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„Der Ort verpflichtet“

In einem Festakt übergab Professor Peter-André Alt sein Amt als Universitätspräsident an seinen Nachfolger, Professor Günter M. Ziegler

09.07.2018

Am 6. Juli übergab Peter-André Alt (l.) das Amt des Präsidenten der Freien Universität Berlin an seinen Nachfolger Günter M. Ziegler, hier mit Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (re.).

Am 6. Juli übergab Peter-André Alt (l.) das Amt des Präsidenten der Freien Universität Berlin an seinen Nachfolger Günter M. Ziegler, hier mit Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (re.).
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Manchmal braucht man auch an einer Universität Glück und nicht nur Klugheit, Umsicht und Forschergeist. Und so überreichte der scheidende Universitätspräsident Professor Peter-André Alt seinem Nachfolger Günter M. Ziegler keine Amtskette zum Dienstantritt, sondern einen Glücksbringer: einen Anstecker mit dem Schriftzug „Ask me. I am with Freie Universität“. Der Button hatte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hochschule bei der – letztendlich erfolgreich verlaufenen – Begehung der Freien Universität durch die externen Gutachter während der Exzellenzinitiative 2012 ausgewiesen. Fortan könne es nun also heißen „Ask him – in der vollen Überzeugung, dass Günter Ziegler die richtigen Antworten finden wird“, erklärte Peter-André Alt.

Rund 800 Gäste waren an diesem Freitagnachmittag ins Max-Kade-Auditorium im Henry-Ford-Bau gekommen, um der Amtsübergabe beizuwohnen, darunter der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, der Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, Steffen Krach, sowie zahlreiche Weggefährtinnen und Weggefährten, Kolleginnen und Kollegen.

Bei seiner Arbeit im Präsidium habe ihm eine dort weit verbreitete Fähigkeit immer geholfen, hatte der Literaturwissenschaftler Alt zuvor in seiner Abschiedsrede gesagt: Die Fähigkeit zur Ironie. „Ironie ist Pflicht“, habe bereits Friedrich Schlegel geschrieben, der Namenspatron der von Peter-André Alt 2007 im Exzellenzwettbewerb eingeworbenen Graduiertenschule. Glück – wie auch die Fähigkeit Ironie – kann Günter Ziegler für die Bewältigung seiner neuen Aufgaben durchaus brauchen. Denn er übernimmt die Leitung der Freien Universität zu einem Zeitpunkt, an dem sie sich in einem neuen Exzellenzwettbewerb behaupten muss. Und sie tritt – ein Novum in der deutschen Wissenschaftslandschaft – gemeinsam mit der Humboldt-Universität und der Technischen Universität an.

Experimente gehören zu einer forschenden Einrichtung

So passte es, dass Peter-André Alt in seiner Abschiedsrede seinem Nachfolger und der Freien Universität noch mehr „Mut zur Gestaltung der Zukunft“ wünschte. „Warum kann man nicht Ideen in einem Erprobungsmodus realisieren?“, fragte Alt. Einer Universität stehe ein „Experimentiermodell“ doch gut an. Und er warnte: „Veränderungsresistenz steigert das Risiko, dass Umbrüche durch Zufall und nicht durch strategisches Handeln entstehen.“

Der Literaturwissenschaftler blickte auch zurück auf seine eigene Amtszeit. Bei seiner Amtseinführung 2010 hatte er – in Anlehnung an Worte des österreichischen Schriftstellers Robert Musil – über die „Balance“ zwischen „Wirklichkeits- und Möglichkeitssinn“ bei seiner neuen Aufgabe nachgedacht. Nun, acht Jahre und „hunderte von Sitzungsstunden“ später, habe sich in der Praxis erwiesen: „Mit dem Amt wächst der Wirklichkeitssinn, und es vergeht der Möglichkeitssinn.“

Dass ihm der „Möglichkeitssinn“ dabei nicht ganz abhandengekommen ist, zeigen nicht nur die Bereiche, in denen sich das „träge System“ Universität „doch bewegt“ hat: beim Ausbau des Campus und der leistungsstarken Forschungsbereiche etwa, der Ausrichtung auf einen neuen Fokus mit didaktisch wie inhaltlich exzellenter universitärer Lehre oder auch dem Bemühen, Karrierewege für Nachwuchswissenschaftler zu ebnen.

Möglichkeitssinn wird Peter-André Alt auch in seinem neuen Amt als Präsident der Hochschulrektorenkonferenz brauchen, einer Einrichtung, die 268 Hochschulen in Deutschland vertritt, kleine Fachhochschulen wie große Forschungsuniversitäten. Als Präsident der Freien Universität wurde Peter-André Alt im Audimax der Freien Universität mit Standing Ovations verabschiedet.

Wie nahe Wirklichkeits- und Möglichkeitssinn manchmal beieinander liegen können, wurde in Günter M. Zieglers Antrittsrede deutlich. Er habe überlegt, was er für sein neues Amt zum einen von anderen Mathematikern in der Hochschulleitung lernen könne, und zum anderen von Mathematikern, die mal im heutigen Präsidiumsgebäude der Universität in der Kaiserwerther Straße 16-18 gearbeitet hätten, sagte der Mathematikprofessor.

Der Backsteinbau – Mitte der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts für eine Versicherungsgesellschaft errichtet und nach dem Krieg Sitz der Alliierten Kommandantur – beherbergt seit 1994 das Präsidium der Freien Universität und ist Zieglers neuer Arbeitsplatz. Dort habe – wie er berichtete – der Arbeitsalltag an diesem ersten Tag im neuen Amt gleich „hard-core“ begonnen: Im Terminkalender stand die Begehung eines Sonderforschungsbereichs der Freien Universität durch externe Gutachter.

Doch was sind solche Termine im Verhältnis zu den Herausforderungen, vor denen sich ein anderer Mathematiker als Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität München sah. Ferdinand von Lindemann, so erzählte Ziegler, war während der turbulenten Münchner Räterepublik 1919/1920 als 67-Jähriger gezwungen gewesen, in sein Amt zurückzukehren, das er schon einmal um die Jahrhundertwende innegehabt hatte. Er konnte die Universität nur durch eine Hintertür betreten und nahm abends – wegen der politischen Lage – die Universitätskasse mit nach Hause. „Was lernen wir daraus?“, fragte Ziegler: „Wir haben Verantwortung für die Universität“, auch in Zeiten politischer Bedrängnis. „Doch vielleicht kriegen wir das ja hin, im Dialog mit der Politik,“ fügte er hinzu, „so dass solche Maßnahmen gar nicht nötig sind.“

Absprachen auf Jiddisch, um Berlin zu versorgen

Ziegler bezog sich auch noch auf einen weiteren Mathematiker, einen Kollegen, der den „kältesten Winter“ 1946 in der Kaiserwerther Straße erlebt hatte, als das Gebäude noch Sitz der Alliierten war. Murray Gerstenhaber erzählte dem neuen Präsidenten seine Geschichte – und dieser trug sie nun weiter an das Publikum im Max-Kade-Auditorium: Der damals erst 18-jährige Murray Gerstenhaber – heute emeritierter Mathematikprofessor in Philadelphia – kam mit der amerikanischen Armee nach Berlin und arbeitete zunächst als persönlicher Assistent für den Stadtkommandanten Lucius D. Clay. Seine Freizeit verbrachte der hochbegabte junge Mann wann immer möglich am Mathematischen Institut in der Altensteinstraße 40 – einer Art Außenstelle der Friedrich-Wilhelms-Universität (der späteren Humboldt-Universität), denn die Freie Universität gab es damals noch nicht.

Nachdem er Clays Monatsrechnung für Alkohol in Höhe von 6.000 Dollar nicht als diplomatisch notwendige Ausgabe ansah, sondern als ungehörigen Luxus – so schrieb er es Günter Ziegler per E-Mail – versetzte man ihn in die Transportabteilung, wo er bald Zeuge einer berührenden Konstellation wurde. Als sich die Versorgungslage in Berlin in jenem Winter immer weiter verschlechterte, da alle Schienen in und um Berlin zerstört waren, versuchten Gerstenhabers Chef, ein amerikanischer lieutenant und dessen russischer Gegenpart die letzten möglichen Eisenbahnstrecken gemeinsam ausfindig und wieder flott zu machen, um die hungernde Bevölkerung Berlins mit Essen zu versorgen.

Gerstenhaber konnte die tagelangen Telefongespräche mithören. Die beiden Soldaten, deren Länder sich wenige Jahre später im Kalten Krieg gegenüberstehen sollten, verständigten sich in der einzigen Sprache, die sie gemeinsam hatten: Jiddisch.

„Der Ort verpflichtet“, schloss Ziegler; auch die Freie Universität pflege heute ein internationales Netzwerk und verbinde damit Menschen und Institutionen über Grenzen hinweg – etwa mit Büros in New York und Moskau und einer strategischen Partnerschaft mit der Hebrew University of Jerusalem.

Der Geist des Aufbruchs

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller erinnerte in seiner Rede an die Geschichte der Freien Universität, deren Gründung sich in diesem Jahr zum 70. Mal jährt. In der Zeit der Berlin-Blockade 1948 hätten sich Studierende, Professorinnen und Professoren dafür eingesetzt, dass in einem Teil der Stadt frei gelehrt und geforscht werden könne: „Die Freie Universität steht für den Geist des Aufbruchs“, sagte Müller und wies darauf hin, dass Wissenschaftsfreiheit noch heute keine Selbstverständlichkeit sei.

Die Freie Universität sei „ein unverzichtbarer Teil der Wissenschaftsstadt Berlin“ und genieße weltweit größtes Ansehen, sagte Müller. Daran habe Peter-André Alt mit seinem Wirken als Universitätspräsident großen Anteil gehabt. Sicher und professionell habe er die Universität auch durch schwierige Zeiten geleitet.

Alts Nachfolger, dem er die Ernennungsurkunde überreichte, wünschte der Regierende Bürgermeister alles Gute: Günter Ziegler, der fachlich herausragende Mathematiker, ausgezeichnet mit dem Leibniz-Preis und dem Berliner Wissenschaftspreis, Vorstandsmitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, diene nun der Wissenschaft vorerst nicht mehr als Forscher, setzte sich dafür aber in anderer, wichtiger Weise für sie ein.

Antworten auf die großen Fragen finden

Jürgen Zöllner würdigte als Vorsitzender des Kuratoriums der Freien Universität die Verdienste des bisherigen Präsidenten Peter-André Alt noch einmal auf besondere Weise und gemahnte an die Verantwortung, die die Leitung einer Hochschule bedeute: Peter-André Alt sei nicht nur ein guter, sondern wegen seines vorbildlichen Handelns auch ein großer Universitätspräsident gewesen. Hierfür erhielt er die Goldene Ehrennadel der Freien Universität – und auch sein Bild hängt nun im Foyer des Henry-Ford-Baus in bester Gesellschaft mit all jenen, die sich ebenfalls um die Hochschule verdient gemacht haben.

Einen kritischen Rückblick auf die achtjährige Amtszeit warfen die beiden AStA-Vorsitzenden Hella Polze und Lola Zeller. Ihrer Meinung nach werden studentische Stimmen an der Freien Universität noch zu wenig gehört, den Studierenden zu wenig Mitbestimmungsmöglichkeiten geboten. „Die Universität muss ein Raum zur Diskussion politischer und gesellschaftlicher Fragen sein“, sagte Hella Polze.

Der neue Präsident Günter M. Ziegler wiederholte seine Einladung zum Dialog an die Studierendenvertreterinnen und dankte im Voraus allen Mitgliedern der Hochschule, „die bereit sind, gemeinsam mit mir die Freie Universität in den kommenden vier Jahren zu bewegen, und damit von hier aus viel zu bewegen“.

Die Freie Universität habe nicht nur große Verantwortung in Forschung und Lehre, sondern stehe auch vor der Herausforderung, „bei der Suche nach und der Arbeit an den großen Fragen dieser Welt“ mitzuwirken. Dabei kann ein bisschen Glück sicher nicht schaden.