Springe direkt zu Inhalt

Detektivarbeit im Auftrag der Kunst

Wissenschaftler der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ enträtseln das Schicksal beschlagnahmter Kunstwerke zu NS-Zeiten

28.02.2013

NS-Propagandaminister Joseph Goebbels beim Besuch der Ausstellung „Entartete Kunst“ im Haus der Kunst in Berlin am 27. Februar 1938.

NS-Propagandaminister Joseph Goebbels beim Besuch der Ausstellung „Entartete Kunst“ im Haus der Kunst in Berlin am 27. Februar 1938.
Bildquelle: Bilderdienst Süddeutscher Verlag

Dr. Meike Hoffmann arbeitet an der Datenbank, die Auskunft über das Schicksal der Werke gibt, die von den Nationalsozialisten in deutschen Museen beschlagnahmt wurden.

Dr. Meike Hoffmann arbeitet an der Datenbank, die Auskunft über das Schicksal der Werke gibt, die von den Nationalsozialisten in deutschen Museen beschlagnahmt wurden.
Bildquelle: Jan Hambura

Adolf Hitler und Joseph Goebbels im Sammeldepot „Entartete Kunst“ in der Köpenicker Straße 24, fotografiert von Heinrich Hoffmann am 13. Januar1938.

Adolf Hitler und Joseph Goebbels im Sammeldepot „Entartete Kunst“ in der Köpenicker Straße 24, fotografiert von Heinrich Hoffmann am 13. Januar1938.
Bildquelle: Archiv Andreas Hüneke, Potsdam

„Schauen Sie, diese Zeichnung ist gerade wieder aufgetaucht. Auf dem Kunstmarkt, bei Christie's." Meike Hoffmann deutet auf die Bezeichnung „EK 6514“. Dahinter verbirgt sich Oskar Kokoschkas Arbeit mit dem Titel „Mädchenhalbakt – den Rock zwischen den Beinen durchgezogen (Tochter des Gauklers)“. Am 28. August 1937 wurde die Zeichnung von den Nationalsozialisten als „Entartete Kunst“ (EK) konfisziert. Fast 76 Jahre später ist sie kürzlich im Londoner Auktionshaus wieder aufgetaucht. „Das Auktionshaus Christie's hat uns kontaktiert, um etwas über die Herkunft des Werks zu erfahren“, sagt die promovierte Kunsthistorikerin Meike Hoffmann. Ein Idealfall für die Mitarbeiter der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin.

Die von Professor Klaus Krüger geleitete Forschungsstelle wurde im Frühjahr 2003 auf Initiative der Ferdinand-Möller-Stiftung gegründet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Freien Universität erstellen die weltweit einzige wissenschaftliche Datenbank, die Auskunft über das Schicksal der Werke gibt, die von den Nationalsozialisten in deutschen Museen beschlagnahmt wurden. Seit Frühjahr 2010 ist ein Teil der Datenbank online einsehbar. Im Herbst dieses Jahres, wenn die Forschungsstelle ihr zehnjähriges Bestehen feiert, sollen Informationen über mehr als 10 000 Werke online verfügbar sein. Was die Mitarbeiter von ihrem Büro aus der Koserstraße in Dahlem leisten, ist Detektivarbeit nach wissenschaftlichen Maßstäben – und ein Gewinn für die Aufarbeitung der NS-Kunstpolitik.

Unklare Definition, was als "entartet" galt

In den Jahren 1937/1938 beschlagnahmten die Nationalsozialisten mehr als 20 000 Werke moderner Kunst aus Museen und öffentlichen Sammlungen in Deutschland, die sie als „entartet“ bezeichneten. Darunter Werke von renommierten Künstlern wie Otto Dix, Käthe Kollwitz und Franz Marc. Was die Nationalsozialisten als „entartet“ bezeichneten, ist nicht immer eindeutig: „Alle Werke, die eine nicht-naturalistische Formgebung hatten, galten als ‚entartet‘. Gleiches galt für eine in den Augen der Nationalsozialisten widernatürliche Farbgebung oder für Werke mit sozialkritischen Themen. Außerdem galten die Darstellungen von Frauen, die nicht dem Mutter- und Frauenbild des Nationalsozialismus‘ entsprachen, als ‚entartet‘“, erklärt Meike Hoffmann.

Keine Restitutionsansprüche

Die beschlagnahmten Kunstwerke wurden in Depots gebracht, etwa in den Kreuzberger Viktoria-Speicher in der Köpenicker Straße oder ins Schloss Schönhausen. Ein Teil der Werke, die von den Nationalsozialisten  als „verwertbar“ eingestuft wurden, wurden auf dem internationalen Kunstmarkt zum Verkauf angeboten. Anders als bei Raub- oder Beutekunst aus Privatbesitz, können bei den 1937 beschlagnahmten Werken die betroffenen Museen heute keine Besitzansprüche geltend machen. „Weil es sich in diesen Fällen nicht um rassische oder politische Verfolgung handelt, bestehen keine Restitutionsansprüche“, sagt Hoffmann.

Ein kleiner Teil der Werke, etwa 600, wurden von 1937-1941 in der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ zur Schau gestellt. Eine Schmähausstellung, die die Werke des Expressionismus, Dadaismus, Surrealismus oder Kubismus verteufelte. „Die Ausstellung war reine Negativ-Propaganda“, sagt Hoffmann.

Das Schicksal nicht aller Werke wird geklärt werden können

Während das Schicksal von Gemälden berühmter Künstler weitestgehend rekonstruiert werden konnte, gestaltete sich die Spurensuche bei Papierarbeiten und Werken weniger bekannter Künstler mitunter schwierig. Die Recherche der Kunst-Detektive fußt auf dem von den Nationalsozialisten 1937/1938 angelegten Beschlagnahme-Inventar, in dem alle Werke verzeichnet wurden, die aus deutschen Museen und öffentlichen Sammlungen konfisziert worden sind. Künstlername, Herkunftsmuseum und die „EK-Nummern“ sind dort verzeichnet. Nicht immer wurde hier gründlich gearbeitet. In nur drei Monaten beschlagnahmten die Nationalsozialisten damals die verfemte Kunst. „Die Kennungen im Beschlagnahme-Inventar sind oft lücken- oder gar fehlerhaft“, sagt Hoffmann. Das macht die Identifizierung der mehr als 20.000 Kunstwerke zu einer Herausforderung für die Forscher. Das Schicksal aller Werke wird wohl nicht geklärt werden können. Trotzdem gibt es Erfolge: Knapp 3.300 Gemälde, Skulpturen oder Lithografien konnten wieder ausfindig gemacht werden.

Oskar Kokoschkas „Mädchenhalbakt“ wurde im Auktionshaus Christie’s im Februar für über 300 000 Euro versteigert. Dank der Forschungsarbeit von Meike Hoffmann und ihren Kollegen der Freien Universität Berlin kennt der neue Besitzer die bewegte Geschichte des Werkes.

Weitere Informationen

Studentische Forschungsarbeit

Auch die Studierenden des Kunsthistorischen Instituts leisten einen wesentlichen Beitrag zur kunsthistorischen Detektivarbeit: „Sie übernehmen in Form von Dissertations- oder Abschlussarbeiten einen großen Teil der Forschung, die sonst gar nicht zu schaffen wäre“, würdigt Andreas Hüneke, der seit fast vier Jahrzehnten wissenschaftlich im Bereich der NS-Kunstpolitik forscht, die Unterstützung. Der wissenschaftliche Nachwuchs in der noch jungen Provenienzforschung – der wissenschaftlichen Erforschung der Herkunft und der wechselnden Besitzverhältnisse eines Werkes – liegt den Kunsthistorikern der Freien Universität besonders am Herzen.