„Demokratie ist ein Mitmachsport!“
US-Senator Bernie Sanders war zu Gast an der Freien Universität
01.06.2017
Als der 75-jährige US-Politiker mit einer halben Stunde Verspätung unter tosendem Applaus endlich das Max-Kade-Auditorium im Henry-Ford-Bau betrat, gab es kein Halten mehr: Mit lauten „Bernie“-Rufen und wie ein Popstar wurde Sanders von den mehr als 1200 Zuhörerinnen und Zuhörern empfangen. Der Anlass für den amerikanischen Besuch in Dahlem, den sich niemand entgehen lassen wollte: Bernie Sanders stellte auf Einladung der Ullstein-Buchverlage und des ZEIT-Magazins in Kooperation mit der Freien Universität sein Buch „Unsere Revolution“ vor. Seine Botschaft – Einstehen für die sozial Benachteiligten und gegen den Trumpismus – kam bei den Studierenden, die den größten Teil des Publikums darstellten, ausgesprochen gut an.
Im Vorwahlkampf zur US-amerikanischen Präsidentschaftswahl hatte sich Sanders zwar Hillary Clinton geschlagen geben müssen. Nichtsdestotrotz setzen er und seine Anhänger sich weiterhin mit Nachdruck für ein Amerika ein, das in der Wirtschafts- und vor allem Sozialpolitik umdenken müsse: „Lassen Sie mich darüber sprechen, was zur Hölle in den USA derzeit los ist“, begann der Politiker. Mit Blick auf die jüngsten Ereignisse auf dem G7-Gipfel betonte Sanders, dass die Beziehungen zwischen Europa und den USA seit dem Zweiten Weltkrieg stets von essentieller Bedeutung gewesen seien. „An diese guten Beziehungen müssen wir anknüpfen, um für Stabilität in der Welt zu sorgen.“
„Alle müssen an einem Strang ziehen"
Sanders wandte sich entschieden gegen die Politik von US-Präsident Donald Trump, der mit dem Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen droht. „Es wäre gefährlich für die USA, sich aus dem Klimaabkommen zurückzuziehen. Das wäre ein schrecklicher Fehler“, rief er. Der Klimawandel sei kein Witz, sondern menschengemachte Realität. Das sei auch den meisten Amerikanern klar, und viele amerikanische Bundesstaaten machten sich – ungeachtet der bevorstehenden Entscheidung des US-Präsidenten – aktiv für eine nachhaltige Energiepolitik und den Einsatz alternativer Energien stark. „Deutschland allein wird Überschwemmungen, Hitzewellen und den Anstieg der Meeresspiegel nicht aufhalten können. Deutschland, China und die USA können es nicht allein schaffen. Wir brauchen eine starke internationale Zusammenarbeit, wenn wir unseren Kindern und Enkelkindern einen bewohnbaren Planeten hinterlassen wollen.“
Sanders beschwor das Publikum: „Egal was Trump sagt oder tut – glauben Sie nicht, dass die amerikanischen Bürger ihre Augen vor dieser Krise verschließen.“ Auch der internationale Terrorismus sei ein Thema, bei dem alle an einem Strang ziehen müssten. Viele im Publikum fragten sich vielleicht, wofür er, Sanders, politisch stehe. „Es ist kein Geheimnis, dass ich kein großer Trump-Fan bin“, sagte er. Dafür gebe es viele Gründe, vor allem in der Innenpolitik: Der gerade veröffentlichte Haushaltsplan der US-Regierung sei der erschreckendste in der amerikanischen Geschichte und setze einen „massiven Transfer von Geldern“ in Gang, die von den sozial schwächsten Gesellschaftsschichten auf das reichste eine Prozent der Bevölkerung umverteilt würden. „Trumps Plan wird 23 Millionen Amerikaner die Krankenversicherung kosten.“
Besorgt, wie wenig Respekt Trump gegenüber der Demokratie zeige
Der US-Präsident diskreditiere die Medien auf besorgniserregende Weise und greife etablierte Institutionen an: „Ich bin sehr besorgt darüber, wie wenig Respekt Trump gegenüber der Demokratie zeigt“, sagte Sanders. „Wir haben alle konservative Freunde, mit denen wir politisch nicht einer Meinung sind. Aber sie sind ehrlich, sie stehen zu ihrer Meinung, und das respektiere ich. Trump hingegen verbreitet Lügen und unverschämte Behauptungen.“ So habe dieser etwa behauptet, dass 3 bis 5 Millionen Amerikaner unberechtigterweise gewählt hätten. Damit wolle Trump den demokratischen Prozess lähmen und es Menschen unmöglich machen, sich mit dem Stimmzettel gegen Trump zu positionieren. „Ich bin empört von einer Politik, die das Land spaltet und Menschen nach Hautfarbe und religiöser Überzeugung aufteilen will“, rief Sanders. Die Aufgabe eines demokratischen Anführers sei es, Menschen zusammenzubringen, nicht zu spalten, sagte Sanders und fügte hinzu: „Der derzeitige Präsident scheint sich unter Autokraten am Wohlsten zu fühlen.“
Immer wieder brandete während Sanders Vortrag und des sich anschließenden Gesprächs mit ZEIT-Magazin-Chefredakteur Christoph Amend Beifall auf: Zu lange habe man die Stimmen der Verzweifelten nicht gehört, sagte der Senator. „Während die Produktivität und die technologische Entwicklung in den vergangenen 40 Jahren unglaubliche Fortschritte gemacht haben, hat sich die Mittelschicht verkleinert.“ Unzählige Menschen lebten in den USA in Armut. Diese Entwicklungen seien kein rein amerikanisches Phänomen, sondern auch das Ergebnis einer global agierenden Wirtschaft und multinationaler Konzerne, die keine Steuern zahlten. „Eine kleine Elite von Milliardären kontrolliert unsere Wirtschaft und die Politik. 1 Prozent der Weltbevölkerung besitzt mehr als die verbleibenden 99, und die reichsten acht Menschen auf diesem Planeten besitzen mehr, als die ärmsten 50 Prozent.“ Er wandte sich an das Publikum: „Wir müssen zusammenstehen und den Milliardären zeigen, dass ihre Gier für uns nicht mehr akzeptabel ist." Die Aufgabe aller Menschen sei es, solche Verhältnisse nicht hinzunehmen. „Demokratie ist kein Zuschauersport", rief Sanders und forderte vor allem die junge Generation auf, aktiv zu sein: „Es ist ein Mitmachsport.“