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Die andere Seite der Medaille

Der preisgekrönte investigative Sportjournalist Hajo Seppelt berichtete in der Reihe „Journalismus im Dialog“ an der Freien Universität vom Kampf gegen Doping im Spitzensport

24.01.2020

Seit 35 Jahren Sportjournalist: Hajo Seppelt ist durch seine investigativen Recherchen zum Doping im Spitzensport bekannt geworden.

Seit 35 Jahren Sportjournalist: Hajo Seppelt ist durch seine investigativen Recherchen zum Doping im Spitzensport bekannt geworden.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Im Sport geht es nicht nur um Spiel und Spaß, sondern auch um Prestige und große Summen Geld. Das lockt Betrug und Korruption an – Themen, denen sich Hajo Seppelt verschrieben hat. Durch die investigativen Recherchen des ARD-Journalisten konnten weltweit Dopingfälle aufgedeckt werden. Besonders bekannt wurde seine 2009 gestartete Dokumentarserie „Geheimsache Doping“, die unter anderem das staatlich organisierte Doping in Russland publik machte. Die neueste Folge, erschienen Anfang Januar, beschäftigt sich mit Doping im weltweiten Gewichtheben.

Für die Veranstaltungsreihe „Journalismus im Dialog“, die vom Center for Media and Information Literacy am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität in Zusammenarbeit mit der Süddeutschen Zeitung organisiert wird, kam Hajo Seppelt am 13. Januar nach Dahlem. Er diskutierte dort mit Carola Richter, Professorin für Internationale Kommunikation an der Freien Universität, und Claudio Catuogno, stellvertretender Ressortleiter Sport bei der Süddeutschen Zeitung. Auch die Studierenden im Publikum nutzten die Gelegenheit, Fragen zu stellen.

Im Sportjournalismus fehlt die kritische Distanz

Der Sportjournalismus werde seiner Aufgabe oftmals nicht gerecht, sagte Hajo Seppelt: „Viele Sportjournalisten sind eigentlich Fans, die es über die Absperrung geschafft haben“ – ihnen mangele es an kritischer Distanz. Claudio Catuogno bemerkte, dass Praktikanten im Sportressort ihr Interesse oft damit begründeten, dass sie große Sportfans seien. Das sei aber die falsche Motivation, denn schließlich zeichne einen guten Politikjournalisten auch nicht aus, Fan des Bundestags zu sein.

Claudio Catuogno von der Süddeutschen Zeitung (links) und Prof. Dr. Carola Richter von der Freien Universität Berlin im Gespräch mit Hajo Seppelt.

Claudio Catuogno von der Süddeutschen Zeitung (links) und Prof. Dr. Carola Richter von der Freien Universität Berlin im Gespräch mit Hajo Seppelt.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Durch das Renommee, das Hajo Seppelt durch seine Reportagen errungen hat, ist investigativer und kritischer Sportjournalismus in der Berichterstattung inzwischen fest verankert. Bei der ARD arbeitet Hajo Seppelt heute in einem zehnköpfigen Team. Das seien zwar immer noch zu wenige, sagte der Journalist, aber es sei viel besser als früher: Als er im Vorfeld der Olympischen Winterspiele 2014 im russischen Sotschi zum Doping in Russland recherchierte, habe er noch weitgehend allein gearbeitet.

Damals war er nach Moskau gereist, um einer Spur nachzugehen, auf die ihn ein österreichischer Wissenschaftler gebracht hatte: Er hatte ihn auf einen russischen Mediziner aufmerksam gemacht, der eine mysteriöse Substanz bewarb, die übernatürlichen Muskelaufbau versprach. Hajo Seppelt gab sich als Vertreter des deutschen Olympiateams aus, der das Dopingmittel kaufen wolle, und verabredete ein Treffen. „Ich kam mir vor wie in einem Spionagekrimi“, erinnert er sich. Mit angeklebtem Theaterbart, um nicht erkannt zu werden, traf der Journalist den russischen Mediziner an einem Nachmittag im Januar 2014 am Weißrussischen Bahnhof in Moskau und erhielt auf dem Rücksitz eines Autos schließlich eine Probe der Dopingsubstanz.

Drei russische Whistleblower mussten ihr Land verlassen

Mit diesem Einsatz begann die Aufdeckung des systematischen staatlichen Dopings in Russland, wofür das Land mittlerweile mehrfach von den Olympischen Spielen ausgeschlossen wurde. Informationen zum Doping öffentlich zu machen, sei keine einfache Entscheidung, sagte Hajo Seppelt. Drei russische Whistleblower mussten ihr Land inzwischen verlassen. „Wir schaden Menschen durch unsere Berichterstattung“, sagte Hajo Seppelt.

Das betreffe nicht nur Informanten: Der Entzug von Medaillen sei eine große Belastung für die betroffenen Athleten, die oft selbst Opfer des Doping-Systems seien. Auch bei der jüngsten Reportage unter anderem über Gewichtheberinnen in Thailand hätten sie abwägen müssen, ob sie berichten oder nicht: „Wir hätten aber Unrecht vertuscht, wenn wir das nicht öffentlich gemacht hätten“, sagte der Sportjournalist. Und er ist sich sicher: „Es gibt auch viele Sportler, die uns dafür dankbar dafür sind, dass ihnen etwas Gerechtigkeit widerfahren ist.“

Hajo Seppelt (rechts) im Gespräch mit Prof. Dr. Carola Richter (2. von rechts), Claudio Catuogno sowie Prof. Dr. Alexander Görke (links) vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität.

Hajo Seppelt (rechts) im Gespräch mit Prof. Dr. Carola Richter (2. von rechts), Claudio Catuogno sowie Prof. Dr. Alexander Görke (links) vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Journalismus sei ein „ganz, ganz toller Job“, sagte Hajo Seppelt – wichtig sei aber, eine kritische Distanz zum Gegenstand der Berichterstattung zu wahren.

Journalismus sei ein „ganz, ganz toller Job“, sagte Hajo Seppelt – wichtig sei aber, eine kritische Distanz zum Gegenstand der Berichterstattung zu wahren.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Doping sei ein systematisches Problem, von dem der Spitzensport weltweit betroffen sei, sagte Hajo Seppelt. Deutschland sei da keine Ausnahme: In der Bundesrepublik sei systematisches Doping früher stillschweigend toleriert, in der DDR staatlich angeordnet worden. Auch heute hat Deutschland keine weiße Weste, das zeigen nicht zuletzt Hajo Seppelts Reportagen – etwa zum Doping im deutschen Radsport oder bei der sogenannten „Operation Aderlass“, zu der gegenwärtig Ermittlungen laufen.

Das Vereinswesen funktioniert im Spitzensport nicht mehr

Starke Anreizstrukturen begünstigen das Doping-System: Neue Rekorde bedeuten mehr Sendezeit, mehr Sponsoren, größere Beliebtheit des Sports. Sportfunktionäre, vom Manager bis zum Physiotherapeuten, hätten ein großes Interesse daran, dass der Betrug nicht aufgedeckt werde, sagte Seppelt. „Solange Doping im Spitzensport unentdeckt bleibt, ist es gut für alle Beteiligten – abgesehen von den Athleten natürlich, die am Ende mit ihren Gesundheitsschäden allein dastehen“, sagte der Journalist. Deshalb seien interne Dopingkontrollen oft unwirksam. Das Vereinswesen, das im Amateursport gut funktioniere, führe im Spitzensport zu Interessenskonflikten. „Das sind feudale, anachronistische Strukturen, die längst verändert gehören“, sagte Hajo Seppelt. „Das scheitert aber an einer Phalanx von Funktionären, die keine Macht abgeben wollen.“

Für die Studierenden hatte Hajo Seppelt einen klaren Rat: „Wenn Sie sich dafür interessieren, Journalistin oder Journalist zu werden – das ist ein ganz, ganz toller Job.“ Er selbst sei mit Leib und Seele Journalist. Und besonders im Sport gebe es noch großen Bedarf an kritischem Journalismus, sagte der Investigativ-Reporter: „Unser Job ist, die andere Seite der Medaille zu zeigen.“

Weitere Informationen

Eine vollständige Aufzeichnung der Veranstaltung ist online verfügbar.

Im Sommersemester 2020 in „Journalismus im Dialog“:

Günter Jauch im Gespräch

Zeit und Ort:

  • Donnerstag, 4. Juni 2020, 18 bis 20 Uhr
  • Henry-Ford-Bau, Hörsaal A, Garystr. 35, 14195 Berlin

Der Eintritt ist frei.
Weitere Termine werden auf der Website von „Journalismus im Dialog“ bekannt gegeben.