„Föderalismus statt Separatismus!“
Beim 8. Berliner Europa-Dialog diskutierten die Podiumsgäste über die Separationsbestrebung Kataloniens und die Zukunft Europas
20.02.2018
Ob Schottland, das Baskenland, Südtirol oder Norditalien – viele Regionen in Europa streben nach Unabhängigkeit. Aufsehen erregte Ende 2017 der Versuch Kataloniens, sich von Spanien zu lösen. Was sind die Gründe für die Spaltungsbewegungen und wie lässt sich der Europa-Gedanke wieder stärken? „Zurück in die Zukunft? Europa und die Kleinstaaterei“ lautete das Thema des 8. Berliner Europa-Dialogs, einer gemeinsamen Veranstaltung des Dokumentationszentrums Vereinte Nationen – Europäische Union der Freien Universität, des Europäischen Informationszentrums Berlin sowie der Europa-Union Berlin. Auf dem Podium saßen Europa-Expertinnen und -Experten aus Wissenschaft und Politik.
Die größte Streitfrage der Diskussion: Ist die Hauptursache der katalanischen Separationsbewegung das Geld, das sie – wie jede spanische Region – an die Zentralregierung in Madrid zahlen? Oder ist es doch eher ein regionaler Patriotismus? Professorin Sabine Riedel von der Stiftung Wissenschaft und Politik vertrat die These, dass zwischen beiden Bestrebungen ein enger Zusammenhang bestehe. Das Geld sei allerdings der eigentliche Hintergrund.
„Katalonien ist reich, die Region zahlt viel mehr in den gemeinsamen Topf ein als andere Regionen. Gleichzeitig hat das Land aber auch viele Schulden“, erklärte sie. Dann sei Spanien von der Europäischen Union eine strikte Sparpolitik auferlegt worden. Nicht alle spanischen Regionen hätten gleich starke Bemühungen beim Sparen gezeigt. Das habe im reichen Katalonien eine Art Nationalismus entstehen lassen.
„Nationen haben das Sagen“
„Der Konflikt in Katalonien ist inzwischen eskaliert. Es gibt Familien, die nicht mehr miteinander reden“, warf der freie Journalist Bart Biesemans ein. Jan Diedrichsen, Vorsitzender der Gesellschaft für bedrohte Völker, sah das als Beleg dafür, dass die Finanzlage Kataloniens nicht die Hauptursache des Konflikts sei. „Auf keinen Fall würden rund 50 Prozent der Katalanen für die Unabhängigkeit stimmen, wenn es nur ums Geld ginge“, sagte Diedrichsen.
Das Problem sah er in der Struktur der Europäischen Union. „Wer Einfluss haben will in Europa, muss ein Nationalstaat sein.“ Schließlich seien Europas Nationalstaaten sowohl im Rat als auch in der Kommission mit jeweils einem Vertreter repräsentiert. Für Regionen gäbe es da praktisch kein Mitspracherecht. Doch das werfe die Frage auf, ob die Regionen zu Nationalstaaten werden müssten, um dem Nationalismus zu entkommen.
Idee des „Europas der Regionen“ neu beleben
Im Fall Kataloniens scheint diese Rechnung nicht aufzugehen. Im Internet würden Landkarten von Katalonien kursieren, die nicht die heutigen Grenzen zeigen, sondern die die Balearen, Teile Südfrankreichs und Valencia miteinschließen, sagte Sabine Riedel. „Das ist ein halbgarer Nationalismus, der sowohl von linken als auch von rechten Parteien Kataloniens geteilt wird“, so die Wissenschaftlerin.
Die Politikwissenschaftlerin Tanja Börzel, Professorin am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität und Moderatorin des Abends, trieb die Frage an, auf welche Weise die Interessen der Regionen mit denen Europas in Einklang gebracht werden könnten. Denn schon in den Achtzigerjahren habe es die antinationalistische Idee des „Europas der Regionen“ gegeben, die jetzt wieder aufkeime. „Sollten die Regionen eigenständig sein oder nur eine Vertretung auf europäischer Ebene haben?“, fragte sie die Runde.
Ein föderales Europa als Ausweg?
Sabine Riedel betonte, dass es einen Unterschied gebe zwischen Föderalismus und Autonomie. In einem föderalen Staat hätten alle Länder die gleichen Rechte; im spanischen Modell hingegen würden die einzelnen Regionen mit der Zentralverwaltung autonome Regelungen aushandeln. So etwas funktioniere auf Dauer nicht. Riedel forderte „Föderalismus statt Separatismus“.
Jan Diedrichsen erwiderte, er sei kein Befürworter der Unabhängigkeit Kataloniens, aber er könne die Beweggründe der Unabhängigkeitsbefürworter verstehen. Auch die Regionalisierung Europas befürwortete er und verwies auf den europäischen Ausschuss der Regionen, der politisch allerdings kaum Einfluss habe. Diedrichsen bezweifelte, dass sich daran in naher Zukunft etwas ändern könnte.
Kanada als positives Beispiel
Auch das Publikum fragte sich, wie der europäische Zusammenhalt gestärkt werden könne. „Was ist denn mit den transnationalen Listen?“, warf ein Zuschauer ein. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte kürzlich vorgeschlagen, einen Teil der Sitze im EU-Parlament, die durch den Brexit vakant werden, durch transnationale Listen zu besetzen, damit gesamteuropäische Anliegen an Bedeutung gewännen. Doch der Widerstand von Konservativen bis Linken war deutlich, die Parlamentarier fürchteten um ihren Einfluss und lehnten den Vorschlag bereits ab.
Ein anderer Zuschauer verwies auf Kanada. Bis in die Neunzigerjahre hinein habe die französischsprachige Provinz Quebec nach Unabhängigkeit gestrebt. Heute sei Justin Trudeau kanadischer Präsident, der Sohn Pierre Trudeaus, des Anführers der damaligen Separatisten. Um das zu erreichen brauche man ein gemeinsames Wertesystem, so der Konsens. Sabine Riedel zeigte sich optimistisch. Europa verstehe sich als Friedensprojekt, die Ideologie, neue Grenzen zu ziehen, sei falsch. Daher müsse an dem bisherigen Projekt festgehalten werden.
Weitere Informationen
Der Berliner Europa-Dialog greift aktuelle Themen der europäischen Politik auf und bietet drei Mal im Jahr Gelegenheit, mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Politik und Medien zu diskutieren. Der nächste Berliner Europa-Dialog findet am 19. Juni 2018 statt.
Über kommende Veranstaltungen können Sie sich auf der Website des Dokumentationszentrums UN-EU informieren oder den Newsletter abonnieren unter uneu-dok@ub.fu-berlin.de.
Einen Mitschnitt des Live-Streams des 8. Berliner Europa-Dialogs können Sie sich hier anschauen.