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„Wenn wir alles so lassen, gefährden wir Europa erst recht“

Europatag am 9. Mai: Jenny Paul, Studentin des Studiengangs Europawissenschaften, hat das „Römische Manifest“ mitinitiiert – an dem Thesenpapier haben junge Menschen aus ganz Europa mitgewirkt

09.05.2017

Das „Römische Manifest“ enthält Vorschläge für eine Reform der Europäischen Union.

Das „Römische Manifest“ enthält Vorschläge für eine Reform der Europäischen Union.
Bildquelle: Manuel Krane

Einer der Kritikpunkte an der Europäischen Union ist, dass sie mit ihrem komplizierten institutionellen Geflecht wenig demokratisch sei – was wiederum zur Europaverdrossenheit beitrage. Eine Gruppe junger Menschen aus ganz Europa hat nun ein Thesenpapier erarbeitet – das „Römische Manifest“ – das eine grundlegende Neuordnung der Union anregt. Der von der Freien Universität und der Technischen Universität gemeinsam getragene Postgraduierten-Studiengang Europawissenschaften unterstützt die Verbreitung dieses Manifestes. Campus.leben sprach mit Europawissenschaftsstudentin Jenny Paul, die das Thesenpapier mitinitiiert hat.

Jenny Paul studiert Europawissenschaften und hat das „Europäische Manifest“ mitinitiiert.

Jenny Paul studiert Europawissenschaften und hat das „Europäische Manifest“ mitinitiiert.
Bildquelle: Manuel Krane

Frau Paul, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein „Römisches Manifest“ zu verfassen?

Am Anfang stand das „United Europe Young Professional Seminar“ im vergangenen Herbst in der Villa Vigoni am Comer See. Dieses brachte junge und berufstätige Menschen aus ganz Europa zu einer Diskussion über die Zukunft des Kontinents zusammen. Hierbei entstand die Idee, jungen Menschen eine Stimme bei der Reform Europas zu geben. Viele sind ja dafür, dass Europa reformiert wird, aber sie sagen nicht, wie. Wir wollten einen konkreten Vorschlag machen. So haben der gemeinnützige Verein United Europe e.V. und das deutsch-italienische Zentrum für europäische Exzellenz Villa Vigoni das Projekt „Römisches Manifest“ ins Leben gerufen. Hierzu haben wir 18 junge Europäer aus unseren Netzwerken ausgewählt und uns in drei Themengruppen aufgeteilt – zu den europäischen Grundwerten, zur europäischen Identität und zur institutionellen Ausgestaltung der europäischen Idee. Die Gruppen haben sich im Januar zunächst in Einzelrunden in Bologna, Brüssel und Berlin getroffen. Im Februar gab es dann ein gemeinsames Treffen am Comer See, bei dem alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer über das Manifest diskutiert haben. Da wurde um jedes Wort gerungen. Manchmal mussten wir auch abstimmen, wenn wir über einen Satz keinen Konsens herstellen konnten. Am Ende ist aber ein Text herausgekommen, hinter dem wir alle stehen.

Warum braucht es dieses Manifest?

Ich glaube, dass ein Großteil des Vertrauens in Europa durch komplexe Prozesse und Intransparenz verspielt worden ist. Damit meine ich nicht Intransparenz einzelner europäischer Institutionen, sondern des Gebildes als solches. Wenn man den Eindruck hat, dass man in der europäischen Politik mitwirken kann, dass man über das Wahlrecht eine Stimme hat, die tatsächlich etwas bewirkt, dann schafft das mehr Vertrauen in Europa. Wir glauben, dass das Manifest ein guter Weg dorthin ist. Wir haben sehr konkrete Vorschläge entwickelt, um eine Diskussionsgrundlage zu schaffen. Wir sind der Überzeugung, dass wir eine starke Reform brauchen, um die Europäische Union zu retten.

Einer dieser Reformvorschläge zielt darauf ab, die EU in eine „Europäische Föderale Union“ umzuwandeln. Wie unterscheidet sich diese von einem Europäischen Bundesstaat?

Wir wollen keinen europäischen Superstaat schaffen, sondern die Kompetenzen der Union und der Nationalstaaten klarer voneinander trennen. Wir wollen einfachere Gesetzgebungsstrukturen und mehr Möglichkeiten für die Menschen, sich einbringen zu können. Dazu soll es wie bisher das Europäische Parlament und – das ist neu – einen Europäischen Senat geben. Der würde die jetzigen Institutionen Ministerrat und Europäischer Rat ersetzen. Damit hätten wir ein Zweikammersystem, das den nationalen Regierungen in der Gesetzgebung ein gewichtiges Wort lässt. Aber mit der intransparenten Doppelrolle des Europäischen Rates als oberste Exekutive einerseits und Gesetzgebungsorgan andererseits wäre Schluss. Außerdem soll die Union eigene Steuern erheben dürfen. Dadurch würde sie von den Zuweisungen der Mitgliedsstaaten unabhängig. Die bisherige Finanzplanung, die alle sieben Jahre zu einem großen und politisch nicht gerade sehr ansprechenden Handel zwischen den Regierungen führt, würde damit überflüssig.

Um diese Strukturreform umsetzen zu können, bräuchte es eine Europäische Verfassung. Bisherige Versuche waren da nicht gerade erfolgreich…

Wir denken, dass es an der Zeit für einen neuen Anlauf ist. Wir brauchen ein stabiles Fundament für das europäische Haus, und das bekommen wir nur über eine Verfassung. Natürlich wird es Mitgliedsstaaten geben, die damit Probleme haben. Wir können uns in Europa aber nicht immer am schwächsten Glied orientieren. Wir brauchen eine überzeugende Vision, auch auf die Gefahr hin, dass sich Staaten nicht anschließen wollen. Wir wollen die Europäische Union nicht gefährden, aber wenn wir alles so lassen, wie es ist, gefährden wir sie viel mehr, als wenn wir voranschreiten. Notfalls tun wir das eben nur mit den Staaten, die das wirklich wollen.

Die Fragen stellte Manuel Krane

Weitere Informationen

Das „Römische Manifest“ ist von jungen Menschen aus Europa entwickelt worden und stellt einen Vorschlag zur Erneuerung der Europäischen Union dar. Dabei sollen die Europäischen Institutionen neu geordnet werden, Zuständigkeiten neu verteilt werden und Staaten in ausgesuchten Politikfeldern Souveränität an die Union abgeben. Das von United Europe und der Villa Vigoni geleitete Projekt wurde von der Friedrich-Stiftung, der Mercator-Stiftung und der Jaakko Pöyry-Holding finanziert. Zur Ausarbeitung des Manifestes haben sich zunächst drei Untergruppen in Berlin, Bologna und Brüssel getroffen, Ende Februar ist die finale Fassung des Manifestes von allen Teilnehmern am Comer See ausgearbeitet worden und anschließend in Rom im Rahmen des 60. Jahrestages der Europäischen Union präsentiert worden.

Die Fellows 2016/2017 des Postgraduierten-Studiengangs Europawissenschaften, der von der Freien Universität und der Technischen Universität gemeinsam getragen wird, sind in diesem Jahr für den Berliner Europapreis „Blauer Bär“ nominiert. Die Bekanntgabe der Gewinner und die Preisverleihung findet am heutigen Dienstag im Roten Rathaus statt.