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Heuschreckes Heimkehr

Der Insektenforscher und Wissenschaftsmanager Walther Horn wurde im International House der Freien Universität geehrt; das Gebäude hatte Horn 1912 als „Deutsches Entomologisches Museum“ errichten lassen

18.06.2024

Herbert Grieshop (Freie Universität Berlin) und Thomas Schmitt (Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut) enthüllen die Gedenktafel für Walther Horn im International House der Freien Universität in der Dahlemer Ehrenbergstraße.

Herbert Grieshop (Freie Universität Berlin) und Thomas Schmitt (Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut) enthüllen die Gedenktafel für Walther Horn im International House der Freien Universität in der Dahlemer Ehrenbergstraße.
Bildquelle: Sören Maahs

Eine überraschende Wendung nahm die Feierstunde zu Ehren des Insektenforschers Walther Horn, als seine Urenkelin Laura Horn das Wort ergriff. „Nicht nur die Rückschau, auch der Blick in die Zukunft ist wichtig“, sagt sie, um plötzlich Halstuch und Jacke abzulegen, wodurch ihr Scientist-Rebellion-T-Shirt sichtbar wurde. Darauf der Aufdruck: „There is no research on a dead planet.“

Was hätte Walther Horn in der Biodiversitäts- und Klimakrise gemacht, fragte die promovierte Politökonomin und forderte die Anwesenden auf, die Losung ihres Urgroßvaters, „luctor et emergo“, ernst zu nehmen. Universitäten und andere Forschungseinrichtungen müssten mit der gleichen Zielstrebigkeit und Durchsetzungskraft, für die ihr Urgroßvater bekannt gewesen war, die Dringlichkeit der Klimakrise sichtbar machen. „Nutzen Sie Ihre Handlungsspielräume.“

Walther Horn gehörte zu den herausragenden und bekanntesten Entomologen seiner Zeit. Von 1909 bis 1939 war er Direktor des Deutschen Entomologischen Instituts, das er zu einem Forschungszentrum von internationalem Ruf mit Verbindungen zu Einrichtungen in der ganzen Welt ausbaute. Sein Einfluss, den er als Forscher und Organisator ausübte, prägte den Dahlemer Wissenschaftsstandort.
Steiles Giebeldach, Treppenturm, weiße Sprossenfenster: Der Bau in der Ehrenbergstraße 26\28 in Berlin-Dahlem beherbergt heute das International House der Freien Universität. Ursprünglich wurde er für das Deutsche Entomologische Museum errichtet.

Steiles Giebeldach, Treppenturm, weiße Sprossenfenster: Der Bau in der Ehrenbergstraße 26\28 in Berlin-Dahlem beherbergt heute das International House der Freien Universität. Ursprünglich wurde er für das Deutsche Entomologische Museum errichtet.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Kunst am Bau

Nun wurde Walther Horn mit einer Gedenktafel im International House der Freien Universität geehrt. Horn hatte den roten Backsteinbau in der Ehrenbergstraße 26\28 im Südosten Dahlems 1912 für sein Institut errichten lassen. Mit der Gedenktafel erinnern die Abteilung Internationales der Hochschule und das „Senckenberg Deutsche Entomologische Institut“ (SDEI) gemeinsam an den bedeutenden Insektenkundler und Wissenschaftsmanager.

Während der Feierstunde wurde neben der Gedenktafel auch die Replik einer Heuschreckenfigur enthüllt, die im ursprünglichen Gebäude als „Treppenwächter“ im Foyer diente und nach dem Zweiten Weltkrieg lange als verschollen galt.

„Die Heuschrecke hier an ihrem historisch angestammten Ort zu sehen, ist fast schöner als jedes Geburtstagsgeschenk“, sagte Christian Kutzscher, der den originalgetreuen Abguss aus schwarzem Epoxidharz eigens für die Freie Universität hergestellt hat. Dem gelernten Präparator ist anzumerken, wie sehr sein Herz an dem entomologischen Institut hängt, für das er seit vierzig Jahren Insekten konserviert. „Total leicht und sicherheitskonform“ sei die Kopie, im Unterschied zum schmiedeeisernen Original. „Falls sie doch einmal auf Ihren Fuß fallen sollte, spüren Sie das kaum.“

Heimgekehrte Heuschrecke: Im ursprünglichen Gebäude saß der etwa 30 Zentimeter große „Treppenwächter“ auf dem Wandsockel eines eisernen Zierbogens, der den Treppenaufgang überspannte.

Heimgekehrte Heuschrecke: Im ursprünglichen Gebäude saß der etwa 30 Zentimeter große „Treppenwächter“ auf dem Wandsockel eines eisernen Zierbogens, der den Treppenaufgang überspannte.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Dass Walther Horn die Heuschrecke als Wahrzeichen für das Institut wählte, ist sicher kein Zufall, sagte Professor Thomas Schmitt, Direktor des SDEI, symbolisiert sie doch auf besondere Weise die „Weltmacht der Insekten“. Als einzelnes Tier zart und zerbrechlich sind etwa Wanderheuschrecken bei Massenvermehrung bis heute unbeherrschbar und stellen für den Menschen eine ernste Bedrohung dar.

Spezialist für Sandlaufkäfer, Humanist mit internationaler Gesinnung

„Es ist sehr schön, dass wir wieder so eine tolle Plastik haben“, freute sich Herbert Grieshop, Leiter der Abteilung Internationales an der Freien Universität. „Walther Horns wahrhaft internationale Gesinnung passt zu dem, was wir heute machen“, sagte Grieshop mit Blick auf die weltweiten Forschungskooperationen der Hochschule. „Er war ein früher Vertreter jener Wissenschaftler, die sagten: Wissenschaft ist grenzüberschreitend. Die Insektenforschung ist keine deutsche Wissenschaft.“

Die Gedenktafel für Walther Horn wurde von der Agentur „Museumsfreunde“ erstellt, die Gestaltung übernahm Petra Müller. Links unten ein Vertreter der Sandlaufkäfer, Horns Spezialgebiet.

Die Gedenktafel für Walther Horn wurde von der Agentur „Museumsfreunde“ erstellt, die Gestaltung übernahm Petra Müller. Links unten ein Vertreter der Sandlaufkäfer, Horns Spezialgebiet.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Dass Horn sich zeitlebens für die weltumspannende Zusammenarbeit in der Wissenschaft einsetzte, erklärte auch SDEI-Direktor Thomas Schmitt während eines Vortrags über das bewegte Leben Horns und die fast 140-jährige Geschichte des Instituts.

Walther Horn unterhielt Korrespondenzen mit den führenden Insektenforschern der ganzen Welt und war Mitbegründer des Exekutivkomitees der „Internationalen Entomologen-Kongresse“, dem er bis 1938 als einziges deutsches Mitglied angehörte. Als mit dem Ersten Weltkrieg die internationalen Beziehungen zusammenbrachen, druckte er furchtlos das Motto „All Men of Science Are Brothers“ auf seine Briefköpfe und die Titelseiten seiner Zeitschriften, was ihm besonders im Ausland große Anerkennung verschaffte.

Horn war promovierter Mediziner, hat sich jedoch – abgesehen von einer Verwendung als Feldarzt im Ersten Weltkrieg – nie als Arzt betätigt. „Sein Leben gehörte der Entomologie. Er war mit Leib und Seele Wissenschaftler“, so Thomas Schmitt. Sein Spezialinteresse galt den Sandlaufkäfern. „Walther Horn war ein richtiger Sandlaufkäferfreak, zu seiner Zeit der führende Kenner.“ Neben dem Aufbau einer großen Sammlung veröffentlichte er nahezu 300 Arbeiten über die artenreiche Käferfamilie. 

Benjamin Langer (links) vom FU-Referat für Wissenschaftsbeziehungen setzte sich dafür ein, die Gedenktafel am Gebäude anbringen zu lassen. Präparator Christian Kutzscher (rechts) erstellte die Heuschrecken-Replik. Mitte: SDEI-Direktor Thomas Schmitt.

Benjamin Langer (links) vom FU-Referat für Wissenschaftsbeziehungen setzte sich dafür ein, die Gedenktafel am Gebäude anbringen zu lassen. Präparator Christian Kutzscher (rechts) erstellte die Heuschrecken-Replik. Mitte: SDEI-Direktor Thomas Schmitt.
Bildquelle: Sören Maahs

Erster Weltkrieg, Inflation und Weltwirtschaftskrise fallen in Horns Amtszeit 

Mit dem Ersten Weltkrieg und der Weltwirtschaftskrise verschlechterte sich die günstige Situation des DEI dramatisch. Das Institutsvermögen, größtenteils in Aktien angelegt, wurde wertlos. Walther Horn gelang es mit geradezu kämpferischem Einsatz, das Institut vor der Auflösung zu bewahren. Nicht umsonst war das Institutssignet – eine stilisierte Heuschrecke nach dem Vorbild der Metallplastik – von dem Wahlspruch „Luctor et emergo“ umrahmt, der die Devise Horns für das DEI auf den Punkt bringt: „Ich kämpfe und erhebe mich (als Sieger)“.

Während der NS-Zeit setzte sich Horn persönlich für seine jüdische Mitarbeiterin Irene Moses ein. Nachdem es ihm jedoch nicht gelungen war, ihre Entlassung – erzwungen durch das nationalsozialistische „Berufsbeamtengesetz“ – zu verhindern, stellte er der Stenotypistin ein hervorragendes Arbeitszeugnis aus. Walther Horn selbst nahm sich 1939 das Leben, möglicherweise um einer Verhaftung durch das nationalsozialistische Regime zu entgehen. Auch daran erinnert nun die Gedenktafel, die in unmittelbarer Nähe der Heuschreckenfigur hängt. 

Als die Sammlungs- und die Bibliotheksbestände während des Zweiten Weltkriegs vorsorglich nach Mecklenburg ausgelagert wurden – das gesamte Inventar füllte 22 Eisenbahnwaggons –, blieb das fest im Mauerwerk verankerte Kunstwerk zurück. Nach Kriegsende galt die kleine Heuschrecke als verschollen, bis sie unverhofft 2011 in einer Ausstellung des Heimatmuseums Zehlendorf wieder auftauchte. Die Insektensammlung sollte nicht mehr nach Dahlem zurückkehren. In den 1960er Jahren kam sie nach Eberswalde, während das Gebäude ab 1950 von der zwei Jahre zuvor neu gegründeten Freien Universität zusammen mit einem Max-Planck-Institut genutzt wurde.

Drei Nachfahren Walther Horns (v. l.): Ururenkel Robert Kirberg aus München und Urenkelin Laura Horn von der Universität Roskilde mit Tochter Edda.

Drei Nachfahren Walther Horns (v. l.): Ururenkel Robert Kirberg aus München und Urenkelin Laura Horn von der Universität Roskilde mit Tochter Edda.
Bildquelle: Sören Maahs

Insekten aus aller Welt, systematisch nach Verwandtschaftsgrad geordnet

Das Deutsche Entomologische Institut durchlief mehrere Stationen und ist heute als Teil der „Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung“ im brandenburgischen Müncheberg ansässig. Dort lagern in deckenhohen Rollregalen unzählige Insektenkästen mit etwa 4 Millionen Exemplaren von 190.000 Arten aus der ganzen Welt, darunter 22.000 der besonders wertvollen Typusexemplare. „Ein wahres Archiv der Naturgeschichte“, sagte SDEI-Direktor Thomas Schmitt stolz.

Laura Horn, die Urenkelin Walther Horns und Aktivistin von Scientist Rebellion, rannte mit ihrem Einsatz für die biologischen Vielfalt bei Thomas Schmitt offene Türen ein. Die ökologischen Funktionen von Insekten sind ein zentraler Forschungsschwerpunkt der Entomolog*innen in Müncheberg. Der Insektenrückgang sei alarmierend. „Wir können anhand unserer Sammlung belegen, dass das Artensterben schon in den 1950er Jahren mit der industrialisierten Landwirtschaft begann.“ Institute wie das in Müncheberg leisten wertvolle Arbeit, um nachzuweisen, dass Klimawandel und unsere Art Landwirtschaft zu betreiben die Lebensräume der ökosystemrelevanten Helfer vernichten.