Nord- und Südkorea in Dahlem
Die Botschafter beider Länder eröffneten den neuen Standort des Instituts für Koreastudien der Freien Universität
15.10.2018
Abrüstung, Diplomatie und vielleicht eines Tages die Wiedervereinigung – das Institut für Koreastudien der Freien Universität Berlin widmet sich dem Frieden auf der koreanischen Halbinsel seit vielen Jahren in besonderem Maße. Als das Institut vorvergangene Woche in ein neues Gebäude an der Dahlemer Otto-von-Simson-Straße 11 zog, erhielt es dafür einen ganz besonderen Segen: Die Botschafter Nord- und Südkoreas gaben sich gemeinsam die Ehre und kamen zu der Feier an die Freie Universität.
Im Rahmen der Eröffnungsfeier des neuen Standortes wurde auch ein traditionelles Richtfest gefeiert: Im Garten der Otto-von-Simson-Straße ist ein aus Spenden gestifteter kleiner Pavillon errichtet worden. Dicht gedrängt standen die Gäste bei feuchtem Herbstwetter um das kleine Häuschen und lauschten dem Gesang eines Mönches, der zunächst die Seele des jüdischen Bauherrn des im Jahre 1927 errichteten Hauptgebäudes tröstete. In vorderster Reihe standen der südkoreanische Botschafter Bumgoo Jong und sein nordkoreanischer Kollegen Pak Nam Yong. Als der neue Pavillon mit Reiswein geweiht wurde, traten die beiden Seite an Seite nach vorn und knieten vor dem Ritualtisch. Gemeinsam legten sie ein Spruchband in einen Dachbalken, ehe er von Zimmerleuten unter den First gezogen wurde. Es wurde viel gelacht und geklatscht an diesem Abend – davon, dass sich hier Vertreter zweier Nationen gegenüber standen, die sich noch immer im Kriegszustand miteinander befinden, war nichts zu spüren.
Von der neuen Stimmung zwischen beiden Ländern berichtet auch Eun-Jeung Lee. Die Professorin für Koreastudien und Leiterin des Instituts ist erst vor wenigen Tagen von einer Reise in die nordkoreanische Hauptstadt Pjöngjang zurückgekehrt. „Die Atmosphäre im Norden hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert“, sagt sie. „Es ist offener geworden, wärmer. Man merkt, dass die Menschen einem entgegenkommen möchten.“ Noch könne man zwar nicht von einer politischen Öffnung sprechen, es gehe mehr um kleinere Gesten im persönlichen Umgang. „Aber mit einer positiven Grundstimmung ist schon viel erreicht“, sagt die südkoreanische Wissenschaftlerin. „Es gibt eine neue Bereitschaft, miteinander auszukommen und ins Gespräch zu kommen. Darauf können wir aufbauen.“
Es ist auch ein besonderer Lohn für die Arbeit von Eun-Jeung Lee und ihrem Team, dass sich die beiden Botschafter am neuen Institutsgebäude so friedlich begegnen können. Seit vielen Jahren arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Berlin daran, die Erfahrungen der deutschen Wiedervereinigung für Korea produktiv zu machen und den koreanischen Dialogprozess voranzubringen. „Wir experimentieren, wie man Politikerfahrungen im interkulturellen Kontext übertragen kann“, sagt Lee. Ein großes Projekt des Instituts ist die Dokumentation der deutschen Einheit in 50 deutschen und 30 koreanischen Bänden. Um den Weg zur deutschen Einheit nachzuzeichnen, wurden rund 5000 politische Dokumente ausgewertet und kommentiert. Nun sollen sie den Koreanern als Beispiel dienen, wie sich ein Friedensprozess unter geteilten Nationen gestalten lässt.
„Die deutsche Geschichte zeigt, dass man einander in hunderten kleinen Schritten näher gekommen ist“, sagt Lee. „Es war wichtig, dass man sich getroffen und miteinander geredet hat, auch wenn oft unklar war, wohin die Gespräche führen würden.“ Immer hat Lee deshalb auch im Fall Koreas dafür plädiert, die Gesprächskanäle offenzuhalten, Feindbilder abzubauen und einander auf Augenhöhe zu begegnen. Zu einer Podiumsdiskussion am Tag der Eröffnung des neuen Institutsgebäudes hatte sie Wissenschaftler eingeladen, die den deutschen Einigungsprozess damals von entgegengesetzten Seiten (aus ost- und westdeutscher Perspektive) erlebt hatten, um mit ihnen und koreanischen Kollegen zu diskutieren.
Das neue Gebäude ist auch ein Zeichen für den langfristigen Erfolg des Instituts, denn die Koreastudien haben sich an der Freien Universität innerhalb weniger Jahre zu einer gefragten Disziplin entwickelt: „Als ich 2008 meine Professur antrat, hatten wir gerade mal 20 Studierende“, sagt Lee. „Heute sind es mehr als 250 im Hauptfach.“
„Koreanische Kultur ist unter deutschen Jugendlichen immer beliebter geworden“, erklärt Lee den Boom unter Studierenden. „Da ist einerseits Südkorea, ein dynamisches, wirtschaftlich höchst erfolgreiches Land – und da ist Nordkorea, das ist voller politischer Brisanz.“ Nach dem Konzept der Regionalstudien (Area Studies) sollen Studierende ein Land möglichst ganzheitlich studieren. So lernen sie am Institut für Koreastudien nicht nur die Sprache und Kultur des Landes intensiv kennen, sondern beschäftigen sich auch mit der Geschichte, der Gesellschaft und der aktuellen politischen Situation.
Lee möchte nun die Beziehungen des Instituts nach Nordkorea weiter ausbauen. „Wir sind alle gespannt, wie es weitergeht“, sagt die Wissenschaftlerin. „Zurzeit scheint sehr viel möglich.“