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„Rühr an die Welt“

Die Schweizer Schriftstellerin und Übersetzerin Ilma Rakusa ist mit dem Berliner Literaturpreis 2017 ausgezeichnet und von der Freien Universität auf die Gastprofessur für deutschsprachige Poetik der Stiftung Preußische Seehandlung berufen worden

27.02.2017

Preisträgerin Gastprofessorin Ilma Rakusa - mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (r.), dem Präsidenten der Freien Universität Prof. Dr. P.-A. Alt (2. v. r.) und Walter Rasch (l.), Vorstandsvors. d. Stiftung Preußische Seehandlung.

Preisträgerin Gastprofessorin Ilma Rakusa - mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (r.), dem Präsidenten der Freien Universität Prof. Dr. P.-A. Alt (2. v. r.) und Walter Rasch (l.), Vorstandsvors. d. Stiftung Preußische Seehandlung.
Bildquelle: Stephan Töpper

„Wenn Literatur noch olympische Disziplin wäre“ – wie zwischen 1912 und 1948, als Kunstwettbewerbe im Rahmen der Olympischen Spiele ausgetragen wurden –„dann wäre Ilma Rakusa Mehrkampfmeisterin“, sagte Karl-Markus Gauß in seiner Laudatio. Der österreichische Schriftsteller, Kritiker und Herausgeber der Zeitschrift „Literatur und Kritik“ betonte die Vielseitigkeit der Autorin: Sie sei Schriftstellerin, Übersetzerin, Vermittlerin internationaler Literatur, wie auch die Literaturpreis-Jury in ihrer Begründung hervorgehoben hatte. Angesichts der Fülle von Rakusas Werk könnte man meinen, es sei von mehreren Autorinnen verfasst worden, sagte Gauß. Aber ihr persönlicher Stil, der ihre Texte auszeichne, weise immer wieder auf sie als Urheberin hin.

Ein „Unterwegskind“

Ilma Rakusa, 1946 in der Slowakei geboren, bezeichnet sich selbst als „Unterwegskind“, aufgewachsen in einer „Kofferfamilie“: Ihre ersten fünf Lebensjahre verbrachte die Tochter eines Slowenen und einer Ungarin in Budapest und Ljubljana, schließlich Triest. Dort sah sie zum ersten Mal das Meer. Und dort begann, im Alter von fünf Jahren, ihre Schriftstellerkarriere. „Ich war ein Kind der Jalousie“, schreibt Ilma Rakusa in ihrer Autobiografie „Mehr Meer“. Den Beginn ihres Schreibens hat sie darin festgehalten: Als das Mädchen einmal bei einer verordneten Mittagspause schlaflos im Zimmer lag, zeichnete die durch die Jalousien scheinende Sonne Figuren auf die Wand. Sie formten sich zu Geschichten, und Ilma Rakusa begann zu erzählen.

Wegen der Orte ihrer frühen Kindheit zeige ihre „innere Kompassnadel nach Osten“, sagt Rakusa, deren Wanderschaft mit ihrer „Kofferfamilie“ im Alter von sechs Jahren vorerst in der Schweiz endete. Dort lernte sie Deutsch, die Sprache, in der sie schreibt.

Ein besonderes Verhältnis zu Grenzen: Sie müssen überwunden werden

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, der Ilma Rakusa mit dem Berliner Literaturpreis der Stiftung Preußische Seehandlung auszeichnete, betonte die Funktion, die die deutsche Sprache im Werk Rakusas habe: Brücken in die Welt zu bauen gegen Rückzug und Abschottung. Durch ihre vielen Umzüge habe Rakusa ein besonderes Verhältnis zu Grenzen, sagte ihr Laudator Gauß: Sie müssten überwunden werden. Er fügte hinzu: „Ohne ihre übernationale Prägung wäre Rakusa nicht denkbar, ohne sie wäre die Schweiz ärmer.“

Im kommenden Sommersemester bereichert Ilma Rakusa das Studienangebot der Freien Universität Berlin: Im Rahmen der Gastprofessur für deutschsprachige Poetik der Stiftung Preußische Seehandlung, auf die Peter-André Alt, Präsident der Freien Universität Berlin, die Schriftstellerin an diesem Abend berief, wird Ilma Rakusa ein Autorenkolleg für Studierende geben. Die Verbindung von Praxis und Wissenschaft sei von besonderer Bedeutung für die Freie Universität Berlin, sagte Alt: „Nichts ist von alleine evident“, auch die geisteswissenschaftlichen Fächer müssten sich in der Gesellschaft zeigen, was durch derartige Gespräche zwischen Literatur und der Welt geschehe.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Autorenkollegs zum Thema „Schreiben – zwischen Dringlichkeit und Handwerk“ hat die Schriftstellerin bereits ausgewählt, sie freut sich auf die Studierenden. In ihrer Antrittsvorlesung, die Rakusa am 18. Mai halten wird, will sie sich der „Geschwindigkeit der Literatur“ widmen. Dass es dabei auch um die Langsamkeit gehen wird, lässt der Titel ihrer jüngsten Gedichtsammlung vermuten, aus der sie an diesem Abend las: „Impressum. Langsames Licht.“ Das im Wappensaal des Roten Rathauses versammelte Publikum lauschte und wurde leise. Besonders in Erinnerung bleibt das „Gedicht gegen die Angst“, das mit den Versen endet:

„prüfe dein Herz /

geh übers Feld /

ruhe dich aus /

rühr an die Welt“.

Weitere Informationen

Zwölfmal, von 2005 bis 2016, trug die am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität angesiedelte Gastprofessur für deutschsprachige Poetik den Namen Heiner Müllers. Seit 2017 heißt sie „Gastprofessur für deutschsprachige Poetik der Stiftung Preußische Seehandlung“. Die Umbenennung war ein Wunsch der Witwe Heiner Müllers, die einen neuen Preis mit dem Namen ihres Mannes ausloben will.

Autorenkolleg „Schreiben – zwischen Dringlichkeit und Handwerk"

  • 9./20. Mai, 16./17. Juni und 7./8. Juli 2017
  • Freie Universität Berlin, Rost- und Silberlaube (JK 28/208), Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin

Antrittsvorlesung „DIE GESCHWINDIGKEITEN DER LITERATUR – Sondierungen auf dem Gebiet der Poetik und Prognostik"

  • Do. 18. Mai 2017
  • Freie Universität Berlin, Seminarzentrum (L 116), Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin

Abschlussvorlesung

  • 10. Juli 2017