Besser forschen mit weniger Müll, Gift und Energie
Unterwegs an der Freien Universität mit einem Gutachter für ein hohes Umweltgütesiegel
01.10.2024
Präparatorin Janet Weigner (vorne links) zeigt Gutachter Georg Sulzer die Fortschritte auf dem Gebiet der Tierpräparation.
„Es hat eine gewisse Ironie“, bemerkt Matthias Rillig, Professor für Ökologie am Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie der Freien Universität: „Wir forschen unter anderem zu den Effekten von Mikroplastik im Boden – und verbrauchen für diese Forschung selbst viel Plastik.“ Dem Ökologen passt das gar nicht, das merkt man ihm an, als er seine Ergebnisse dem promovierten Umweltgutachter Georg Sulzer vorstellt. Sein Team habe vieles versucht, um den Plastikverbrauch zu reduzieren. „Aber es funktioniert nicht. Wiederverwendbare Petrischalen aus Glas sind keine Alternative, weil der Aufwand so groß ist und weil es Probleme mit der Wahrung der Sterilität gibt.“ Rund ein Drittel der Proben bei Langzeitversuchen sei stets mit unerwünschten Mikroben kontaminiert gewesen. Plastikschalen hingegen werden steril verpackt angeliefert und lassen sich besser verschließen.
Matthias Rillig, Professor für Ökologie am Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie der Freien Universität, versucht mit seinem Team auch in der Forschung den Plastikverbrauch zu reduzieren.
Bildquelle: Marion Kuka
Energieverbrauch der Tiefkühlschränke um 40 Prozent reduziert
Trotz des derzeit unlösbaren Plastik-Dilemmas kann seine Arbeitsgruppe viele Erfolge vorweisen: So sind die Ultratiefkühlschränke, in denen etwa Pilze und Bodenproben konserviert werden, inzwischen nur noch auf minus 70 Grad Celsius eingestellt. „Als Standard galten lange minus 80 Grad, doch bei 10 Grad mehr funktioniert die Konservierung genauso gut“, berichtet Matthias Rillig. Der kleine Trick reduziert den Energieverbrauch der Kühlschränke um 40 Prozent. Mit finanzieller Unterstützung des Fachbereichs Biologie, Chemie, Pharmazie konnte sein Team außerdem einige ältere Geräte mit hohem Energieverbrauch gegen energieeffiziente neue Modelle austauschen.
Im September 2021 unterzog sich die Freie Universität Berlin zum ersten Mal der EMAS-Auditierung und wurde für ihr Umweltmanagement ausgezeichnet. Das EMAS-Zertifikat gilt weltweit als das anspruchsvollste Gütesiegel seiner Art, deutschlandweit sind nur rund 20 Hochschulen danach zertifiziert. Neben Umweltschutz und Energieverbrauch werden auch Schulungen zur Arbeitssicherheit und Maßnahmen für Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter*innen geprüft. Vorbereitet und koordiniert wird der Zertifizierungsprozess von Hela Lange von der Stabsstelle Nachhaltigkeit und Energie. Sie begleitet den Gutachter zusammen mit Melanie Quilitz und weiteren Mitgliedern des internen Auditteams auf seiner viertägigen Tour durch die vielfältigen Bereiche der Universität.
Georg Sulzer ist bereits zum vierten Mal auf dem Campus unterwegs. Jedes Jahr kamen weitere Fachbereiche und Einrichtungen der Freien Universität zur Auditierung hinzu. In diesem Jahr stehen die Fachbereiche Biologie, Chemie, Pharmazie, Veterinärmedizin, Geowissenschaften, Rechtswissenschaften, Geschichts- und Kulturwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften ebenso auf der Liste wie die Universitätsleitung, die Stabsstelle Nachhaltigkeit und Energie, der Gesamtpersonalrat und mehrere Fachbibliotheken. Auch die Tätigkeiten der Technischen Abteilung, der Servicestelle für Gebäude- und Grundstücksmanagement, und der Dienststelle Arbeitssicherheit nimmt der Umweltgutachter unter die Lupe.
Das Volumen von Bodenproben, an denen die Auswirkungen von Umweltgiften getestet werden, halten die Mitarbeitenden so gering wie möglich. „Meist sind es etwa 30 Gramm oder weniger“, sagt Matthias Rillig. Kontaminierte Erde wird in Spezialbehältern vorschriftsmäßig entsorgt. Auch den Raum für die Lagerung dieser Sonderabfälle inspiziert Georg Sulzer – hier ist alles vorschriftsmäßig verstaut und gekennzeichnet: Haken dran!
Naturwissenschaftlichen Grundlagen für Nachhaltigkeit
Mit den Antworten auf seine Frage nach Sicherheitsschulungen für die rund 60 bis 80 Studierenden, Promovierenden und wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen der Arbeitsgruppe ist der Gutachter ebenfalls zufrieden. Einen Tipp hat er aber noch: „Überprüfen und dokumentieren Sie, ob die Inhalte auch verstanden wurden.“ Das ließe sich mit ein paar Testfragen oder einer anschließenden Diskussion einfach umsetzen.
Neben den formalen Aspekten interessiert sich Georg Sulzer auch für die Forschungsergebnisse der Gruppe. Matthias Rillig gibt gern Auskunft: „Wir untersuchen, wie sich Faktoren des globalen Wandels – CO2 in der Atmosphäre, Erwärmung, Trockenstress, Chemikalien, Antibiotika, Mikroplastik und viele mehr – auf den Boden auswirken.“ Die Rolle von Bodenpilzen habe seine Gruppe dabei besonders im Blick. „Unsere Forschung liefert die naturwissenschaftlichen Grundlagen für Nachhaltigkeit – etwa in Bezug auf Landwirtschaft und Biodiversität im Boden.“
Weltweit führend sei sein Team darin, in Experimenten den Einfluss von bis zu zehn und demnächst vielleicht sogar dreißig Umweltfaktoren in Kombination zu untersuchen. Die Ergebnisse seien alarmierend: Je mehr Faktoren gleichzeitig auf den Boden wirkten, desto schlechter funktionierten Prozesse wie Zersetzung, Bodenaggregation und Bodenatmung, und desto weniger Bakterien-, Pilz- und Pflanzenarten seien dort zu finden.
Diese Forschung lernen Studierende der Biologie auch in den Vorlesungen, Seminaren und betreuten Abschlussarbeiten der Gruppe kennen. Außerdem bietet Matthias Rillig ein Seminar über Social-Media-Kommunikation an – die Teilnehmenden haben einen Instagram-Kanal über den Schutz von Biodiversität im Alltag ins Leben gerufen.
Kleine Maßnahme, große Wirkung: Statt minus 80 Grad werden die Ultratiefkühlschränke mit minus 70 Grad betrieben. Das Ergebnis: 40 Prozent weniger Energieverbrauch.
Bildquelle: Marion Kuka
Die Veterinär-Anatomie spart Energie und Wasser ein
Georg Sulzer hat sich viele Notizen gemacht, stellt noch einige Fragen und muss dann weiter zur nächsten Station – dem Institut für Veterinär-Anatomie in der Koserstraße 20. Dort warten die Kolleginnen und Kollegen schon darauf, ihre Fortschritte im Umweltmanagement zu präsentieren. Den Anfang macht die Präparatorin Janet Weigner: Sie ist für die Prosektur, also die pathologisch-anatomische Abteilung, verantwortlich, dort präparieren die Studierenden Tierkörper, um die Anatomie ihrer zukünftigen Patienten kennenzulernen – ein wesentlicher Bestandteil des veterinärmedizinischen Staatsexamens.
„Vom Nagetier bis zum Pferd ist hier alles vertreten“, erklärt sie. Der wichtigste Gefahrstoff sei Formaldehyd, den höchsten Energieverbrauch verursachten Belüftung und Kühlung, außerdem werde sehr viel Wasser verbraucht. Deshalb hat das Team 2010 begonnen, die Prozesse zu optimieren. „Wir sind noch nicht am Ziel, haben aber – in enger Zusammenarbeit mit der Betriebstechnik – bedeutende Fortschritte gemacht.“
Formaldehyd für Präparate durch Plastinate und 3D-Drucke zu ersetzen, hat einen neuen Standard geschaffen – und spart Energie.
Bildquelle: Marion Kuka
Tierkörper müssen den Studierenden über Monate oder Jahre zur Verfügung stehen und werden daher in Formaldehyd fixiert. In den Räumen der Prosektur, insbesondere im 250 Quadratmetern großen Präpariersaal, ist eine sorgfältige Zu- und Abluft unerlässlich. Früher lief die Lüftungsanlage rund um die Uhr. „Jetzt haben wir sie in Zusammenarbeit mit der Technischen Abteilung so programmiert, dass sie nur läuft, wenn die Studierenden im Präpariersaal sind – zwei Stunden vorher und zwei Stunden nachher“, erläutert die Präparatorin. Dadurch habe sich die Energiebilanz erheblich verbessert.
Auch für Tiefkühlzellen und -räume verbraucht das Institut viel Energie. Darin wird das Tierkörpermaterial für die Lehre gelagert. Damit die Mitarbeitenden möglichst wenig Zeit in den Tiefkühlräumen verbringen und weniger Körperwärme abgeben, wurde ein farbcodiertes Verpackungssystem entwickelt: Weibliche Hunde lagern etwa in roten, Pferdeköpfe in blauen Beuteln. „Nun finden wir schneller, was gerade gebraucht wird, und sind schneller wieder draußen“, erklärt Janet Weigner.
Alte Standards hinterfragen
Vor Gebrauch müssen die Tierkörper jedoch fixiert werden, zunächst über das arterielle System von innen, dann zur äußeren Fixierung in Wannen. Dazu wurde in veterinärmedizinischen Instituten üblicherweise Formaldehyd in einer Konzentration von vier bis sechs Prozent verwendet. Das Biozid verhindert unter anderem den Befall durch Viren und Bakterien, ist aber bei Überschreitung der maximalen Arbeitsplatzkonzentration gesundheitsschädlich für Menschen. Deshalb mussten alle Tierkörper und Organe vor jeder Verwendung in der Lehre mehrere Stunden fließend gewässert werden – bei 200 Studierenden und vielen Unterrichtseinheiten war das ein enormer Wasserverbrauch.
„Wir haben uns getraut, die einhundert Jahre alten Standards zur Fixierung und Konservierung an Anatomischen Instituten zusammen mit der Arbeitsgruppe zur Reduzierung der Formalinbelastung der Anatomischen Gesellschaft infrage zu stellen“, sagt Janet Weigner. In Kooperation mit mehreren Behörden und der Anatomischen Gesellschaft hat das Team einen neuen Fixierungsprozess entwickelt: Die Tierkörper kommen nach der Fixierung nicht mehr in Formaldehydwannen, sondern werden gekühlt und trocken gelagert – in sogenannten Bodybags. Dadurch ist der Wasserverbrauch massiv gesunken. Außerdem kommt der neue Prozess mit einer ein- bis zweiprozentigen Formaldehyd-Lösung aus. „Eine weitere Publikation dazu erscheint Ende des Jahres, dann kann das Verfahren auch an anderen veterinäranatomischen Instituten in Deutschland und Europa angewandt werden“, berichtet die Präparatorin stolz. So würden auch gesundheitliche Belastungen bei den Präparator*innen, welche täglich mit Formaldehyd arbeiten, reduziert.
Plastinate und 3D-Drucke statt Formaldehyd
Einen Teil der Präparate – vor allem Organe und Extremitäten – hat die Gruppe außerdem durch Plastinate und 3D-Drucke ersetzt. So entstand unter anderem ein Ersatzprogramm für schwangere Studierende, die nicht mit Formaldehyd arbeiten dürfen. Sie müssen nun nicht mehr mit dem Studium pausieren und können sogar das Staatsexamen mit den Dauerpräparaten ablegen. Die 3D-Drucke können Studierende zudem in der Bibliothek ausleihen und unabhängig von den Kursen zum Selbststudium nutzen.
Gutachter Georg Sulzer ist sichtlich beeindruckt von den Innovationen, die sogar die traditionsreiche Anatomische Gesellschaft überzeugen konnten. Ausgestattet mit Kittel und Überschuhen sieht er sich im großen Präpariersaal selbst die neuen Präparate an.
Als weitere Kolleginnen und Kollegen des Instituts ihre Maßnahmen zum Umweltmanagement vorstellen, flitzt sein Kugelschreiber über das Clipboard: ein Pfandsystem für Ethanol, weniger Schwermetalle in der Elektronenmikroskopie, eine Datenbank für Materialien und Chemikalien, damit alle Labore ihre Ressourcen zusammen besser nutzen können.
Das psychische Wohlbefinden von Studierenden ist ein Forschungsschwerpunkt des Instituts, sagt Mahtab Bahramsoltani, Geschäftsführende Direktorin und Professorin für Veterinär-Anatomie und Didaktik in der Veterinärmedizin.
Bildquelle: Marion Kuka
Auch das psychische Wohlbefinden von Studierenden und Tierärzt*innen ist ein Forschungsschwerpunkt des Instituts, wie Mahtab Bahramsoltani, Geschäftsführende Direktorin und Professorin für Veterinär-Anatomie und Didaktik in der Veterinärmedizin, erläutert. Psychische Belastungen im Studium und Berufsleben, Lernstrategien und Zeitmanagement stehen ebenso auf dem Lehrplan wie die Kommunikation mit Tierhalterinnen und -haltern.
Georg Sulzer hat keine Fragen mehr – und muss weiter zur nächsten Station seiner Tour. Zwei weitere Tage wird er noch unterwegs sein – dann steht bei der Stabsstelle Nachhaltigkeit und Energie die Prüfung der neuen Umwelterklärung und die Erörterung eventueller Korrekturmaßnahmen an.