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Für mehr Vielfalt in den Parlamenten

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas diskutierte an der Freien Universität mit Julia Reuschenbach, Thorsten Faas und Studierenden

12.11.2024

Bärbel Bas plädiert für gesetzliche Quotenregelungen: „Der Frauenanteil im Bundestag stagniert seit drei Jahrzehnten bei rund 35 Prozent."

Bärbel Bas plädiert für gesetzliche Quotenregelungen: „Der Frauenanteil im Bundestag stagniert seit drei Jahrzehnten bei rund 35 Prozent."
Bildquelle: Michael Fahrig

Der typische Bundestagsabgeordnete ist ein männlicher, weißer Akademiker gehobenen Alters. Kann die repräsentative Demokratie so ihrem Anspruch gerecht werden, alle Bürger*innen des Landes parlamentarisch zu vertreten? Und wenn nicht – wie kann mehr Vielfalt gelingen? Darüber sprach Bundestagspräsidentin Bärbel Bas am 11. November auf Einladung des Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft der Freien Universität.

In einer repräsentativen Demokratie werden die Bürger*innen durch Abgeordnete politisch vertreten. Viele fordern daher, dass die Parlamente ein möglichst breites Abbild der Gesellschaft bieten. Doch kaum ein Parlament wird diesem Anspruch gerecht – auch der Deutsche Bundestag, dessen Zusammensetzung deutlich männlicher, weißer, älter und akademischer ist als der Bundesdurchschnitt. Gelingt es den Abgeordneten trotzdem, die Anliegen aller Bundesbürger*innen zu vertreten?

Zahlreiche Studierende suchten am 11. November 2024 das Gespräch mit Bundestagspräsidentin Bärbel Bas.

Zahlreiche Studierende suchten am 11. November 2024 das Gespräch mit Bundestagspräsidentin Bärbel Bas.
Bildquelle: Michael Fahrig

„Natürlich kann man sich in Lebenswelten einfühlen und -arbeiten, die einem persönlich fremd sind“, sagt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. „Doch Empathie und Expertise können eigene Lebenserfahrung nicht ersetzen. Nicht jeder Migrationsexperte weiß, wie sich Flucht anfühlt, eine Gesundheitsexpertin nicht zwangsläufig, wie es ist, als Gehörlose in Deutschland zu leben.“

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (Mitte) mit Dr. Julia Reuschenbach und Prof. Dr. Thorsten Faas vom Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (Mitte) mit Dr. Julia Reuschenbach und Prof. Dr. Thorsten Faas vom Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft.
Bildquelle: Michael Fahrig

Die Bundestagspräsidentin und SPD- Abgeordnete war in dieser Woche an der Freien Universität zu Gast. Im Rahmen der Ringvorlesung „It’s representation, stupid?! Das Gleichheitsversprechen in modernen politischen Demokratien“ des Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft diskutierte sie dort mit den Politikwissenschaftler*innen Julia Reuschenbach und Thorsten Faas. Im Zentrum stand die Frage, wie mehr Vielfalt in den deutschen Parlamenten gelingen kann.

„Der aktuelle Bundestag ist bunter denn je. Die Abgeordneten haben verschiedenste Berufserfahrungen und Herkunftsgeschichten“, sagt Bärbel Bas. „Doch wir brauchen noch mehr Vielfalt und politische Maßnahmen, um diese Vielfalt zu erreichen.“

Nur wenn die Menschen in Deutschland sich in den Parlamenten angemessen vertreten fühlten, könne das Vertrauen in die Demokratie langfristig gestärkt werden.

Quote? Ja, natürlich!

Um die Zusammensetzung des Bundestages und anderer Parlamente stärker zu durchmischen, plädiert Bärbel Bas auch für gesetzliche Quotenregelungen. „Der Frauenanteil im Bundestag stagniert seit drei Jahrzehnten bei rund 35 Prozent“, sagt sie. „Wir sehen, dass es uns ohne gesetzliche Regelungen nicht gelingt, Geschlechterparität zu erreichen.“

Gleichzeitig müssten sich jedoch auch die Strukturen im politischen Betrieb ändern. „Wir müssen unsere Tagungsstrukturen anpassen, sodass beispielsweise auch junge Mütter teilnehmen können“, sagt die Politikerin. „Noch immer finden die entscheidenden Sitzungen abends oder sogar spätnachts statt.“

Neben der Parität sei es auch wichtig, für eine größere soziale Durchmischung zu sorgen. „Immer weniger Menschen aus sogenannten einfachen Verhältnissen werden Abgeordnete“, sagt Bärbel Bas. „Um solche Strukturen aufzubrechen, muss die Politik gezielt um Menschen in den verschiedensten Kreisen der Bevölkerung werben – und das möglichst früh, beispielsweise durch Besuche in Schulklassen.“

Beteiligungsinstrument Bürgerräte

Ein Mittel, um für mehr politische Beteiligung zu sorgen, sieht die Bundestagspräsidentin in der Form von Bürgerräten. Im vergangenen Jahr hatte sie deshalb den ersten Bürgerrat in der Geschichte des Deutschen Bundestages ausgelost. 160 Bürger*innen kamen zusammen, um über das Thema „Ernährung im Wandel“ zu diskutieren.

„Über ein komplexes Berechnungsverfahren ist es uns gelungen, die Zusammensetzung der deutschen Bevölkerung in diesen 160 Personen sehr genau abzubilden“, sagt Bas. „Diese Menschen konnten sich nun selbst einbringen – und die Erfahrung machen, wie schwer es sein kann, bevölkerungsübergreifende Kompromisse zu machen.“

Grenzen der Repräsentation

Als gegen Ende der Diskussion das Podium für Fragen aus dem Publikum geöffnet wird, gibt es rege Beteiligung. Vor allem zahlreiche Studierende melden sich zu Wort. Als es um die Beteiligung der in Teilen rechtsextremen AfD geht, zeigt Bärbel Bas in der Diskussion auch die Grenzen der Repräsentation auf. Immer wieder hat die AfD-Fraktion im Bundestag Kandidaten zur Wahl für das Amt des Vizepräsidenten des Bundestages aufgestellt. Bas begrüßte, dass die Abgeordneten diese Kandidaten nicht gewählt haben.

„Die Gefahr ist zu groß, dass AfD-Abgeordnete dieses Amt missbrauchen“, sagt Bas. „Es geht nicht darum, dass alle Parteien durch eigene Vizepräsident*innen repräsentiert werden – es geht darum, dass die Vizepräsident*innen den Bundestag und die Bundesrepublik selbst verantwortungsvoll repräsentieren.“