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Mittelalterliche Verbindungslinien sichtbar machen

Konferenz des Masterstudiengangs „Intellectual Encounters of the Islamicate World“

14.09.2017

Rund 40 Studierende und Ehemalige des Studiengangs Intellectual Encounters of the Islamicate World kamen zur Alumni-Konferenz an die Freie Universität.

Rund 40 Studierende und Ehemalige des Studiengangs Intellectual Encounters of the Islamicate World kamen zur Alumni-Konferenz an die Freie Universität.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Den intellektuellen Austausch von Muslimen, Juden und Christen im Mittelalter sichtbar zu machen – das hat sich der einjährige Masterstudiengang „Intellectual Encounters of the Islamicate World“ der Freien Universität auf die Fahnen geschrieben. Das Besondere: Der Studiengang richtet sich auch an Studierende aus dem Nahen und Mittleren Osten. Pro Jahrgang reisen 20 junge Menschen dreimal für gemeinsame Seminare und Workshops nach Berlin oder ins spanische Córdoba. Das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fördert das Projekt, in dessen Rahmen sich unter anderem Studierende aus dem Westjordanland, aus Israel und aus dem Iran begegnen und sich über ihre Forschung zur Kulturgeschichte des arabischen Sprachraums austauschen.

In dem Masterstudiengang kommen Menschen zusammen, die sonst kaum persönlich aufeinandertreffen.

In dem Masterstudiengang kommen Menschen zusammen, die sonst kaum persönlich aufeinandertreffen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

David Sasson hält ein kleines Buch in Händen, auf dem in goldenen Lettern hebräische Schriftzeichen prangen, erklärt seinem muslimischen Kommilitonen voller Enthusiasmus, welche Rituale es im jüdischen Glauben zu vollziehen gilt. Kompliziert und interessant findet der Kommilitone das, der weder fotografiert noch namentlich genannt werden möchte. Eine Szene von der Alumni-Konferenz, zu der kürzlich rund 40 Studierende und Ehemalige des Studiengangs Intellectual Encounters of the Islamicate World an die Freie Universität kamen. „Einige bringen sich politisch in eine heikle Lage, wenn sie zulassen, dass ihr Gesicht in der Presse erscheint“, erklärt Katja Jung, Geschäftsführerin des Studiengangs und Organisatorin der Konferenz.

Hintergrund sind die politischen Spannungen, die es Studierenden sowie Forscherinnen und Forschern aus dem Nahen und Mittleren Osten schwermachen, öffentlich miteinander in Kontakt zu treten. So ist Katja Jung und ihren Mitstreitern vor allem eines wichtig: einen sicheren Ort des wissenschaftlichen Austausches zu schaffen für Menschen, die sonst kaum persönlich aufeinandertreffen.

Dreimal im Jahr reisen die Studierenden zu mehrtägigen Kolloquien nach Berlin oder nach Córdoba, den Rest des Studienprogramms absolvieren sie online. Bewerben können sich Absolventinnen und Absolventen, die über einen Bachelorabschluss verfügen – zum Beispiel in der Geschichts-, Religions- oder Islamwissenschaft. Die Studierenden teilten die Faszination für die Ideengeschichte der islamisch geprägten Welt und könnten sich mithilfe des Studiengangs akademisch vernetzen, erläutert Katja Jung. Der inhaltliche Schwerpunkt liege auf dem Austausch zwischen den Kulturen – damals und heute.

Konrad Hirschler vom Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität hielt den Eröffnungsvortrag.

Konrad Hirschler vom Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität hielt den Eröffnungsvortrag.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Dass es Kontakt und Ideentransfer zwischen Gelehrten bereits im Mittelalter gegeben hat und wie fruchtbar dieser gewesen sind zeigt im Eröffnungsvortrag Konrad Hirschler, Professor am Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität. Der Historiker hat sich auf die Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens spezialisiert und berichtet bei der Alumni-Konferenz von mittelalterlichen syrischen Textquellen. Die Zeit der Kreuzritter in Damaskus im frühen zwölften Jahrhundert versteht Hirschler als fränkische Periode. „Wenn man von den Kreuzrittern spricht, dann impliziert das, dass diese Menschen ihre ursprüngliche Identität auch in der Fremde beibehalten hätten“, sagt Hirschler. „Tatsächlich aber hat viel mehr Austausch stattgefunden, als wir zumeist annehmen.“

Im nördlichen Syrien seien im zwölften Jahrhundert Franken, Armenier und muslimische Herrscher aufeinandergetroffen. Für diese Periode lasse sich nachweisen, dass arabische Texte in der fränkischen Gemeinschaft rezipiert worden seien, sagt Hirschler. So fänden sich etwa lateinische Notizen innerhalb arabischsprachiger Manuskripte zur Medizin, und in arabischen Quellen sei man auf Musiknotationen gestoßen. Ein Notationssystem, das von den europäischen Einwanderern übernommen worden sein muss, denn im Arabischen wurde Musik damals nur mündlich weitergegeben. „All das widerspricht der Annahme, dass man nicht aneinander interessiert gewesen sei und kein kultureller Austausch stattgefunden habe.“

Sarah Stroumsa, emeritierte Professorin an der Hebrew University of Jerusalem, hielt einen Vortrag über die Geniza in der Ben-Esra-Synagoge in Kairo.

Sarah Stroumsa, emeritierte Professorin an der Hebrew University of Jerusalem, hielt einen Vortrag über die Geniza in der Ben-Esra-Synagoge in Kairo.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Ähnliches weist Sarah Stroumsa, emeritierte Professorin an der Hebrew University of Jerusalem, in ihrem Vortrag über die Geniza in der Ben-Esra-Synagoge in Kairo nach. Eine jüdische Geniza ist eine Art Ablageplatz für nicht mehr benötigte Schriftstücke, die man jedoch aus religiösen oder anderen Gründen nicht zerstören oder über den Müll entsorgen wollte. Über einen Zeitraum von rund 1000 Jahren wurden hier religiöse hebräische Texte, Heiratsurkunden, Schreibübungen, Ausschnitte aus dem Koran und vieles mehr abgelegt – eine Fundgrube für die Forschung. „In der Geniza finden sich Tausende von Textfragmenten unterschiedlichster Fasson“, sagt die Professorin. Die Geniza in Kairo offenbare einen Reichtum an unterschiedlichsten Schriften, die der These kultureller Abschottung widersprächen. So seien dort vom zehnten Jahrhundert an auch Texte nichtjüdischen Ursprungs abgelegt worden. „Die spezielle Zusammensetzung jüdischer und nichtjüdischer Schriften liefert einen Hinweis darauf, dass die jüdische und islamische Bevölkerung eng miteinander in Kontakt standen“, sagt Stroumsa. „Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen atmeten sozusagen dieselbe intellektuelle Luft, integrierten sich und bewahrten zugleich jeweils ihre kulturelle Identität. Jüdische Philosophen und Wissenschaftler waren Teil eines interkulturellen Netzwerkes.“

Was unter Gelehrten des Mittelalters gezählt habe, sei ganz offenbar nicht die religiöse Zugehörigkeit gewesen, sagt Stroumsa. „Wissenschaftler schufen eine eigene Subkultur, die nicht als Symbiose, sondern als Austauschkultur zu verstehen ist. Das Kriterium war nicht Geschlecht, Religion oder kulturelle Zugehörigkeit, sondern intellektueller Scharfsinn.“ Ähnliches lässt sich angesichts der Alumni-Konferenz des Masterstudiengangs Intellectual Encounters of the Islamicate World auch für die Jetztzeit postulieren, denn hier reißen bei Tee und Kaffee die Gespräche unter den Studierenden nicht ab. Der Austausch ist rege, es wird viel gelacht. „Wenn unsere Studierenden sich bei den Kolloquien zur Begrüßung in die Arme fallen, ist das für mich jedes Mal eine große Überraschung und Freude“, sagt Katja Jung.