Hechelnd und schwitzend durch Dahlem
Am 1. Juli fand an der Freien Universität der 4. Campus Run statt / Der Erlebnisbericht eines Erstläufers
10.07.2018
Mehr als 750 Läuferinnen und Läufer sind bei der vierten Ausgabe des Campus Run der Freien Universität Berlin an den Start gegangen – so viele wie noch nie! Auch Anglistikstudent und campus.leben-Reporter Sören Maahs stellte sich der Herausforderung, zehn Kilometer durch Dahlem zu laufen – und produzierte so ganz eigene Rekorde. Der Erlebnisbericht eines Selbstversuchs.
Es ist nicht ganz einfach, mit etwas anzugeben, das nur schwer zu würdigen ist. Dennoch: Am 1. Juli bin ich als wortwörtlich rasender Reporter des Online-Magazins campus.leben beim 4. Campus Run zehn Kilometer in 59 Minuten und 19 Sekunden gelaufen. Das Ziel, die 59:59 zu schaffen, habe ich also noch etwas unterboten und kam so auf etwa 10,12 Kilometer pro Stunde. Mit Entsetzen hatte ich vor dem Lauf bemerkt, dass ein Tempo von unter 10 Kilometern pro Stunde von ernstzunehmenden Lauftraining-Webseiten noch nicht mal als Tempo aufgeführt wird. Die Herrlichkeit beginnt bei 10 Kilometern pro Stunde, und ich war dabei.
Eine Herrlichkeit, allerdings, gemischten Gefühls: Einerseits, ja, lauf erst mal eine Stunde, Sofakartoffel. Andererseits das Eingeständnis, einfach nur gerannt zu sein, so schnell ich konnte, wie vor einem Hund weg, nur immer knapp unterm Seitenstechen, und dabei gibt man einfach keine bella figura ab.
Unter Tage durch die Wissenschaftskasbah
Einer der Vorzüge vom Joggen ist das Erkunden unbetretener Orte. Immer wieder habe ich diese Erkenntnis, dass man bisher ungeahnte Ecken, ganze Sub-Nachbarschaften in vermeintlich vertrauten Nachbarschaften entdecken kann. Die ersten dreitausend Meter Laufstrecke führen zweimal im Karree um das schon halb ins Stadtschloss umgezogene Ethnologische Museum. Auch wenn die Sonne sehr mild scheint an diesem Mittsommertag, bin ich doch dankbar für die herrlichen Linden, die das Geschwitze der Läuferinnen und Läufer auf den gepflasterten Straßen gnädig beschatten.
Dann geht es links hinab zu einem tiefergelegten Lieferweg im kartesianischen Raster der Rost- und Silberlaube. Von hier unten, wo werktags Mensalieferanten und Müllabfuhr ihren Dienst verrichten, präsentieren die zwei Geschosse in kantiger Kubatur einen ungewohnten Anblick. An vielen Stellen untertunnelt die Straße sogar die Quergänge der Wissenschaftsstadt, die in den 60er Jahren nach dem Bild der nordafrikanischen Kasbah konzipiert wurde. Nichtsahnend vom unterirdischen Innenleben bewegen sich die Studierenden zu den Seminaren oder verbummeln in einem der 29 begrünten Innenhöfe die Zeit.
Zeremoniöses Spazierengehen
Auf der anderen, zur Thielallee gelegenen Seite geht es wieder nach oben, Rechtskurve Richtung Dahlem Dorf. Die Verzahnung von Natur und Architektur funktioniert auch jenseits der akademischen Großdatscha ausgezeichnet. Mit seinen Botschaftsgebäuden und Parkanlagen legt der Villenvorort Dahlem als Verhaltensweisen der Besucher allerdings eher zeremoniöses Spazierengehen und andächtiges Bewundern von Blumen und Bäumen nahe als hechelndes und schweißtriefendes Gerenne.
Zwei Verkehrspolizisten halten die Kreuzung im Dorf für die Läufer frei. Unter den missbilligenden Blicken der Bewohner eines fahrenden Terrariums namens X83 zuckele ich als die Ursache der verzögerten Weiterfahrt vorüber. Dann führt die Strecke entlang am offenen Einschnitt der U3, im Ohr die fantastischen Belle & Sebastian.
Bei Kilometer 6 meiner Strecke ist Dennis Heberer, Sieger über die Distanz von zehn Kilometern (33:14 Minuten), längst im Ziel. Ob er die halbe Stunde Vorsprung genutzt hat, um sich am Massagestand ordentlich durchwalken zu lassen? Bei den Frauen siegt Alena Kühlein mit einer Zeit von 39 Minuten und 27 Sekunden. Ob sie der Deutschen Knochenmarkspenderdatei schon ein Dutzend Wangenabstriche vermacht hat, bevor ich ins Ziel komme? Das von der Zentraleinrichtung Hochschulsport organisierte Rahmenprogramm gestaltet sich auf alle Fälle so vielfältig, dass die Zeit vor und nach der Siegerehrung sich angenehm versüßen lässt.
Im agrarischen Freilandmuseum
Der rasende Reporter ist indes ziemlich schwach auf der Lunge, macht zum Verschnaufen immer wieder Pausen, auch weil er so, als abgetakelter Schreibtischmensch, die Fauna der Domäne Dahlem besser angucken kann. Fauna ist ja immer super. Fauna: Cool, seitdem es Fauna gibt (fünfter und sechster Tag der Schöpfung). Kühe grasen auf Streuobstwiesen, von Mädchenhänden gestreichelte Pferde nehmen geduldig alles hin, ein Eichhörnchen beschnuppert im Schatten der ökologischen Totholzhecke einen Spatzenkadaver.
Am Vorabend des großen Laufs habe ich mächtig viele Kohlenhydrate schnabuliert, damit der kleine Ofen, der man ist, ordentlich heizen kann. Zum Heizen benötigt man naturgemäß Brennstoffe. Und diese habe ich mir also in riesigen Portionen in die Ofenklappe unter der Öffnung für die Verbrennungsluftzufuhr geschoben. In Dahlem kann ich die Herkunft meiner Weizennudeln einmal aus der Nähe angucken. So sieht also Getreide aus! Und im Café können sich die Gäste der Domäne in Gestalt der Feldfrüchte den historischen Ort buchstäblich einverleiben.
Solides Mittelfeld
Auf den letzten zwei Kilometern zieht das Tempo der Mitlaufenden deutlich an. Und auf der unterirdischen Zielgerade ist aus dem letzten Loch pfeifendes Sprinten angesagt, das mich meine streng sedentäre Lebensweise aus Pralinenfuttern und Downton-Abbey-Gucken vergessen macht. Nach zehn Kilometern lasse ich mich behutsam ausrollen. Platz 237 von 284, solides Mittelfeld im letzten Viertel.
Im Anschluss das schale Eingeständnis, dass der Erfolgsstolz im Missverhältnis zur Anstrengung steht. Noch den ganzen Tag verfolgt mich die Einsicht: „Mein Gott, ist das schwer, zehn Kilometer am Stück zu laufen.“ Das kannte ich bisher nur von: „Mein Gott, ist das schwer, Russisch zu lernen.“
Weitere Informationen
Auf der Website des Hochschulsports finden Sie die Ergebnisse und eine Bildergalerie mit weiteren Eindrücken vom Campus Run 2018.