„In korrupten Ländern ist auch die Justiz korrupt“
Am 14. November diskutierten die ehemalige brasilianische Staatspräsidentin Dilma Rousseff und die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin an der Freien Universität über die Frage, ob die brasilianische Justiz politisiert sei
20.12.2017
Als Dilma Rousseff die Bühne im Hörsaal A des Henry-Ford-Baus betritt, brach Jubel aus. Einige riefen laut ihren Namen, andere hielten Papiermasken mit ihrem Abbild in die Höhe. Jemand hatte ein großes Plakat mitgebracht: „Dilma wir stehen dir bei“. Die ehemalige Präsidentin Brasiliens lächelte, winkte, sprach kurz mit herbeistürmenden Anhängern.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung und das Lateinamerika-Institut der Freien Universität hatten zu diesem Abend eingeladen, das Thema der Diskussion: „Brasilien heute: Von der Verrechtlichung der Politik zur Politisierung der Justiz?“.
Barbara Fritz, Professorin am Forschungszentrum Brasilien der Freien Universität, führte in die Veranstaltung ein und erläuterte den Hintergrund des Abends: In Brasilien lasse sich seit 2015 eine schleichende Politisierung der Judikative beobachten. Zwar sei es zuweilen gut, wenn Gerichte über Fragen entschieden, für die die politischen Akteure keine einvernehmliche Lösung hätten finden können, sagte Barbara Fritz. Angesichts der Ereignisse in Brasilien seit 2015 müsse man sich jedoch fragen, wo die Grenzen der Justizialisierung der Politik lägen, und ab welchem Punkt sich diese in eine Politisierung der Judikative verwandele.
„Brasilien soll in das neoliberale Projekt gezogen werden“
Dass diese Grenze überschritten sei, davon zeigte sich Rousseff überzeugt. Die erste weibliche Präsidentin Brasiliens war 2016 ihres Amtes enthoben worden, wegen des Vorwurfs, sie habe Zahlen zum Haushalt manipuliert. Seitdem regiert ihr ehemaliger Vize Michel Temer den fünftgrößten Staat der Welt. Rousseff bewertete ihre Absetzung als einen Staatsstreich; in ihrer Rede an der Freien Universität bezeichnete sie die Amtsenthebung sogar als „Putsch“ – an dem Temer beteiligt gewesen sei. „Die Putschisten wollen, dass Brasilien in das neoliberale Projekt gezogen wird“, sagte sie und erntete Beifall. Während unter ihrer Regierung Privatisierungen verhindert worden seien, würden diese seit der Machtübernahme von Temer massiv vorangetrieben. Auch Sozialausgaben würden gekürzt. Das schade insbesondere den Ärmsten der Gesellschaft.
Dilma Rousseff war im August 2016 mit einer Zweidrittelmehrheit des Senats in Brasilia des Amtes enthoben worden, nachdem sie im Mai des Jahres bereits suspendiert worden war. Schon während des Verfahrens hatte Rousseff alle Vorwürfe der Haushaltsmanipulation zurückgewiesen und ihren Gegnern vorgeworfen, sie unter Vorwänden aus dem Amt gedrängt zu haben.
Die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin führte aus, dass zwar kein Land der Welt frei von Korruption sei, Brasilien aber 2016 den 79. Platz des Korruptionswahrnehmungsindexes belegt habe, den Transparency International seit 1995 jährlich erhebt. Zum Vergleich: Deutschland belegte im selben Jahr Platz 10. Die Juristin führte aus, dass die gesetzlichen Regelungen in Brasilien durchaus gute gesetzliche Bestimmungen hätten, das Justizsystem jedoch große Schwächen in der Umsetzung aufweise.
2018 stehen neue Wahlen an
Aus ihrer Perspektive gebe es gehäufte Anzeichen einer fehlenden Unabhängigkeit der Justiz und eines extrem einseitigen Vorgehens, das durch eine einseitig berichtende Presse gestärkt werde. Sie zog eine Parallele zwischen der Korruption und der Politisierung der Gerichtsbarkeit: „In korrupten Ländern ist auch die Justiz korrupt.“ Brasilien scheine in dieser Hinsicht keine Ausnahme zu sein, waren sich die Rednerinnen und Redner einig: Rousseffs Amtsenthebung sei unabhängig von der Bewertung ihrer juristischen Rechtmäßigkeit ein Beispiel für die Politisierung der brasilianischen Justiz gewesen.
Zum Abschluss der Veranstaltung stellte das Publikum Fragen. Rousseff sprach über die Rolle der Medien in Brasilien und berichtete, wie schwer es als Frau an der Staatsspitze gewesen sei. Sie machte deutlich, dass ihre Absetzung nicht nur ihr persönlich, sondern der gesamten brasilianischen Gesellschaft und den staatlichen Institutionen geschadet habe. Werde neoliberale Politik gemacht, werde auch zukünftig die Mehrheit der brasilianischen Bevölkerung aus dem Binnenmarkt ausgeschlossen sein. Doch Rousseff zeigte sich hoffnungsvoll: Immer wieder verwies sie auf die 2018 anstehende Präsidentschaftswahl in ihrer Heimat. Sie werde dort zwar nicht selber antreten, aber: Dann würden die Karten neu gemischt.