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Das unsichere Geschäft mit der Sicherheit

Am Sonderforschungsbereich „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“ forscht Professor Sven Chojnacki zu Sicherheit in Krisenregionen

06.02.2009

Im Sonderforschungsbereich 700 werden Gewaltkonflikte räumlich und zeitlich erfasst. In Somalia zeigt sich eine deutliche Veränderung zwischen 1991 und 2007 - die Zahl der Konflikte hat sich erhöht, die Austragungsorte haben sich verschoben.

Im Sonderforschungsbereich 700 werden Gewaltkonflikte räumlich und zeitlich erfasst. In Somalia zeigt sich eine deutliche Veränderung zwischen 1991 und 2007 - die Zahl der Konflikte hat sich erhöht, die Austragungsorte haben sich verschoben.
Bildquelle: Sven Chojnacki

Sicherheit ist dazu da, Unsicherheit zu reduzieren – oder? Wenn ökonomische Interessen eine Rolle spielen, sind es aber oft Sicherheitsunternehmen, die Unsicherheit schüren und davon profitieren. Ein Paradoxon, mit dem sich Sven Chojnacki, Professor für Politikwissenschaft, im Sonderforschungsbereich 700 „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“ beschäftigt.

Der Sonderforschungsbereich untersucht Steuerungs- und Regelungssysteme in Räumen begrenzter Staatlichkeit unter vier Gesichtspunkten: Theorie, Herrschaft, Sicherheit und Wohlfahrt. Im Bereich Sicherheit leitet Sven Chojnacki die zwei Teilbereiche „Privatisierung und Kommerzialisierung von Sicherheit in zerfallen(d)en Staaten“ und „Krieg und (Un-)Sicherheit in Räumen begrenzter Staatlichkeit“.

Der Begriff der „Sicherheits-Governance“, mit dem im Teilprojekt gearbeitet wird, bezeichnet Regelungsprozesse, durch die Sicherheit gezielt als öffentliches Gut für eine bestimmte Gruppe von Empfängern bereitgestellt wird. Das Konfliktverhalten einiger nicht-staatlicher Gewaltakteure in Räumen begrenzter Staatlichkeit kann man als neue Formen der „Governance“, also des Regierens, bezeichnen: Die Bereitstellung von Sicherheit ist hierbei eine Art „Regierungsleistung“.

Sicherheit – ein öffentliches Gut von privaten Akteuren?

In dem Forschungsprojekt von Sven Chojnacki wird unterschieden zwischen drei Konzepten von „Sicherheits-Governance“: Bei der „institutionalisierten Sicherheit“ geht es zum Beispiel darum, Sicherheit als öffentliches Gut innerhalb eines Territoriums für die Bevölkerung zur Verfügung zu stellen; Mittel ist der militärische Schutz der Außengrenzen. Das zweite Konzept, die „selbstorganisierte Sicherheit“ ist eine Art Ad-hoc-Reaktion auf Gewaltsituationen, die dem Selbstschutz dient. Die vielleicht wichtigste Botschaft: Der „Schatten der Hierarchie“ muss nicht unbedingt vom Staate ausgehen, sondern wird auch zumindest zeitweise von einigen lokalen Gewaltakteuren ausgeübt – wohingegen andere Kriegsherren nur an der Gewalt und Ressourcenausbeutung verdienen wollen.  

Sicherheit als privates Gut beschreibt das dritte Konzept der „kommerzialisierten Sicherheit“, bei der private Dienstleister diverse „Schutzleistungen“ anbieten. „Wir haben selbst Daten erhoben zu privaten Sicherheitsfirmen und ihren Einsatzorten, und die Erkenntnisse sind wirklich bemerkenswert“, sagt Projektleiter Chojnacki. „Kommerzialisierte Sicherheit ist nicht nur während der Kriege zu beobachten, sondern taucht auch immer mehr nach Kriegen beim Versuch des Wiederaufbaus von Staatlichkeit auf.“

„Die Grenze zu den Kernkompetenzen des Militärs und der Polizei bei der Aufrechterhaltung öffentlicher Sicherheit verschwimmt dabei immer mehr, denn private Sicherheitsfirmen bieten als Dienstleister das ganze Spektrum an“, sagt Chojnacki. Das sei auch deshalb problematisch, weil die privaten Sicherheitsakteure oftmals in den Augen der Adressaten kaum legitimiert seien, kein ausreichendes Wissen über die Gesellschaft vor Ort mitbrächten und mit an der „lokalen Eskalationsschraube“ drehen würden. 

Ziel: Globaler Datensatz zu Gewaltkonflikten der vergangenen 20 Jahre

Die Datensätze zu privaten Sicherheitsunternehmen und lokalen Gewaltereignissen am Sonderforschungsbereich seien weltweit einzigartig. „Bisher hat man sich Kriege und Gewaltkonflikte oft nur auf staatlicher Ebene angeschaut“, sagt Chojnacki, „uns geht es darum, Ereignisdaten sämtlicher Bürgerkriegsräume der vergangenen 20 Jahre zusammenzustellen und diese zeitlich und geographisch zu verorten.“ Alle Gewaltereignisse werden zunächst unabhängig von Staaten erfasst. Der Vorteil an diesem Verfahren: Auch grenzüberschreitende Konflikte und Interventionen von Drittparteien werden registriert und aufbereitet. Für Somalia und die Demokratische Republik Kongo ist die Datenerfassung bereits abgeschlossen: „Dort stießen wir auf Zeiten und Räume, die deutlich weniger von Gewalt betroffen waren – aber es gab auch immer wieder Hotspots, wie zum Beispiel Kämpfe in der Hauptstadt Mogadischu oder an Transportrouten und wichtigen Häfen.“

160 Gewaltakteure in Somalia

„Außerdem galt Somalia immer als besonders gewalttätig gegen seine Zivilbevölkerung“, sagt Chojnacki, „das können wir anhand unserer Daten nicht bestätigen: Vielmehr ist es so, dass es eher direkte Kämpfe zwischen den Gewaltakteuren, also zwischen Clans oder Milizen gab.“ Gewalt gegen die Zivilbevölkerung sei keine Randerscheinung; man habe sie aber vor allem als Folge von externen Interventionen registriert.

Darüber hinaus haben die Untersuchungen ergeben, dass nicht nur Häfen und Verkehrsknotenpunkte Ziele von Gewaltaktionen seien, sondern auch Herrschaftsgebiete an den Rändern von Somalia. Beachtlich sei auch die hohe Zahl an Akteuren, die in die Konflikte involviert waren: „Insgesamt gab es 160 verschiedene Gewaltakteure, und nur einer oder zwei von ihnen sind innerhalb der vergangenen 20 Jahre kontinuierlich aufgetreten – das zeigt, wie flüchtig die Gruppierungen sind.“ Gleichzeitig signalisiere dies die Unfähigkeit vieler nicht-staatlicher Konfliktakteure, Formen der Gewaltkontrolle oder Friedensvereinbarungen verbindlich und dauerhaft durchzusetzen.