Theorie des Whistleblowings
„Digitaler Ungehorsam” hieß die dritte Veranstaltung im Rahmen der „Joint Speaker Series” / Das Motto der diesjährigen Veranstaltungsreihe von Freier Universität Berlin und US-amerikanischer Indiana University: „The Role of Media in the Digital Age"
25.05.2018
Computer Chaos Club, Snowden, WikiLeaks: Digitaler Ungehorsam hat viele Gesichter – und im Falle von Anonymous trägt er sogar Maske. Digitaler Ungehorsam kann auf unterschiedliche Weise ausgeübt werden: Aktivisten legen durch kollektive Aufrufe Internetseiten lahm, hacken sich in Sicherheitssysteme oder veröffentlichen vertrauliche Daten.
Gerade weil digitaler Ungehorsam so vielseitig ist, braucht es eine Theorie, die es ermöglicht, die Legitimität solcher Akte zu überprüfen. Diesem Projekt widmeten sich im Rahmen der „Joint Speaker Series” am 15. Mai William Scheuerman, Professor für Politikwissenschaft an der Indiana University, und Christian Volk, Professor am Arbeitsbereich Politik und Recht am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität.
Unter welchen Bedingungen ist digitaler Ungehorsam politisch oder moralisch legitim?
Scheuerman näherte sich dem Phänomen des digitalen Ungehorsams mithilfe einer ebensolchen Theorie. Darunter versteht er einen gewaltfreien, öffentlichen Gesetzesbruch, der auf die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit abziele. Wenn ein Staat beispielsweise seine Bürger massiv überwache, verletze er dadurch ihre Persönlichkeitsrechte und widerspreche rechtsstaatlichen Grundsätzen. Ein solches staatliches Verhalten legitimiere zivilen Ungehorsam. Doch nicht jeder digitale Ungehorsam sei auch zugleich ziviler Ungehorsam, betonte Christian Volk. Deshalb stelle sich die Frage, unter welchen Bedingungen digitaler Ungehorsam politisch oder moralisch legitim sei. Wer Snowden verteidigen wolle, müsse auf der anderen Seite auch Möglichkeiten schaffen, digitale Einflussnahme auf Wahlen zu verurteilen.
Während Scheuerman von einer klassischen Definition von zivilem Ungehorsam ausging, betonte Volk, diese Konzeption sei umkämpft und werfe viele Fragen auf: Muss ziviler Ungehorsam zwingend kollektiv sein? Muss eine Bereitschaft zur Debatte bestehen? Welche Rolle spielt Gewalt? Volk hob einen wichtigen Punkt der Konzeption Martin Luther Kings hervor. Im Sinne von King sei das Ziel, Druck zu erzeugen und die Kosten für die Aufrechterhaltung des Status quo in die Höhe zu treiben. Dieser Punkt lasse sich sehr gut auf den digitalen Ungehorsam übertragen, da Sicherheitssysteme aufgrund der Furcht vor Hackern immer teurer würden.
Angeregte Diskussion
Die anschließende Plenumsdiskussion konzentrierte sich auf einen speziellen Punkt der Definition von John Rawls, einem der einflussreichsten Philosophen der politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts: Rawls zufolge beinhaltet ziviler Ungehorsam auch die Bereitschaft, die Strafe für den Gesetzesbruch zu akzeptieren. Im Fall von Snowden ist diese Bereitschaft allerdings schwer vorstellbar. Snowdens Schuld wird anhand des Spionagegesetzes gemessen, das Scheuerman als „leicht zu manipulierendes Notstandsgesetz, das große behördliche Ermessensspielräume zulässt”, bezeichnete. Das Strafmaß ist also schwer kalkulierbar, zumal Trump sich im Fall Snowden sogar für die Todesstrafe ausgesprochen habe. Zudem treffe der Tatbestand der Spionage auf Snowden nicht zu, weil er sich mit seiner Offenlegung nicht habe bereichern wollen, betonte Scheuerman. Ganz im Gegenteil: „Seine Taten haben ihn viel gekostet."
Die angeregte Diskussion spricht dafür, dass das Thema digitaler Ungehorsam von aktuellem Interesse ist. Die „Joint Speaker Series” wird diesen fruchtbaren Austausch zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschachftlern der beiden Forschungseinrichtungen fortsetzen.
Weitere Informationen
Die nächste Veranstaltung findet am 26. Juni zum Thema „Digitale Empathie” statt.