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„Auch Worte können töten“

5. Dezember, 18.30 Uhr: Joanna Bator hält die diesjährige Siegfried Unseld Vorlesung / Campus.leben im Gespräch mit der polnischen Schriftstellerin

24.11.2016

„The Horror of Cruelty“ lautet der Titel des Vortrags, den die polnische Schriftstellerin Joanna  Bator im Rahmen der Siegfried Unseld Vorlesung halten wird.

„The Horror of Cruelty“ lautet der Titel des Vortrags, den die polnische Schriftstellerin Joanna Bator im Rahmen der Siegfried Unseld Vorlesung halten wird.
Bildquelle: K. Lukas

Sie gehört zu den herausragenden Intellektuellen in ihrer Heimat: Joanna Bator. Das Dahlem Humanities Center und der Suhrkamp Verlag haben die polnische Schriftstellerin eingeladen, am 5. Dezember um 18.30 Uhr die dritte Siegfried Unseld Vorlesung an der Freien Universität Berlin zu halten. Der Titel ihres Vortrags lautet „The Horror of Cruelty“ (Der Schrecken der Grausamkeit). Im Interview mit campus.leben erklärt die 1968 in Wałbrzych bei Breslau geborene Schriftstellerin, warum Sprache Gewalt ausüben kann, weshalb in ihrem Heimatland so viel schief läuft – und warum sie trotzdem optimistisch in die Zukunft blickt.

Frau Bator, Sie werden in Ihrer Siegfried Unseld Vorlesung über „Grausamkeit“ sprechen. Dabei wollen Sie sich auf den Essay „Putting Cruelty First“ der amerikanischen Politologin Judith N. Shklar beziehen. Was fasziniert Sie an dem Thema?

Dieses Thema interessiert mich schon seit Langem; schon seitdem ich Doktorandin an der Polnischen Akademie der Wissenschaften war. Aber es gibt auch genug aktuelle Bezüge. Man muss sich ja nur umsehen: Jeden Tag werden wir mit unzähligen grausamen Bildern konfrontiert, die uns viel zu oft kalt lassen.

Über welche Art von Grausamkeit werden Sie sprechen?

Ich werde mit einem Beispiel beginnen, mit einem Ereignis, das so tatsächlich in Polen stattgefunden hat. Ich möchte nicht zu viel verraten, nur dies: Es handelt sich um einen sehr blutigen Vorfall, den man als moderne Romeo-und-Julia-Geschichte bezeichnen könnte. Dann soll es um die Reaktionen der Menschen auf dieses Ereignis gehen, ihre Äußerungen in polnischen Internet-Foren und den Kommentar-Spalten der polnischen Boulevard-Presse. Schließlich werde ich den Zusammenhang zwischen Grausamkeit und Literatur behandeln.

Sie haben das Internet angesprochen. In Ihrem Roman „Dunkel, fast Nacht“ war die verbale Gewalt in Internet-Foren ein zentrales Thema. Bezeichnen Sie diese Art von Gewalt auch als Grausamkeit?

Ich denke, dass Worte über Gewalt und Macht verfügen. Sie sind nicht unschuldig. Manchmal kann man sehen, dass Hass, der in Worte gefasst wird, eine Art Hass sein kann, der fast schon wie eine ausgeführte Tat wirkt. Worte können Menschen nicht nur beleidigen, sondern manchmal sogar töten. In meinem Buch „Dunkel, fast Nacht“ habe ich die brutale Sprache im Internet untersucht. Ich habe ethnografische und linguistische Analysen durchgeführt, um so eine Essenz der Sprache des Hasses zu gewinnen. Das war 2011, vor fünf Jahren. Inzwischen hat sich gezeigt, dass das, was damals nur Worte waren, heute wirklich passiert. Das kann man besonders gut auf der Bühne der polnischen Politik beobachten: Hass gegenüber Frauen, Hass gegenüber Minderheiten.

Glauben Sie, dass der Hass in Polen spezifisch ist? Oder ist er vergleichbar mit den Formen des Hasses in Deutschland und den USA?

Polen ist Teil eines großen historischen Kontextes, Teil eines Puzzles. Natürlich könnte man auch einen spezifischen polnischen Hass identifizieren, der mit unserer Geschichte zu tun hat. Im Grunde sind wir aber Teil einer größeren Entwicklung.

Woher kommt der Hass?

Das kann keiner wirklich beantworten. Die Oppositionskräfte, die solche Menschen wie Trump oder Kaczynski hätten verhindern können, haben uns alle enttäuscht. Vielmehr noch: Wir alle haben nicht rechtzeitig reagiert. Wir haben nicht gewusst, was zu tun ist. Wir haben die Unzufriedenheit dieser großen Gruppe von Menschen nicht erkannt, die sich um demokratische Ideale nicht schert.

Sie haben sich in Ihrem zuletzt erschienenen Buch mit dem Hass in Ihrer Heimatstadt Wałbrzych beschäftigt: mit dem Fremdenhass und einem falsch verstandenen Katholizismus. Wie war die Reaktion der Polen auf das Buch?

Ich war nie besonders beliebt in der rechtsgerichteten Presse, und natürlich bin ich beleidigt worden. Aber insgesamt ist das Buch sehr gut angekommen. Allerdings kann ich nicht genau sagen, ob das große Interesse wirklich meiner kritischen Gesellschaftsanalyse gilt, oder ob vielleicht die Mehrheit der Menschen die Unterhaltungselemente mag, die ebenso im Buch zu finden sind: also etwa die kriminalistische Ebene. Aber wenn ich sehe, dass heute polnische Politiker Leichen ausgraben und schänden, und dass ich das alles schon vorher in meinem Buch beschrieben habe, merke ich, dass sich meine Fiktion in eine absurde Realität verwandelt.

Sehen das die Polen nicht? Die Absurditäten, die gerade passieren?

Ich denke, ein Teil der Polen sieht die Absurditäten. Man darf nicht vergessen, dass die aktuelle Regierung von weniger als 20 Prozent der Bevölkerung gewählt worden ist. Die Abwesenheit vieler Wähler hat sie an die Macht geführt. In den Medien kann man aber beobachten, dass jetzt die Massen auf die Straße gehen und protestieren.

Also sind Sie Optimistin?

Ich bin da ganz bei dem amerikanischen Philosophen Richard Rorty und sehe mich als liberale Ironikerin. Privat bin ich oft verzweifelt und raufe mir die Haare. Die Situation ist nicht gut. Wenn ich in der Öffentlichkeit stehe, versuche ich wiederum, Hoffnung zu verbreiten.

Glauben Sie, dass Literatur politisch etwas verändern kann?

An dieser Stelle bin ich tatsächlich vorsichtig optimistisch. Literatur verändert die Welt, nämlich die psychische Wirklichkeit der Leser. In diesem Sinne können wir Schriftsteller durch die Literatur Einfluss auf die Realität nehmen, weil wir eben ein neues Vokabular erschaffen, eine Art Folie, um die Wirklichkeit anders und neu zu betrachten. Sonst wäre das Schreiben sinnlos.

Sie werden einen Workshop mit Studierenden der Freien Universität organisieren. Was haben Sie vor?

Es wird ebenfalls um das Thema Grausamkeit gehen. Jeder Studierende soll ein Beispiel nennen, eine persönliche Situation beschreiben, in der er oder sie Grausamkeit erfahren hat. Dann soll diese Grausamkeit in ihren Motiven dargestellt werden. Wie kam es dazu? Was ist passiert? Warum hat es so wehgetan? Ich selbst werde auch über ein persönliches und intimes Erlebnis sprechen, bei dem ich Grausamkeit erfahren habe, das mich seit Jahren beschäftigt und nicht mehr loslässt. Aber worum es dabei konkret gehen wird, möchte ich jetzt noch nicht verraten. Das soll den Studierenden vorbehalten bleiben.

Die  Fragen stellte Leonard Fischl

Weitere Informationen

Siegfried Unseld Vorlesung mit Joanna Bator

Zeit und Ort

  • Montag, 5. Dezember 2016, 18.30 Uhr
  • Freie Universität Berlin, „Rostlaube“, Hörsaal 1 B, Habelschwerdter Allee 45, 14169 Berlin (U-Bhf. Thielplatz, U 3)

Da die Platzanzahl limitiert ist, wird um Anmeldung per E-Mail an m.domenica@fu-berlin.de  gebeten.

Studierende, die an dem Workshop mit Joanna Bator teilnehmen möchten, melden sich bitte bis zum 28. November an: m.domenica@fu-berlin.de.

Weiterführende Informationen

Siegfried Unseld Vorlesung

Zum dritten Mal findet die Siegfried Unseld Vorlesung des Dahlem Humanities Center in Kooperation mit dem Suhrkamp Verlag an der Freien Universität Berlin statt; Joanna Bator folgt damit auf Volker Braun und Uwe Tellkamp. Die Vorlesung wird von Schriftstellerinnen und Schriftstellern gehalten, die sich dem Verlag Siegfried Unselds und dessen Programmatik verbunden fühlen. Sie widmet sich vornehmlich der Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Gesellschaft: etwa den Beziehungen zwischen Literatur und Politik oder Zeitgeschichte, zwischen Literatur und Religion oder Mythos. Die Wahl des Sujets ist den Autorinnen und Autoren freigestellt. Mit der Vorlesungsreihe möchte die Freie Universität einen Beitrag zum öffentlichen Dialog zwischen Literatur, Medien und Geisteswissenschaften leisten und die Rolle der Universität als Ort des intellektuellen Austauschs zwischen Kunst und Wissenschaft stärken.

Am Folgetag der Vorlesung findet ein Workshop unter der Leitung von Joanna Bator statt, an dem Studierende und Promovierende der Freien Universität teilnehmen können.