Strukturwandel der Öffentlichkeit 2.0
Die russische Journalistin und Humboldt-Stipendiatin Anna Litvinenko erforscht das Verhältnis von neuen Medien und Politik in Deutschland und Russland
30.01.2012
Als im Dezember vergangenen Jahres der Wahlsieg von Putins Partei verkündet wurde, protestierten in Russland Tausende. Mit den Demonstrationen, die über Online-Plattformen und soziale Netzwerke wie Facebook organisiert wurden, drückte die junge Generation ihren Unmut über die Wahlfälschungen und das repressive politische Klima aus. Die russische Journalistin und promovierte Kommunikationswissenschaftlerin Anna Litvinenko arbeitet an der Freien Universität als Alexander von Humboldt-Stipendiatin zum Verhältnis von Medien und Politik.
Das Faszinierende an ihrem Forschungsgegenstand liegt Anna Litvinenko zufolge in der Unberechenbarkeit der neuartigen netzwerkgesteuerten Aktionen: „Niemand wusste im Dezember in Russland, worauf diese Schwarmbewegung aus dem Internet hinausläuft – man hatte keine Ahnung, was auf der Straße passieren würde.“
Das World Wide Web verändert die politische Kommunikation, schafft neue Räume zwischen Öffentlichkeit und Privatem und wirkt auf ältere Medien zurück – das gilt für Russland ebenso wie für Deutschland: Was dort die webgesteuerten Proteste gegen Putins Wahlsieg waren, sind hier der Erfolg der Piratenpartei bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2011 oder die Plagiatsaffäre um Karl-Theodor zu Guttenberg.
Mediendemokratie im Zeitalter des Internets
„Medien und Politik im modernen Deutschland: Mediendemokratie im Zeitalter des Internets“, heißt das Projekt, an dem die Journalistin und Kommunikationswissenschaftlerin Anna Litvinenko seit September 2011 als Stipendiatin der Alexander von Humboldt -Stiftung am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität forscht. Schon als Schülerin interessierte sich die heute 30-Jährige für Journalismus und hospitierte bei der Lokalzeitung ihres Heimatortes. Die Verbindung zu Deutschland ergab sich während des Studiums der Journalistik in St. Petersburg, als sie eine zweite Fremdsprache lernen wollte – und nur Deutsch zur Wahl stand.
Deutsch-Russisches Zentrum für Journalistik
Aus dieser ‚Not’ wurde ein Wegweiser: Anna Litvinenko absolvierte Praktika bei deutschen Zeitungen und Magazinen, arbeitete von 2004 bis 2005 als Redaktionsleiterin der deutschsprachigen „St. Petersburgischen Zeitung“ und schrieb ihre Promotion zu Überlebensstrategien deutscher Zeitungen im 21. Jahrhundert. Im Jahr 2010 gründete sie das Deutsch-Russische Zentrum für Journalistik an der Journalistischen Fakultät der staatlichen Universität St. Petersburg, wo sie auch als Dozentin tätig ist.
Hier werden Kooperationsprojekte mit deutschen Hochschulen, wie der Freien Universität Berlin, realisiert, im Vordergrund steht der Austausch: „Es gibt unglaublich viele Kontakte zwischen Russland und Deutschland“, erklärt die Journalistin. „Beide Völker haben eine große Affinität zueinander, sie ergänzen sich: die spontanen, emotionalen Russen und die rationalen Deutschen. Das mag ein bisschen klischeehaft klingen, aber oft trifft es zu.“
Das subversive Potenzial neuer Medien in Deutschland und in Russland zu beobachten, ist Anna Litvinenko zufolge eine der wichtigsten Fragestellungen der Gegenwart, die Wissenschaftler und Journalisten gleichermaßen beschäftigt.