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„Gender-Fragen sind ein Ganzjahresgeschäft“

Ein Gespräch mit Mechthild Koreuber, Heike Pantelmann und Anita Traninger zum Internationalen Frauentag am 8. März

08.03.2017

V. l. n. r.: Dr. Mechthild Koreuber, Zentrale Frauenbeauftragte der Freien Universität, Heike Pantelmann, Margherita-von-Brentano-Zentrum für Geschlechterforschung, Prof. Dr. Anita Traninger, Institut für Romanische Philologie.

V. l. n. r.: Dr. Mechthild Koreuber, Zentrale Frauenbeauftragte der Freien Universität, Heike Pantelmann, Margherita-von-Brentano-Zentrum für Geschlechterforschung, Prof. Dr. Anita Traninger, Institut für Romanische Philologie.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Ein erster Frauentag wurde in einigen europäischen Ländern, darunter in Deutschland, im Jahr 1911 begangen. Vorbild war ein Aktionstag in den USA, der auf Initiative sozialistischer Organisationen gefeiert wurde und mit dem Engagement der deutschen Frauenrechtlerinnen Clara Zetkin und Käte Duncker zustandekam. Vor 40 Jahren – im März 1977 – verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution mit der Bitte an alle Staaten, einen Tag des Jahres als Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden zu bestimmen; in vielen Ländern ist dies der 8. März.

Welche Bedeutung hat dieser Tag für Forschung, Lehre und die Verwaltung der Freien Universität Berlin? Ein Gespräch mit Mechthild Koreuber, Zentrale Frauenbeauftragte der Hochschule, Heike Pantelmann, Sprecherin des Plenums der dezentralen Frauenbeauftragten und verantwortlich für die Koordination von Gender und Diversity in der Lehre, und Anita Traninger, Professorin für Romanische Philologie und stellvertretende Sprecherin des Dahlem Humanities Center.

Frau Professorin Traninger, Frau Koreuber, Frau Pantelmann, brauchen wir in Deutschland noch einen Frauentag?

Anita Traninger: Meine Gegenfrage: Was wäre ein Kriterium, um ihn nicht mehr zu begehen? An diesem Tag werden die Vorkämpferinnen für Frauenrechte geehrt, das ist ein weltweites Anliegen. Da können wir wohl nicht sagen, an der Erinnerung an die großartigen Leistungen nehmen wir nicht mehr teil.

Mechthild Koreuber: Natürlich brauchen wir weiterhin den Frauentag. Wir sind zwar in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten deutlich in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit vorangekommen, doch im Moment erleben wir insbesondere durch die rechtspopulistischen Tendenzen eine Rückwärtsbewegung.

Sind Sie persönlich an dem Tag aktiv, an der Universität oder in der Stadt?

Koreuber: Im Roten Rathaus wird der Berliner Frauenpreis vergeben, eine Veranstaltung, zu der ich selbstverständlich gehen werde. Dort treffen sich traditionell sehr viele frauenpolitisch in der Stadt engagierte Menschen.

Heike Pantelmann: Das ist für mich schon ein besonderer Tag. Unsere studentische Hilfskraft im Margherita-von-Brentano-Zentrum fragte mich neulich, was machen wir denn nun am 8. März? Da sagte ich: Ist doch klar, das Patriarchat stürzen, ich bringe auch eine Flasche Sekt mit. Aber im Ernst: Ich gehe zu einer Veranstaltung der feministischen Filmtage. Ich bin Sprecherin des Plenums der Frauenbeauftragten, in diesem Kontext gibt es auch immer eine Veranstaltung zum 8. März.

Traninger: Das Engagement für Gender-Fragen ist ein Ganzjahresgeschäft. Ich freue mich, dass es am 8. März viele Veranstaltungen gibt, aber das muss für mich selbst gar nicht sein.

Was ist Ihre Einschätzung: Geht es voran bei der Gleichberechtigung der Geschlechter? Wohin geht die Entwicklung?

Pantelmann: Es gibt ganz sicher eine Rückwärtsbewegung. Es geht zwar auch voran, oft in kleinen Schritten. Vielfach ist eine verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre zu beobachten.

Traninger: Es gibt auf rechtlichem und politischem Gebiet Gleichstellungspolitiken, die sehr gut greifen, und zugleich sind wieder Argumente auszufechten, von denen wir dachten, die wären erledigt. Zum Beispiel die mediale und gesellschaftliche Debatte um das Gendern in der Sprache. Ich empfinde es als eine konservative Wende, dass das „hohe Gut der Sprache“ über den Respekt und die Anerkennung von Personen gestellt wird. Geschlechterfragen führen immer dann zu Anfällen von Zorn und Erregtheit, wenn es um Sprache geht. Es reizt die Leute offenbar besonders, wenn es darum geht, wie wir miteinander sprechen sollen. Vielleicht liegt es daran, dass wir bei diesem Thema bemerken, wie Macht- und Ohnmachtsfragen uns selbst berühren.

Koreuber: Wir erleben deutliche Fortschritte bei der Gleichberechtigung der Geschlechter, zum Beispiel an den Universitäten. Und zugleich geht mit einem Erstarken des Rechtspopulismus eine Diffamierung von Frauenbeauftragten und Geschlechterforscherinnen einher, die uns zeigt, dass wir uns anstrengen müssen, damit wir keinen Rückschritt insgesamt erleben. Das zeigt sich auch international.

Was können die Universitäten auf dem Gebiet der Geschlechtergerechtigkeit beitragen?

Traninger: Wir müssen Vorreiter sein. Wegen unserer Geschichte. Wenn wir uns die Geschichte der Universität anschauen, so ist diese strukturell schon immer konstituiert als männliche Gemeinschaft, die sich durch den Ausschluss von Frauen definiert. Die mittelalterliche Universität geht aus mönchischen Männergemeinschaften hervor, und das ist bis heute von Bedeutung. Die Universität hat über Jahrhunderte stets erneut versucht, die grundlegende, asymmetrische Geschlechterdifferenz aufrechtzuerhalten. Sie ist immer noch in den Praktiken eingeschrieben. Darum tut sich die Universität in gewissen Hinsichten besonders schwer. Und das ist paradox, weil wir gleichzeitig eine Institution sind, die nach Wahrheit sucht, die Debatten offen führt, die kritischen Diskurs fördert.

Pantelmann: Zudem ist eine Universität – wie jede Organisation – Innovationen gegenüber per se nicht aufgeschlossen; es gibt immer Widerstände gegen Veränderungen, es gibt Behäbigkeit, da müssen wir viel tun.

Koreuber: Die Universitäten haben einen Ausbildungsauftrag, der auch eine reflektierte Auseinandersetzung mit den bestehenden Machtverhältnissen und den ihnen inhärenten geschlechterhierarchischen Strukturen umfasst. So ist etwa in den meisten Studiengängen das Thema Geschlecht und Gender in den Lehrplänen benannt. Hier geht es unter anderem darum, Geschlechterstereotype aufzuzeigen.

Wenn Sie auf die Freie Universität als Bildungsinstitution innerhalb der deutschen Hochschullandschaft und international hinsichtlich der Geschlechtergerechtigkeit blicken: Wo sehen Sie die Universität platziert?

Pantelmann: Die Freie Universität ist derzeit gut platziert, aber sie darf sich auf dieser Position nicht ausruhen, sondern muss sich weiter anstrengen, gerade beim Thema Diversity.

Koreuber: Die dezentralen Frauenbeauftragten an den Fachbereichen und Zentralinstituten sind vielleicht der wichtigste Faktor beim Erfolg der Freien Universität, denn sie begleiten sämtliche organisatorischen, strukturellen und personellen Angelegenheiten in ihren jeweiligen Bereichen. Sie zeigen Diskriminierungen auf und sichern transparente Verfahren. Zurzeit steht die Freie Universität im deutschen Vergleich sehr gut da, etwa was die Anteile von Frauen an den Professuren betrifft. Aber auch viele andere Universitäten haben inzwischen innovative Formate der Frauenförderung und Gleichstellungsstrukturen entwickelt, um Diversity mit Gender in einen konstruktiven Zusammenhang zu bringen.

Traninger: Dass die Freie Universität sehr gut mit ihrer Gleichstellungspolitik aufgestellt ist, ist auch an der hervorragenden Drittmittelförderung zu sehen: Bei Anträgen für Verbundprojekte ist Gleichstellung ein wichtiges Kriterium – wir werben auch deshalb so erfolgreich Projekte ein, weil die Anteile von Frauen auf Professuren hoch sind.

Wie würden Sie als Forscherin Bildungsinstitutionen beurteilen, Frau Traninger, in welchem Verhältnis stehen Gender und Wissensproduktion?

Traninger: Die Universität ist historisch strukturell männlich, und so war es auch lange die Wissensproduktion. Die feministische Wissenschaftsforschung hat im 20. Jahrhundert große Impulse gegeben, das wird zuweilen vergessen: Konzepte wie Objektivität und Universalität wurden hinterfragt, die für die universitäre Wissensproduktion prägend gewesen waren. Mit der Wandlung der Frauen- und Geschlechterforschung zur Gender- und Diversity-Forschung haben sich neue und spannende Fragen eröffnet. Gender ist immer eine Beziehungskategorie, es geht immer um ein Geschlechterverhältnis. Es ist aufschlussreich, Felder, an denen allein Männer beteiligt sind, unter Gender-Aspekten zu betrachten und herauszuarbeiten, unter welchen Ausschlussprozessen, mit welchen Segregationsmechanismen und mit welchen Hierarchisierungen sich diese Felder gebildet haben. So können auch historische Phänomene, die man für gut erforscht hielt, in ein neues Licht gerückt werden.

Können Sie einen Vergleich ziehen zwischen der Zeit, in der Sie studiert haben, und der Gegenwart? Welche Dinge haben sich verändert?

Traninger: Alles eigentlich. Auch meine eigene Wahrnehmung. Als Studentin habe ich Gender als gesellschaftliches Problem gar nicht so stark wahrgenommen. Natürlich war das als Theorie interessant: Judith Butler war damals schon ein großer Name, aber ich habe es für mich als Erfahrung nicht so zentral gesehen. Studierende heute dagegen formulieren konkret, wie sie gern angesprochen werden möchten und wie Diversity ihrer Meinung nach in der Lehre verankert sein soll. Das ist sehr mutig, sehr direkt, das finde ich toll. So war ich als Studentin nicht.

Pantelmann: Ich habe relativ spät studiert und bin als angehende Betriebswirtin in einem Fach sozialisiert worden, das diesen Ideen nicht sehr aufgeschlossen gegenübersteht. Doch eine akademische Lehrerin hat mich sehr geprägt – die Anfang 2016 verstorbene Wissenschaftlerin, Professorin Gertraude Krell. Sie hat Gender und Diversity immer mitgedacht. Das eigentliche Erkenntnismoment aber hatte ich beim Wechsel von der Perspektive einer Studentin zur Perspektive einer Mitarbeiterin – da habe ich gedacht, jetzt verstehe ich, wie sich das zusammensetzt und wo die Probleme liegen.

Einmal angenommen, Sie könnten es sich wünschen: Wo sehen Sie die Freie Universität mit ihren Bemühungen in fünf oder zehn Jahren?

Koreuber: Die Freie Universität muss ihre Bemühungen stärken und weiterhin verstärkt Professorinnen berufen, sonst werden wir die jetzigen rund 30 Prozent schwerlich überholen. Zahlreichen Akteurinnen und Akteuren ist das bewusst. Und wir als Frauenbeauftragte erinnern immer wieder daran.

Traninger: Fifty-fifty auf allen Ebenen, das würde ich mir wünschen – bei Professuren, Beschäftigten und Studierenden. Bei den Studierenden haben wir dies weitgehend erreicht. In meinem Fach, der Romanischen Philologie, haben wir mehr als 80 Prozent weibliche Studierende – auch hier würde ich ein Fifty-fifty-Verhältnis besser finden.

Pantelmann: Ich würde mir wünschen, dass die Freie Universität auch für bisher weniger bearbeitete Felder, zum Beispiel im Kontext von Diversity Antidiskriminierung aufgreift und vorantreibt, etwa in Bezug auf Transsexualität oder Homosexualität.

Koreuber: Die Freie Universität ist so groß wie eine Kleinstadt. Wenn ich all diese unterschiedlichsten Felder, in denen Frauenbeauftragte engagiert sind, betrachte, dann befassen wir uns auch mit den verschiedensten Problemen, die im menschlichen Zusammensein auftreten können. So unterschiedlich sind die Universität und der Rest der Welt nicht. Es sind nur unsere Vorannahmen, die uns diesen Eindruck manchmal vermitteln.

Das Gespräch führten Kerrin Zielke und Carsten Wette