Springe direkt zu Inhalt

„Ich bin Feministin, weil ich Menschenrechtlerin bin“

Verleihung des Margherita-von-Brentano-Preises 2017 an die Juristin Beate Rudolf und das Projekt „Frauen und Flucht“

29.07.2017

„Wir sind das, was wir wiederholt tun. Vorzüglichkeit ist daher keine Handlung, sondern eine Gewohnheit.“ Mit einem Zitat des griechischen Philosophen Aristoteles richtete sich die US-amerikanische Juristin Marsha Freeman als Laudatorin an die diesjährige Margherita-von-Brentano-Preisträgerin: „Und was ich über Beate sagen kann nach allem, was sie bisher getan hat und weiterhin tun wird, ist, dass Vorzüglichkeit ihre Gewohnheit ist.“ Sie kenne Beate Rudolf, die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte und ehemalige Professorin für Völkerrecht an der Freien Universität, noch nicht lange, sagte Marsha Freeman, „aber dafür sehr gut, und es ist mir eine Ehre, ihre Freundin zu sein”.

Beate Rudolf werde – so die Jury-Begründung – für ihr herausragendes langjähriges akademisches und gesellschaftspolitisches Wirken im Bereich der Menschenrechte und insbesondere der Frauenrechte ausgezeichnet. Mit dem Margherita-von-Brentano-Preis ehrt die Freie Universität alle zwei Jahre herausragende Projekte und Leistungen auf dem Gebiet der Frauenförderung und der Geschlechterforschung. Der Preis sei nicht zuletzt ein Ausdruck des Selbstverständnisses der Hochschule, sagte Professor Peter-André Alt, Präsident der Freien Universität, in seiner Begrüßungsrede. Denn die Frauen- und Geschlechterforschung sei seit vielen Jahren fester Bestandteil des Profils der Freien Universität und in ihrem Leitbild verankert: So wird der Hochschule in diesem Jahr zum sechsten Mal das Total-E-Quality-Prädikat verliehen für ihre erfolgreiche Umsetzung von Chancengleichheit und erstmals das Zusatzprädikat Diversity.

Eine Persönlichkeit, die die Frauenförderung und Geschlechterforschung an der Freien Universität maßgeblich beeinflusst und bereichert hat, war die Philosophin Margherita von Brentano. Sie ist Namensgeberin für die 1995 eingerichtete Auszeichnung, die Frauen- und Geschlechterstudien sowie Gleichstellung nicht nur würdigt, sondern auch nachhaltig unterstützt. „Das waren noch andere Zeiten, als Margherita von Brentano 1970 als erste Frau in das Amt der Vizepräsidentin an der Freien Universität gewählt wurde“, sagte Publizistikprofessorin Margreth Lünenborg, die das Margherita-von-Brentano-Zentrum wissenschaftlich leitet, in ihrer Einführung. Sie würdigte die Arbeiten Margherita von Brentanos und nahm deren gesellschaftspolitische Haltung in den Blick.

Gemeinsam Brücken schlagen

„Ich bin Feministin, weil ich Menschenrechtlerin bin“, sagte Beate Rudolf in ihrer Dankesrede. „Oder anders gewendet: Wer Menschenrechte ernst nimmt, muss Feministin beziehungsweise Feminist sein.“ Solidarität und vor allem Kommunikation seien in diesen miteinander verbundenen Diskursen besonders wichtig. Wie sehr beides oft fehle, sehe man in Deutschland etwa am sogenannten Kopftuchstreit: „Kopftuchtragenden Frauen wird immer wieder grundsätzlich abgesprochen, Feministinnen sein zu können. Dabei ist es doch so einfach: Es kommt nicht darauf an, was jemand auf dem Kopf hat, sondern im Kopf. Und das findet man nur heraus, wenn man miteinander spricht“, sagte Beate Rudolf.

Der Freien Universität, an dessen Fachbereich Rechtswissenschaft Beate Rudolf sechs Jahre lang gelehrt hat, dankte sie für die Möglichkeit, sich als Wissenschaftlerin in Forschung und universitärem Leben für die gleichen Rechte von Frauen eingesetzt haben zu können. Dem Deutschen Institut für Menschenrechte sei sie dankbar für den Raum, die Menschenrechte aller zusammenzudenken und geschlechtsbasierte Diskriminierung durch alle Arbeitsfelder hindurch angehen zu können. Das Preisgeld wolle sie dafür verwenden, den Kommentar zur UN-Frauenrechtskonvention CEDAW gemeinsam mit Marsha Freeman in zweiter Auflage herauszubringen und damit die Menschenrechte von Frauen für Wissenschaft, Politik und zivilgesellschaftliche Organisationen besser zugänglich und greifbar zu machen. „Ich hoffe, dass es Marsha Freeman und mir gelingt, mit der Zweitauflage weitere Brücken zu schlagen über Generationen und Kontinente hinweg.“

Außergewöhnliche partizipative Forschung

Der mit insgesamt 15.000 Euro dotierte Margherita-von-Brentano-Preis wurde in diesem Jahr erstmalig geteilt. Ebenfalls ausgezeichnet wurde das Projekt „Frauen und Flucht“ unter der Leitung von Professor Hansjörg Dilger und Kristina Dohrn vom Institut für Sozial- und Kulturanthropologie der Freien Universität Berlin. Im Zentrum des studentisch initiierten Projekts standen die Lebens- und Alltagsbedingungen von geflüchteten Frauen in Berliner Not- und Sammelunterkünften. Daraus ist das Buch „Living in Refugee Camps in Berlin: Women's Perspectives and Experiences“ hervorgegangen. Die Jury begründete die Auszeichnung damit, dass das Projekt die gesellschaftspolitische Relevanz der besonderen Bedürfnisse geflüchteter Frauen in den Fokus gerückt habe und es zugleich eine gelungene Form forschungsorientierter Lehre sei.

Neben Lehrenden und Studierenden der Freien Universität war auch der International Women Space beteiligt, eine aktivistische Gruppe geflüchteter und migrantischer Frauen, sowie die befragten Frauen selbst. „Diese partizipative Forschung ist außergewöhnlich“, sagte María do Mar Castro Varela, Professorin für Soziale Arbeit und Allgemeine Pädagogik an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin, in ihrer Laudatio. „So werden die, die erforscht werden, nicht zu einem bloßen Objekt, sondern eingebunden in die Fragestellung, in die Art und Weise, wie geforscht wird, und auch, wie die Ergebnisse dann dargestellt werden, und was mit den Ergebnissen geschieht.“

Lange Tradition der Geschlechterforschung

Durch die Auszeichnung werde das Projekt einerseits in eine lange Tradition der Geschlechterforschung an der Freien Universität gestellt, andererseits ermögliche sie die Fortführung der Aktivitäten, sagte Hansjörg Dilger, Professor für Sozial- und Kulturanthropologie an der Freien Universität, in seiner Dankesrede. Das Preisgeld solle dafür eingesetzt werden, im Dialog mit geflüchteten Frauen ein weiteres Buchprojekt zum Thema ‚Angekommen?‘ zu realisieren, das über den akademischen Kontext hinaus eine breite Öffentlichkeit erreichen solle. „Im gemeinsamen Gespräch werden Frauen ihre Geschichten und Erfahrungen darüber teilen, wie sie nach ihrer Flucht nach Deutschland in dieser Gesellschaft angekommen sind. Oder aber, wie dieses Ankommen nur teilweise oder überhaupt nicht geglückt ist.“

Die an dem Projekt beteiligten Studentinnen Laura Strott und Camila von Hein bedankten sich vor allem bei den Frauen, denen sie während der Forschung in den Unterkünften begegnet sind „für ihre Zeit und ihr Vertrauen uns gegenüber, für ihre Geduld und ihre Mithilfe am Projekt – obwohl sie wussten, dass sich dadurch ihre persönliche Situation nicht ändern wird.“

Weitere Informationen

Bevor Beate Rudolf im Januar 2010 das Amt als Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte übernahm, lehrte sie sechs Jahre lang als Juniorprofessorin für Öffentliches Recht und Gleichstellungsrecht am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität und leitete das Teilprojekt „Völkerrechtliche Vorgaben für Governance in schwachen und zerfallenden Staaten“ im Sonderforschungsbereich „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Grund- und Menschenrechte sowie Staatsstrukturprinzipien nach Völkerrecht, Europarecht und deutschem Verfassungsrecht und in rechtsvergleichender Perspektive. Ihre über zwanzigjährige Tätigkeit in Forschung und Lehre auf diesen Gebieten an den Universitäten Bonn, Düsseldorf, der Tulane Law School in New Orleans sowie der Freien Universität Berlin ergänzte sie durch praktische Erfahrungen in der Menschenrechtsarbeit, unter anderem während des Referendariats im Direktorat für Menschenrechte des Europarats, als Vertreterin von Beschwerdeführern vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sowie in langjähriger ehrenamtlicher Arbeit innerhalb des Deutschen Juristinnenbundes und der European Women Lawyers Association, deren Vizepräsidentin sie bis Ende 2011 war. Seit März 2016 ist sie Vorsitzende der Global Alliance of National Human Rights Institutions (GANHRI), des Weltverbands der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen. Gemeinsam mit Marsha Freeman und Christine Chinkin ist Beate Rudolf Mitherausgeberinnen des 2012 erschienenen englischsprachigen Kommentars zum „Übereinkommen über die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ (UN Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women: A Commentary).

Forschungskollektiv „Frauen und Flucht“

Im Winter 2015/16 befragten 30 vorwiegend weibliche Studierende der Freien Universität mehr als 80 Frauen aus Syrien, dem Irak, Eritrea, Iran, Afghanistan und Albanien zu ihren persönlichen und kulturellen Hintergründen sowie zu ihren sozialen Interaktionen und Unterstützungsnetzwerken in Berlin. Weitere Themen der Forschung waren die Erfahrungen der Frauen mit Gesundheitsversorgung und rechtlich-administrativen Bedingungen in den Unterkünften sowie ihre Wahrnehmungen des Alltagslebens in Berlin. Ein besonderer Fokus richtete sich auf die Vorschläge und Erwartungen, die die Frauen selbst in Bezug auf eine Verbesserung ihrer derzeitigen Situation, und ihre Perspektive auf ein Leben in Deutschland formulierten. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts wurden im Buch „Living in Refugee Camps in Berlin: Women’s Perspectives and Experiences“ im Weißensee Verlag veröffentlicht.

Margherita-von-Brentano-Preis

Der Margherita-von-Brentano-Preis wird alle zwei Jahre vom Präsidium der Hochschule an herausragende Personen und innovative Projekte vergeben, die sich um die Frauenförderung und/oder die Geschlechterforschung verdient gemacht haben. Er wird seit 1995 verliehen. Zu den bisherigen Preisträgerinnen gehören unter anderem die Berliner Rechtsanwältin Seyran Ateş, die Initiativgruppe zur Gründung eines Zentrums für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM) sowie das Verbundprojekt MISEAL, das sich dem Thema Gleichstellung, insbesondere dem der gleichberechtigten Teilhabe unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen an der Hochschulbildung in lateinamerikanischen Ländern widmete.

Die Namensgeberin des Preises, Margherita von Brentano, promovierte 1948 bei Martin Heidegger und wurde 1971 Professorin am Institut für Philosophie der Freien Universität. Im Jahr 1970 wurde sie als erste Frau in das Amt der Vizepräsidentin der Hochschule gewählt. Als kritische Intellektuelle machte es sich Margherita von Brentano schon zu Beginn der 1960er Jahre zum Anliegen, die berufliche Diskriminierung von Frauen, vor allem deren weitgehenden Ausschluss aus den höheren Hierarchieebenen von Universitäten und Forschungseinrichtungen zu überwinden. Sie wirkte auch in anderen gesellschaftlichen Feldern: Bis zu ihrem Tod im Jahr 1995 setzte sie sich für die Errichtung eines Berliner Mahnmals zum Gedenken an die Opfer des Holocaust ein.