braucht, um rechtzeitig zu handeln.
Interaktion zwischen Mensch und Maschine
Ein Müllwagen wurde bisher mit dem Rückfahr-Assistenzsystem ausgestattet, um die Alltagstauglichkeit des Systems zu testen und herauszufinden, inwieweit die Mitarbeiter der BSR bereit sind, die neue Technik anzunehmen. Denn letztendlich hängt der Erfolg der Entwicklung von der Mensch- Maschine-Interaktion ab.
Der Prototyp des Kamerasystems wird auf mehreren Routen getestet, um verschiedene Gefahrensituationen und Besonderheiten des Straßenverkehrs berücksichtigen zu können. Die nun begonnene, einjährige Testphase soll zeigen, welche technischen Anpassungen unternommen werden müssen. Dann erst entscheidet sich, ob das System in Zukunft serienmäßig in die Müllwagen eingebaut wird und möglicherweise auch jenseits der Berliner Stadtreinigung für andere Sonderfahrzeuge geeignet wäre.