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Wissenschaft nach der „Zeitenwende“

Mit Russland wurden alle institutionellen Partnerschaften gestoppt. Was die „Zeitenwende“ für die Hochschulen bedeutet, darüber wurde im Januar in Dahlem diskutiert

25.01.2023

Am Mikrofon: Julia von Blumenthal, Politikwissenschaftlerin und Präsidentin der Humboldt-Universität

Am Mikrofon: Julia von Blumenthal, Politikwissenschaftlerin und Präsidentin der Humboldt-Universität
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar 2022 auf die Ukraine „ist der Traum vom Wandel durch Austausch ausgeträumt“ – mit diesen Worten brachte Ruppert Stüwe, SPD-Bundestagsabgeordneter für Berlin Steglitz-Zehlendorf, die Stimmung im Hörsaal des Henry-Ford-Baus auf den Punkt. Den Rahmen bildete eine Podiumsdiskussion über die „Folgen der Zeitenwende für die Wissenschaft“, zu der der Universitätsverbund German U15 gemeinsam mit der Freien Universität Berlin nach Dahlem geladen hatte. 

Dass das Ende der institutionellen Wissenschaftskooperation mit Russland unausweichlich war, wurde auf dem Podium nicht infrage gestellt. Individuelle Kontakte würden zwar weiter gepflegt, „aber das ist endlich“, sagte Sabine Kropp, Professorin am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität. Entweder seien die Forschenden ins Ausland geflüchtet oder sie ziehen sich in den Ruhestand zurück. In die Lücken, die die geflüchteten russischen Wissenschaftler*innen hinterließen, rückten Personen nach, die nach Systemloyalität ausgewählt würden. Auch dadurch nähmen die Kontakte weiter ab. 

Grenzen der internationalen akademischen Zusammenarbeit

Die Politikwissenschaftlerin äußerte auch die Sorge, Finanzmittel für Regionalforschung könnten künftig geringer ausfallen. „In der Vergangenheit hat man zu stark nachfrageorientiert gesteuert und ganze Wissensbestände – im Glauben, man sei am Ende der Geschichte – abgewickelt.“ Davon seien unter anderem die Russlandforschung und die Slawistik betroffen gewesen. Wissensbestände müssten aber „dauerhaft vorgehalten werden“ und könnten bei steigendem Bedarf nicht kurzfristig quasi aus dem Ärmel geschüttelt werden. 

Das Podium von links nach rechts: Moderator Jan Wöpking (German U15), Prof. Sabine Kropp (FU), Nina Stahr MdB (Grüne), Prof. Julia von Blumenthal (HU), Ottilie Klein MdB (CDU) und Ruppert Stüwe MdB (SPD)

Das Podium von links nach rechts: Moderator Jan Wöpking (German U15), Prof. Sabine Kropp (FU), Nina Stahr MdB (Grüne), Prof. Julia von Blumenthal (HU), Ottilie Klein MdB (CDU) und Ruppert Stüwe MdB (SPD)
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Julia von Blumenthal, Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin, stellte heraus, dass angesichts der aktuellen Situation und mit Blick auf die Kooperation mit den Wissenschaftssystemen insbesondere in Russland und China die deutsche Wissenschaft sich jetzt „mit größerer Ehrlichkeit fragen müsse, wo eigentlich unsere absoluten Grenzen sind“. Die Entscheidung, wann die akademische Kooperation beendet werden muss, könne aber auch künftig nicht im Voraus – als „rote Linie“ – erfolgen, sondern müsse im Einzelfall getroffen werden und dabei Eigeninteressen berücksichtigen. 

Realpolitische Zäsur 

Auch wenn es schwerfällt, müsste man akzeptieren: Weder sei wissenschaftlicher Austausch in jeder Konstellation „per se gut“, noch diene er immer der Förderung von Frieden, Freiheit und Demokratie, sagte Ruppert Stüwe. Zudem zeige sich, dass die Vorteile des wissenschaftlichen Austauschs auch einseitig zugunsten von autoritären Staaten ausfallen können. Wissenschafts-Realpolitik heiße aber auch anzuerkennen, dass es beispielsweise „absolut unmöglich“ sei, Kooperationen im Weltraum zu beenden. Gleichwohl sah Ruppert Stüwe auch unter schwierigen Bedingungen weiterhin Spielräume für die internationale Zusammenarbeit zu drängenden Zukunftsthemen. Es seien gerade Themen wie der Klimawandel, die eine Brücke zwischen Ländern schlagen können, die sich sonst als Systemrivalen verstehen. 

Moderator Jan Wöpking, Geschäftsführer von German U15, wollte wissen, ob die deutsche Außenwissenschaftspolitik sich hin zu einer Außenwissenschafts-Realpolitik bewegen müsse? Nina Stahr, wissenschaftspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, stimmte zu. Im Fall Russlands sei diese „realpolitische Zäsur“ schon eingetreten. Sie brachte dann die Diskussion auf China. Was würde passieren, fragte sie, wenn China seine Angriffspläne gegen Taiwan in die Tat umsetzte, zusätzlich zu den Menschenrechtsverletzungen? „Ist Taiwan bei uns die rote Linie, so wie es Putins Einmarsch in die Ukraine war? Oder müssen wir schon jetzt unsere Zusammenarbeit mit China überdenken?“

Professorin Sabine Kropp in der Diskussion

Professorin Sabine Kropp in der Diskussion
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

CDU-Bundestagsabgeordnete Ottilie Klein

CDU-Bundestagsabgeordnete Ottilie Klein
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Nina Stahr, wissenschaftspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag

Nina Stahr, wissenschaftspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

SPD-Bundestagsabgeordneter Ruppert Stüwe

SPD-Bundestagsabgeordneter Ruppert Stüwe
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Kanäle offenhalten, auch in politisch schwierigen Zeiten

Ottilie Klein, CDU-Abgeordnete für den Wahlkreis Berlin-Mitte, erinnerte an die Rolle der „Science Diplomacy“. In Zeiten des Konflikts sei die Kooperation auf individueller Ebene die vielleicht letzte Möglichkeit, den Kontakt zwischen Zivilgesellschaften aufrechtzuerhalten, wenn andere diplomatische Brücken längst abgebrochen worden sind. 

Sabine Kropp dagegen mahnte, keine falschen Erwartungen an die Wissenschaftsdiplomatie zu stellen. Internationale Kooperationen der deutschen Hochschulen folgten in erster Linie wissenschaftsimmanenten – und nicht geopolitischen – Zielsetzungen. Zum einen trage auch das Verstehen von „Ländern, die nicht rein demokratisch sind“, zur interkulturellen Kompetenz von Studierenden und Forschenden bei. Zum anderen, sagte die Politikwissenschaftlerin, „wäre es sehr einsam um uns, wenn wir die Zusammenarbeit auf Länder beschränken, die im Demokratieindex ganz oben stehen“. Man müsste dann eine Entflechtung des Wissenschaftssystems vornehmen, „die uns massiv schaden würde“. 

Unterstützung für die Ukraine

Die Beschränkung der internationalen Zusammenarbeit sei keine Alternative, pflichtete Beate Schücking bei, Präsidentin des Deutschen Studierendenwerks (und zuvor Rektorin der Universität Leipzig), die sich aus dem Publikum zu Wort meldete. Denn es gehe hier auch um die junge Generation, die durch akademische Austauschprogramme neue Erfahrungen sammeln könne. 

Julia von Blumenthal lenkte den Blick auf die Ukraine als Kooperationspartnerin. Zu fragen sei daher vor allem, was man auch im Krieg tun könne, um das ukrainische Hochschulsystem aufrechtzuerhalten. Die Universitäten in Deutschland hätten die Aufgabe, die Kooperation trotz der Fluchtsituation fortzusetzen und den hier angekommenen Studierenden und Forschenden zu helfen, ihren Kontakt in die Ukraine zu halten, um sich zukünftig am Wiederaufbau zu beteiligen. Das käme einem „Internationalisierungsschub“ für ukrainische Hochschulen in einer verheerenden Situation gleich.