Die Welt in Konzepten
Die Freie Universität Berlin und das Doha Institute for Graduate Studies in Katar haben eine Kooperation geschlossen / Kürzlich fand ein erster gemeinsamer Workshop statt
23.03.2018
Esmail Nashif forscht zu palästinensischer Kinderliteratur. Der Anthropologe untersucht, wie in Kinderbüchern seit den 1970er Jahren politische Probleme thematisiert werden. Immer wieder, so fand er heraus, taucht in den Geschichten ein bestimmtes Motiv auf: Ein Vogel verlässt sein Nest und findet nicht zurück. Schon die Dichter der griechischen Antike verarbeiteten tragische Begebenheiten. Tragik kennt keine Länder- und Kulturgrenzen. In Katar, wo kürzlich eine Kooperation zwischen der Freien Universität und dem Doha Institute for Graduate Studies (DI) besiegelt wurde, sprach Esmail Nashif im Rahmen des Workshops „Kritische Konzepte in den Geistes- und Sozialwissenschaften“ über das Tragische als Konzept.
„Konzepte sind die Grundlage, um über die Welt nachzudenken“
Sich über Konzepte als universelle Ideen auszutauschen, war das Ziel des Workshops, der gemeinsam vom Center for International Cooperation der Freien Universität (CIC) und dem DI getragen wurde. Koordinator der neu geschlossenen Partnerschaft zwischen der Freien Universität und dem Doha Institute for Graduate Studies ist Islam Dayeh, Juniorprofessor für Arabistik an der Freien Universität.
Während des dreitägigen Programms stellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen beider Institutionen selbstgewählte Konzepte vor: Sie diskutierten über „Demokratie“, „Süden“ und „Ausnahmezustand“ – ganz im Sinne von Islam Dayeh und seinem Koorganisator Ayman El-Desouky, Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft am DI. Konzepte seien die Grundlage, um über die Welt nachzudenken: „Die Annäherung an die gleichen Konzepte in unterschiedlichen Disziplinen, Sprachen und Kulturen ist sehr spannend. Konzepte sind zunächst ja nur Wörter, im Workshop haben wir uns genauer angesehen, was aus diesen Wörtern gemacht wird.“ Das Konzept „Fairness“ beispielsweise, das Philosophieprofessor Gunter Gebauer von der Freien Universität im Workshop vorstellte, spiele nicht nur eine wichtige Rolle im Sport, sondern auch in internationaler Politik und der Wirtschaft.
Internationaler Campus
Das Doha Institute for Graduate Studies ist ein noch junges Institut: 2014 wurde es mit dem Ziel gegründet, eine tragende Rolle in der Förderung der Geistes- und Sozialwissenschaften in der Arabischen Welt einzunehmen. Islam Dayeh schätzt die kulturelle und fachliche Vielfalt auf dem Campus: „Am DI sind Menschen aus der gesamten arabischen Welt, man hört arabische Dialekte aus allen Ländern, aus dem Irak, dem Sudan, es gibt Muslime und Christen.“ Nur ein kleiner Teil stamme aus Katar, das Institut ziehe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende aus Ländern wie Marokko, Syrien, Ägypten oder der Türkei an.
„Mit dem Doha Institute erweitert die Freie Universität ihr ohnehin schon starkes Netzwerk mit Universitäten in den arabischsprachigen Ländern“, sagt Florian Kohstall vom Center for International Cooperation der Freien Universität Berlin. Das DI strebe eine engere Zusammenarbeit mit amerikanischen und europäischen Einrichtungen an, von der auch die Freie Universität profitieren werde, wie Florian Kohstall sagt: „Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind für die Durchführung gemeinsamer Forschungsprojekte an verlässlichen institutionellen Partnerschaften interessiert, und die Studierenden profitieren in Form von Austauschmöglichkeiten. Die Freie Universität verfügt über einen einzigartigen Schwerpunkt in der Erforschung des Nahen Ostens, den es mit Kollegen aus der Region auszubauen gilt.“
Vom Wintersemester an Stipendien am Doha Institute
In vielen arabischen Ländern ist die politische Situation zu unsicher, um Studierende bedenkenlos dorthin entsenden zu können. Auch deshalb sei die Kooperation mit dem DI wertvoll, erläutert Kohstall. Im kommenden Wintersemester an sollen bis zu sieben Studierende der Freien Universität aus unterschiedlichen Disziplinen nach Katar gehen. Voraussetzung sind Arabisch-Kenntnisse, der Hauptsprache am Institut. Vormittags sollen die Studierenden ihre Sprachkenntnisse vertiefen, nachmittags wählen sie Kurse aus dem Lehrangebot der unterschiedlichen Disziplinen. Die Studienbedingungen klingen verlockend: ein kleines Institut mit knapp 300 Studierenden aus allen Disziplinen, hochrangige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt, ein neu gebauter Campus mit Gartenanlage, Bibliothek, Sportanlagen und Swimming Pool.
Die Studierenden erhalten ein Teilstipendium, durch das die sonst hohen Studiengebühren entfallen. Auch einen Zuschuss zu den Lebenshaltungskosten wird es geben, die Details werden im Moment noch ausgearbeitet.
Bilateraler Austausch zwischen den beiden Einrichtungen geplant
„Wir haben die Hoffnung, dass unsere Studierenden gute Botschafter für die Freie Universität sind und ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen in Doha auf den Geschmack bringen, nach Berlin zu kommen“, sagt Islam Dayeh. Bisher unterhält das DI kein Austauschprogramm mit anderen Ländern, Studierende der Philosophie aber beispielsweise seien sehr interessiert an Deutschland, sagt der Arabist. Für sie wäre ein an der Freien Universität verbrachtes Semester eine gute Grundlage, um über eine mögliche Promotion in Deutschland nachzudenken. Vom nächsten Jahr an solle dann ein bilateraler Austausch zwischen den beiden Einrichtungen stattfinden.
Islam Dayeh zeigt sich sehr zufrieden über das erste Gemeinschaftsprojekt im Rahmen der Kooperation von Freier Universität und DI: „Der Workshop verlief auf menschlichem und akademischem Level sehr gut, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich stark engagiert. Viele der deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren zum ersten Mal in einem arabischen Land und hatten große Erwartungen. Sie waren überrascht, wie global und international das DI ist.“