Springe direkt zu Inhalt

Kunsthistoriker der Freien Universität identifizieren „Entartete Kunst“

Mitarbeiter der Forschungsstelle recherchierten jüngste Skulpturenfunde der Grabung vor dem Berliner Roten Rathaus

16.11.2010

Bei der Grabung vor dem Roten Rathaus entdeckt: Skulpturen von Gustav Heinrich Wolff (stehende Gewandfigur, links); Naum Slutzky (weibliche Büste, Mitte) und ein unidentifiziertes Werk

Bei der Grabung vor dem Roten Rathaus entdeckt: Skulpturen von Gustav Heinrich Wolff (stehende Gewandfigur, links); Naum Slutzky (weibliche Büste, Mitte) und ein unidentifiziertes Werk
Bildquelle: Landesdenkmalamt Berlin

Besonders kunstvoll sieht die Baugrube um das Rote Rathaus eigentlich nicht aus: Dort wird für eine Verlängerung der U-Bahn-Linie 5 gegraben. Als wahre Kunstgrube entpuppte sich die unterirdische Baustelle, als dort kürzlich elf Statuen gefunden wurden, die von den Nationalsozialisten als „Entartete Kunst“ diffamiert worden waren. Kunsthistoriker der Freien Universität halfen dabei, den verloren geglaubten Kunstwerken ihre Schöpfer zuzuordnen.

„Die Funde sind sensationell“, sagt Meike Hoffmann. „Kunstwerke, die von den Nazis zur Vernichtung vorgesehen waren oder bis heute als verschollen galten, tauchen plötzlich wieder auf und weisen uns auf ganz neue Spuren für unsere Recherche hin.“ Die promovierte Kunsthistorikerin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektkoordinatorin an der 2002 gegründeten Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der Freien Universität.

Und so kam es zu der einzigartigen Entdeckung: Im Herbst informierte der Grabungsleiter und Landesarchäologe Berlins Matthias Wemhoff Meike Hoffmann über die Funde und bat sie um Hilfe bei der Identifizierung der Kunstobjekte. Wemhoff ist Direktor des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte und zugleich Honorarprofessor an der Freien Universität.

Alle Daten sind in der Online-Datenbank der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ nachzulesen

Gemeinsam mit Mitarbeitern des Georg-Kolbe-Museums gelang es Meike Hoffmann und ihren Kollegen von der Forschungsstelle, acht der insgesamt elf gefundenen Skulpturen eindeutig zu identifizieren. „Die Werke stammen alle aus dem Beschlagnahmegut der Aktion , Entartete Kunst‘ aus dem Jahr 1937“, sagt Hoffmann. Die Mitarbeiter der Forschungsstelle konnten zu den Plastiken historische  Abbildungen liefern sowie Angaben zu den Objekten, Herkunftsmuseen, zur Beschlagnahme, Depotlagerung und zu den Provenienzen. Alle Informationen können jetzt in der öffentlich zugänglichen Online-Datenbank der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ abgerufen werden – die Eingabe der Begriffe „Berlin, Neues Museum“ genügt.

Um Mithilfe wird gebeten: Wer kennt die noch nicht identifizierten Kunstwerke?

Zu den gefundenen Skulpturen zählen unter anderen die Figur „Die Tänzerin“ von Margarete Moll, ein schwarz glasierter Kopf aus Terrakotta des Künstlers Otto Freundlich, sowie eine „stehende Gewandfigur“ von Gustav Heinrich Wolff. Alle elf Skulpturen sind derzeit im Neuen Museum in Berlin ausgestellt. Die drei noch nicht identifizierten Kunstwerke können ebenfalls auf den Seiten der Forschungsstelle angesehen werden. Die Wissenschaftler appellieren an die Öffentlichkeit und freuen sich über Unterstützung: „Wer die Kunstobjekte kennt, kann sich gern an uns wenden“, sagt Meike Hoffmann, „wir freuen uns über jeden Hinweis.“

Gefunden wurden die Skulpturen auf dem Grundstück eines Hauses, das im „Dritten Reich“ unter anderem von dem Wirtschaftstreuhändler Erhard Oewerdieck bewohnt wurde. „Es ist noch völlig unklar, welche Verbindung die Anwohner des Hauses zu den Kunstwerken haben und wie sie dort hingelangten“, sagt Hoffmann.