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„Jetzt habe ich wieder Hoffnung“

Der Bibliothekar Abdulsalam Jawish flüchtete 2015 aus Syrien – in der Campusbibliothek der Freien Universität hat er kürzlich ein Praktikum gemacht

03.06.2016

Abdulsalam Jawish hat ein Praktikum in der Campusbibliothek absolviert.

Abdulsalam Jawish hat ein Praktikum in der Campusbibliothek absolviert.
Bildquelle: Manuel Krane

Abdulsalam Jawish mit der Beauftragten für geflüchtete Bibliothekare Jouliette Kourie (li.) und Projektkoordinatorin Cosima Wagner (re.).

Abdulsalam Jawish mit der Beauftragten für geflüchtete Bibliothekare Jouliette Kourie (li.) und Projektkoordinatorin Cosima Wagner (re.).
Bildquelle: Manuel Krane

Sieben Jahre hat Abdulsalam Jawish als Bibliothekar in Syrien und den Vereinigten Arabischen Emiraten gearbeitet. Im Sommer vergangenen Jahres ist er als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Seit Oktober 2015 läuft sein Asylverfahren, so lange darf er nicht arbeiten. „Ich wollte nicht warten, bis das Verfahren abgeschlossen ist, ich wollte etwas tun“, sagt Jawish. Deshalb hat er den Kontakt zur Freien Universität gesucht und ein Praktikantenprogramm für geflüchtete Bibliothekarinnen und Bibliothekare angestoßen – dessen erster Absolvent er ist.

Jawish kam mit einem Boot über das Mittelmeer von der Türkei nach Griechenland. Von dort aus ging es in Zügen, mit LKW und zu Fuß über die Balkanroute nach Deutschland. Nach knapp drei Wochen Flucht war er in Berlin angekommen, nach weiteren sechs Wochen als Flüchtling anerkannt. Weil er keiner regulären Arbeit nachgehen darf, solange sein Asylverfahren läuft, kam er auf die Idee, ein Praktikum zu machen.

Studium in Syrien

Jawish hat einen Bachelor in Bibliothekswissenschaften, er kennt sich in seinem Fachgebiet bestens aus. „Ich war positiv überrascht, dass der Kern der Arbeit in Deutschland der in Syrien relativ ähnlich ist“, sagt er. Allerdings würden in Deutschland andere Softwares und Datenbanken verwendet. Die größten Herausforderungen waren für Jawish neben der Sprache die deutschen Bibliotheksmanagement- und Klassifizierungssysteme. „Da muss man wirklich eine Menge Fachvokabeln kennen“, sagt er. Während er sich mit seinen Kollegen problemlos auf Englisch unterhalten konnte, musste er sich in der Software erst einmal zurechtfinden.

Die Mitarbeiter der Campusbibliothek waren begeistert von seinen Fähigkeiten. Projektkoordinatorin Cosima Wagner erzählt, dass sie in der ersten Praktikumswoche mit Jawish durch den Bibliotheksbereich der Orientfächer gelaufen sei. Dort habe Jawish kurzerhand zwei falsch einsortierte Bücher erkannt. „Da war mir klar: Das ist sein Arbeitsplatz, egal ob Syrien, Japan oder Deutschland, das funktioniert überall auf der Welt“, sagt Wagner.

Praktikumsprogramm

Das Programm „Integration geflüchteter BibliothekarInnen in das wissenschaftliche Bibliothekssystem“ ist entstanden, weil Abdulsalam Jawish und ein weiterer Flüchtling Interesse bekundet haben, an einer Bibliothek der Freien Universität ein Praktikum zu absolvieren. Als zentraler Bezugspunkt schien die Campusbibliothek aufgrund ihres Bestandes geeignet, ihr Leiter Martin Lee war sofort einverstanden. Die stellvertretende Leiterin der Universitätsbibliothek Andrea Tatai hat daraufhin mit Cosima Wagner und Projektleiterin Jouliette Kourie ein Programm ausgearbeitet, das auch von weiteren Leitern des Bibliothekssystems der Freien Universität unterstützt wird. Flüchtlinge, die eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung eines Asylverfahrens besitzen, können sich darauf bewerben.

Das Praktikum beinhaltet neben der Einführung in das wissenschaftliche Bibliothekssystem der Freien Universität mit Hospitationen in den Bereichsbibliotheken vor allem intensive bilinguale Schulungen in der Katalogisierungssoftware, Medienbearbeitung und der Regensburger Verbundklassifikation als Aufstellungssystematik. Aber auch Coachings zur interkulturellen Kommunikation und Orientierung in der Arbeitsrealität in Deutschland sowie die Hilfe bei der weiteren Stellensuche sind Teil des Programms. In diesem Zusammenhang ist in Kooperation von Universitätsbibliothek und dem Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften die Projektstelle der „Beauftragten für die berufliche Integration von geflüchteten BibliothekarInnen“ entstanden. Jouliette Kourie hat diese Position aktuell inne.

Glossar Arabisch – Deutsch

Während seines Praktikums hat Jawish ein Arabisch-Deutsch-Glossar für Bibliotheken erstellt. Arabischsprechende Mitarbeiter können dieses genauso nutzen wie Studierende, denen die deutschen Bibliotheksbegriffe noch nicht so geläufig sind. „Im Bibliothekssystem werden ja zum Teil Vokabeln verwendet, die auch Muttersprachlern nicht immer bekannt sind und die Flüchtlinge wohl eher nicht in ihren Deutschkursen lernen“, sagt Cosima Wagner. „Herr Jawish wollte während seines Praktikums nicht nur zuschauen, sondern auch selber etwas produzieren, das bleibt“, sagt Jouliette Kourie, „das hier ist sozusagen seine Abschlussarbeit.“ Aktuell wird beraten, in welcher Form das Nachschlagewerk Bibliotheksmitarbeitern und Studierenden zugänglich gemacht werden kann.

Nach dem Ende seines Praktikums in der Campusbibliothek der Freien Universität bewirbt sich Jawish nun auf weitere Praktika – und hofft, dass sein Asylantrag schnell bewilligt wird. Dann könnte er endlich einer regulären Arbeit nachgehen. „Ich möchte dieser Gesellschaft etwas zurückgeben“, sagt Jawish, „vor dem Praktikum hatte ich Zweifel, dass mir das gelingt. Jetzt habe ich wieder Hoffnung.“

Weitere Informationen

Geflüchtete, die Interesse am Praktikumsprogramm „Integration geflüchteter BibliothekarInnen in das wissenschaftliche Bibliothekssystem“ haben, können sich bei Jouliette Kourie und Andrea Tatai informieren oder sich direkt dort bewerben.

  • Jouliette Kourie, Campusbibliothek Natur-, Kultur- und Bildungswissenschaften, Mathematik, Informatik und Psychologie, E-Mail: kjoulie@zedat.fu-berlin.de
  • Dr. Andrea Tatai, Universitätsbibliothek, Stellv. Leitung Direktion, Tel: 030-838-57100, Fax: 030-838-51732, E-Mail: andrea.tatai@fu-berlin.de