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Eine „Verfassung“ für die Freie Universität Berlin

Neue Grundordnung ist in Kraft getreten / Interview mit Universitätspräsident Günter M. Ziegler

02.04.2025

Blick auf den Dahlemer Campus der Freien Universität Berlin.

Blick auf den Dahlemer Campus der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Dirk Laubner

Die Freie Universität Berlin hat eine neue Grundordnung. Sie löst die bisher geltende Teilgrundordnung von 1998 ab. Nötig geworden war die neue Regelung durch das novellierte Berliner Hochschulgesetz; alle Hochschulen Berlins waren aufgefordert, ihre Grundordnungen anzupassen. Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler im Gespräch darüber, wie die neue Regelung entstanden ist, was neu ist und was bleibt, und wie wichtig einleitende Worte sind.

Herr Professor Ziegler, was ist, kurz gesagt, eine Grundordnung? Kann sie die Verfassung einer Universität genannt werden?

Das ist kein schlechter Vergleich, aber doch nicht ganz zutreffend. Die Grundordnung ist neben dem Berliner Hochschulgesetz der wichtigste Rechtstext bezüglich der Verfasstheit einer Universität. Sie stellt einen gültigen Rechtsrahmen dar für die Universität und ihre Leitung, für die demokratischen Abläufe und die Verwaltung.

Universitätspräsident Prof. Dr. Dr. h.c. Günter M. Ziegler

Universitätspräsident Prof. Dr. Dr. h.c. Günter M. Ziegler
Bildquelle: David Ausserhofer

Die Gründung der Freien Universität jährt sich in diesem Jahr zum 77. Mal. Auf welcher Rechtsgrundlage stand die Freie Universität dann vor der neuen Grundordnung?

Es mutet überraschend an, dass die Freie Universität jetzt erstmals eine Grundordnung hat, obwohl die Universität älter ist als das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Natürlich gab es für unsere Universität auch zuvor ein Regelwerk für ihre Organisation, und zwar neben dem Berliner Hochschulgesetz die Teilgrundordnung der Freien Universität von 1998.

In dieser Teilgrundordnung – sie wird so genannt, weil nicht alle an sich in einer Grundordnung zu regelnden Fragen dort adressiert wurden –, war einiges anders festgelegt, als es die Standardregelungen des Berliner Hochschulgesetzes damals vorsah. Dafür hat die Freie Universität die sogenannte Erprobungsklausel genutzt, die es den Hochschulen ermöglichen sollte, flexibel und autonom innovative Strukturen und Prozesse zu erproben.

Als wir mit der Novelle des Hochschulgesetzes den Auftrag bekommen haben, der Freien Universität eine neue Grundordnung zu geben, wollten wir das Bewährte mitnehmen. Das „Wir“ ist hier tatsächlich ein gemeinsames Wir, und das ist uns wichtig: Die Grundordnung haben nicht Präsidium oder Rechtsamt quasi im stillen Kämmerlein erarbeitet, sondern sie ist in einem partizipativen und demokratischen Prozess entstanden.

Wie war dieser Prozess strukturiert?

Das Präsidium und der Akademische Senat haben eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingesetzt. Diese gAG hat sämtliche Vorschläge und Komponenten der Grundordnung gesichtet und diskutiert, Konsense hergestellt und diese in Meinungsbildern festgehalten, über die abgestimmt wurde. Die wenigen Punkte ohne Konsens wurden im Kuratorium und im erweiterten Akademischen Senat beraten und endgültig entschieden.

Es war ein umfassender Prozess mit jeder Menge Arbeit im Hintergrund. Am Ende stand die Genehmigung durch die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege.

Welches sind wichtige Änderungen?

Für mich ist das Wichtigste, dass sich nicht viel ändert, jedenfalls im Vergleich zur bisherigen Teilgrundordnung – zu den im Berliner Hochschulgesetz vorgegebenen Standardregeln gibt es viele Abweichungen.

Die nun von der Senatsverwaltung genehmigte Grundordnung bildet umfassend die bewährte dezentrale Struktur der Freien Universität ab mit ihren Fachbereichen, Fachbereichsräten und Dekanaten, die eine große eigenständige Regelungs- und Gestaltungskompetenz haben. Das war in der Teilgrundordnung schon so, und das ist nun grundsätzlich abgesichert.

Auch wenn wir nicht ohne Rechtsgrundlage waren, so war es doch ein zunehmend schwieriger werdender Zustand, weil die Teilgrundordnung von 1998 gleichblieb, aber das Berliner Hochschulgesetz seitdem immer wieder geändert wurde. Nun haben wir eine stabile Grundlage, auf der wir arbeiten können. Das ist ein wichtiger und notwendiger Schritt für unsere Universität.

Werden die Mitglieder der Freien Universität das Inkrafttreten der neuen Grundordnung im Alltag bemerken?

Das wird größtenteils ganz geräuschlos gehen, denn zum Glück bleibt ja vieles Bewährte. Bemerken kann man es zum Beispiel, weil es neue Gremien und Vertretungen gibt, zum Beispiel die Promovierendenvertretung.

Veränderungen wird es auch bei den anstehenden Wahlen geben: Bisher wurde der Kanzler oder die Kanzlerin vom Kuratorium gewählt, auf Vorschlag des Präsidenten oder der Präsidentin. Das geht aufgrund eines Verfassungsgerichtsurteils nicht mehr, das besagt, dass ein Kollegialgremium wie unser Präsidium in allen Teilen vom selben Gremium gewählt werden muss. Deshalb wird künftig das ganze Präsidium vom erweiterten Akademischen Senat der Freien Universität gewählt.

Außerdem müssen künftig zur Vorbereitung der Wahl des Amtes des Präsidenten oder der Präsidentin und für das Amt des Kanzlers oder der Kanzlerin Findungskommissionen eingesetzt werden. Diese Kommissionen dürfen dann auch Personalagenturen einschalten. Das sind Veränderungen, die aufgrund von Lehren aus der Vergangenheit getroffen wurden. Es ist wichtig, dass die Zustimmungen der Gremien der Freien Universität und der Senatsverwaltung gegeben sind. Wir brauchen diese Regelungen in naher Zukunft: Im Laufe des kommenden Jahres stehen Wahlen für das Präsidium an, und die werden auf Basis der neuen Grundordnung organisiert.

Die Teilgrundordnung war 27 Jahre lang in Kraft. Gehen Sie davon aus, dass auch die neue Grundordnung so lange halten wird?

Ein Blick in die Zukunft ist immer schwierig. Die neue Grundordnung bietet eine sehr gute und stabile Grundlage, auf der wir arbeiten und gestalten können, und die in verschiedenen Komponenten zu ändern und fortzuschreiben sein wird. Es gehört zu einem Rechtstext dazu, dass Dinge geändert oder ergänzt werden müssen, die sich nicht bewähren.

Haben Sie eine Lieblingsstelle im Dokument?

Die Grundordnung ist natürlich als Gesamtes aufgebaut und wirkt als solches. Ich freue mich aber besonders über die Präambel. Dieser wichtige und schöne Text leitet die Grundordnung ein und zeigt das Selbstverständnis unserer Universität – er zeichnet keine neue Freie Universität, sondern gibt ihr, wie sie besteht mit ihrer Geschichte und ihrer Struktur, einen würdigen Rahmen.

Was die Grundordnung nicht enthält, sind die Namen der vielen Menschen, die an ihr mitgewirkt haben, denn ein solches Dokument nennt keine Autorinnen und Autoren. Es waren so viele Personen beteiligt, in der gAG, im AS und Kuratorium, im Präsidium, in den Stabsstellen des Präsidiums, besonders das Rechtsamt, die Stabsstelle Gremien und die Stabsstelle Strategie und Koordination. Alle Kolleginnen und Kollegen zusammen haben einen wirklich guten Prozess gestaltet.

Deshalb gilt der große Dank des Präsidiums allen, die mitgewirkt haben. Wir haben über Dinge kontrovers diskutiert und gestritten, aber immer orientiert an der Sache und am Ziel. Alle waren mit Leidenschaft dabei, denn es ging um eine Art Verfassung für die Freie Universität.

Die Fragen stellte Kerrin Zielke

Weitere Informationen

Aus der Präambel der Grundordnung

Der Anspruch und das Selbstverständnis der Freien Universität Berlin werden maßgeblich durch die Begriffe Veritas, Iustitia und Libertas bestimmt: Veritas – Wahrheit – als das höchste Ziel von Forschung und Lehre, Iustitia – Gerechtigkeit – als die Ausrichtung an einem allgemein anerkannten Wertekanon im Zeichen persönlicher Verpflichtung und gesellschaftlicher Verantwortung, Libertas – Freiheit – als die Grundvoraussetzung gemeinwohlförderlicher Forschung und Lehre. Nur dort, wo Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit sich wechselseitig ergänzen, entsteht ein Raum für intellektuelle Gemeinschaft und einen produktiven Austausch der Gedanken in einem offenen Diskurs. Daran sieht sich die Freie Universität Berlin in Lehre, Forschung und Selbstverwaltung gebunden. Die Freie Universität Berlin sieht sich ebenso dem Schutz des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates und seiner Grundwerte in Lehre, Forschung und Organisationskultur verpflichtet. (…)