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Von Kältewellen, Untiefen und sprechenden Präsidentenhunden

Am Lateinamerika-Institut der Freien Universität fand ein Workshop zur neuesten lateinamerikanischen Literatur statt

16.12.2010

Neueste lateinamerikanische Literaturen: Auf der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt war Argentinien das Gastland.

Neueste lateinamerikanische Literaturen: Auf der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt war Argentinien das Gastland.
Bildquelle: Rike Bolte

Expertinnen für lateinamerikanische Literaturen: Dr. Michi Strausfeld, Literaturagentin und Lektorin im S. Fischer-Verlag (rechts), und Prof. Dr. Susanne Klengel, LAI der Freien Universität

Expertinnen für lateinamerikanische Literaturen: Dr. Michi Strausfeld, Literaturagentin und Lektorin im S. Fischer-Verlag (rechts), und Prof. Dr. Susanne Klengel, LAI der Freien Universität
Bildquelle: Sarah Murrenhoff

Was zeichnet die lateinamerikanische Literatur der vergangenen zehn Jahre aus? Welche Themen behandelt sie, welche „Baupläne“ liegen den Werken zugrunde? Diesen Fragen widmeten sich kürzlich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Rahmen eines Workshops am Lateinamerika-Institut der Freien Universität.

„Die Lust am Text“ hatte der französische Philosoph und Literaturkritiker Roland Barthes das genannt, was die Lektüre eines Textes – im besten Fall – auslöst. Um Leselust und die Entdeckerlust gerade an solchen lateinamerikanischen Texten, die von der Öffentlichkeit und der akademischen Kritik bisher noch nicht wahrgenommen worden sind, ging es in dem Workshop „Die Lust am Text: Novísimas Literaturas Latinoamericanas (2000-2010)". Ausgerichtet und veranstaltet wurde er Anfang Dezember von Professorin Susanne Klengel und ihrer Projektmitarbeiterin Rike Bolte vom Lateinamerika-Institut der Freien Universität.

Lateinamerika-Literatur aus den Jahren 2000 bis 2010

Die meisten der insgesamt 13 besprochenen Autorinnen und Autoren aus Mexiko, El Salvador, Puerto Rico, Brasilien, Argentinien, Chile, Kolumbien, Trinidad und Martinique sind bisher von der akademischen Kritik noch kaum kommentiert worden. Die prominente Literaturagentin und ausgewiesene Expertin lateinamerikanischer Literaturen Michi Strausfeld vom Frankfurter Fischer-Verlag  eröffnete die Veranstaltung mit einem Vortrag zur „Lateinamerikanischen Literatur im 21. Jahrhundert“.

Themenvielfalt

Die besprochenen Romane –  das zeigte der Workshop – decken ein breites Themenspektrum ab. Sie behandeln vielfältige räumliche und kulturelle Bewegungen und Transformationen und nehmen überdies den menschlichen Körper in den Blick: in seiner Gefährdung durch Deformation, Krankheit und Tod. Auf der ästhetischen Ebene lässt sich eine Neigung zum Fragment feststellen, die bisweilen zu einer rein seriellen oder auch scheinbar chaotischen Aneinanderreihung von Inhalten führt. Als verbindendes Element taucht wiederholt das Moment des Performativen auf: Sei es, dass sich Wissen in dialogischer Form herausbildet, sei es, dass beispielsweise ein verquerer Präsidentenhund ein virtuelles Publikum an seinem Sprechakt teilhaben lässt.

Augenfällig war, dass eine Tendenz zur „Semantik der Kälte“ festgestellt werden konnte: Emotionen scheinen sich aufzulösen und werden körpersprachlich ausgedrückt. Die Texte, so ein weiteres wichtiges Ergebnis der vielfältigen professionellen Lektüren, die vorgestellt und über die debattiert wurde, bewegen sich  oftmals an einer Oberfläche, die die „Untiefe“ in ihrer ganzen Ambivalenz nicht aus- sondern einschließt.

Synästhetische Arbeit

Abgerundet wurde der Workshop durch einen ungewöhnlichen Beitrag der chilenischen Autorin Lina Meruane: Sie gab mit einer Bild-Text-Performance einen Einblick in ihre literarische Arbeit, die stets verschiedene Sinne anspricht: Durch die Einspielung von Bildern während ihrer Lesung aus einem Roman, den sie momentan in Berlin verfasst, führte sie die Workshopteilnehmer zurück zum Ausgangspunkt der literarischen Erkundungsreise: zu jenem unter die Haut gehenden Rezeptionsakt, den Roland Barthes  als „Lust am Text“ bezeichnet hat.

Forschungsausblick: Die Literatur Brasiliens und die frankophonen Literaturen der Karibik

In welche Richtung sich die lateinamerikanischen Literaturen entwickeln werden – die sich während des Booms in den siebziger und achtziger Jahren mit Namen wie Gabriel García Márquez oder Isabel Allende verbunden haben – soll am Lateinamerika-Institut weiter beobachtet werden. Der Fokus des wissenschaftlichen Interesses liegt als nächstes auf Brasilien und den frankophonen Literaturen der Karibik.