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„Hier lebt der Gründergeist“

100 Jahre Boltzmannstraße 3: Zeitzeugen erinnerten beim Festakt des Gründungsgebäudes der Freien Universität an die Geschichte der Hochschule

04.05.2016

Herausgeputzt: Das erste Hauptgebäude der Freien Universität in der Boltzmannstraße 3 wurde für den Festakt geschmückt.

Herausgeputzt: Das erste Hauptgebäude der Freien Universität in der Boltzmannstraße 3 wurde für den Festakt geschmückt.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Universitätsprofessor Peter-André Alt, Petra Kubicki und ihr Ehemann, Stanislaw Karol Kubicki, Vizepräsident Klaus Hoffmann-Holland sowie der Prodekan für Lehre am Fachbereich Rechtswissenschaft (v. r. n. l.)

Universitätsprofessor Peter-André Alt, Petra Kubicki und ihr Ehemann, Stanislaw Karol Kubicki, Vizepräsident Klaus Hoffmann-Holland sowie der Prodekan für Lehre am Fachbereich Rechtswissenschaft (v. r. n. l.)
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Andreas Fijal, Prodekan für Lehre am Fachbereich Rechtswissenschaft, mit Wolfgang-Dietrich Kampf, der sich im Gründungsjahr der Freien Universität, 1948 immatrikulierte.

Andreas Fijal, Prodekan für Lehre am Fachbereich Rechtswissenschaft, mit Wolfgang-Dietrich Kampf, der sich im Gründungsjahr der Freien Universität, 1948 immatrikulierte.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Haben das campus.leben-Quiz zur Geschichte der Boltzmannstraße 3 gelöst und gewonnen: Judith von Bresinsky, Annika Geiser und Jenny Schlüpmann mit Christian Armbrüster, Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaft.

Haben das campus.leben-Quiz zur Geschichte der Boltzmannstraße 3 gelöst und gewonnen: Judith von Bresinsky, Annika Geiser und Jenny Schlüpmann mit Christian Armbrüster, Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaft.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Etwa 80 Gäste kamen zum Festakt in die zweite Etage in die Boltzmannstraße 3. In den Anfangsjahren war hier die Bibliothek untergebracht. Zu den Feierlichkeiten kamen auch Petra und Karol Kubicki, hier mit Klaus Hoffmann-Holland.

Etwa 80 Gäste kamen zum Festakt in die zweite Etage in die Boltzmannstraße 3. In den Anfangsjahren war hier die Bibliothek untergebracht. Zu den Feierlichkeiten kamen auch Petra und Karol Kubicki, hier mit Klaus Hoffmann-Holland.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Gab es tatsächlich: Das Gerangel um Parkplätze rund um die Boltzmannstraße 3. Hier durften nur Professoren parken.

Gab es tatsächlich: Das Gerangel um Parkplätze rund um die Boltzmannstraße 3. Hier durften nur Professoren parken.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Seltenes Exponat: Zum Festakt wurde der Talar von Roman Herzog, ehemaliger Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, ausgestellt. Herzog war Ende der 1960er Jahre Prodekan der Juristischen Fakultät.

Seltenes Exponat: Zum Festakt wurde der Talar von Roman Herzog, ehemaliger Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, ausgestellt. Herzog war Ende der 1960er Jahre Prodekan der Juristischen Fakultät.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Hier und in dem Gebäude schräg gegenüber, in der Boltzmannstraße 4, wurde zum Start der Freien Universität im Jahr 1948 alles untergebracht, was eine Hochschule braucht: vom Immatrikulationsbüro bis zum Schreibwarenladen. Die Geschichte des dreigeschossigen Gebäudes aber reicht weiter zurück: Am 29. April 1916 nahm das Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie hier seinen Betrieb auf. Auf den Tag genau 100 Jahre später wurde am vergangenen Freitag Geburtstag gefeiert.

„So ein Jubiläum ist ein Anlass, um darüber nachzudenken, durch welche Türen und Gänge wir hier täglich schreiten“, sagte Professor Christian Armbrüster, Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaft, der die Festveranstaltung eröffnete.

Mitarbeiter des Fachbereichs hatten unter anderem mit der Unterstützung des Universitätsarchivs und der Archivare der Max-Planck-Gesellschaft – als Nachfolgerin der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft – die Geschichte des Gebäudes aufgearbeitet und ausgestellt: So konnten Besucher nicht nur historisches Bildmaterial sehen, sondern auch seltene Exponate des Universitätsarchivs – darunter den Talar von Roman Herzog. Der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, dessen späterer Präsident und siebte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland hatte von 1968 bis 1969 als Prodekan der Juristischen Fakultät der Freien Universität in der Boltzmannstraße 3 gewirkt.

Gründung unter abenteuerlichen Bedingungen

Heute sind in dem Gebäude 17 Professuren und Arbeitsbereiche sowie 13 Seminar- und Hörsäle der Rechtswissenschaft untergebracht. Verglichen mit den Gründungsjahren der Hochschule – im November 1948 wurde in diesem Gebäude der Lehrbetrieb der Freien Universität aufgenommen – sind das geradezu luxuriöse räumliche Zustände: 13 Fakultäten waren damals in der Boltzmannstraße 3 untergebracht. Außerdem Teile des Immatrikulationsbüros, ein Schreibwarenladen, eine Schuhmacherwerkstatt, eine Kleider-Ausgabestelle und mehrere Dienstwohnungen.

„Abenteuerliche Bedingungen“, nannte Professor Peter-André Alt in seinem Grußwort die Umstände, unter denen die Freie Universität 1948 gegründet worden war. Trotz Raummangels, betonte Alt, sei „das Lehr- und Forschungsprofil der Freien Universität von Beginn an frei von ideologischen Zwängen und besonders interdisziplinär“ gewesen. „Dass verschiedene Disziplinen unter einem Dach forschten, das war damals neu“, sagte der Präsident. In und rund um die Boltzmannstraße habe ein Klima der Toleranz und Offenheit geherrscht, das man bis heute spüren könne: „Hier lebt der Gründergeist.“

Peter-André Alt, der sich 1979 in der Boltzmannstraße 3 für sein Studium eingeschrieben hatte, erinnerte in seiner Rede aber auch an die ethische Verantwortung der Wissenschaft. Nicht in Vergessenheit geraten dürfe die dunkle Geschichte des Forschungscampus Dahlem, auf dem von 1927 bis 1945 auch das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik ansässig war. Die Wissenschaftsgeschichte des Campus war im Rahmen der Jubiläumsfeier auch Gegenstand einer Führung, organisiert von Mitarbeitern der Max-Planck-Gesellschaft.

Zu Gast: Matrikelnummer 1 und Matrikelnummer 1603

Geschichte, das wird an diesem Festtag deutlich, lebt nicht vom Gebäude selbst, sondern von den Personen, die darin weilen. Wolfgang-Dietrich Kampf, Jahrgang 1928, ist einer der Zeitzeugen, die von den frühen Tagen der Universität berichten können.

Der Biologie-Professor mit der Matrikelnummer 1603 hatte sich am 18. November 1948 an der Freien Universität immatrikuliert. Kampf lebte zu jener Zeit in Dessau, plante ein Studium in Halle oder an der Berliner Universität Unter den Linden im damaligen Ostsektor der Stadt. „Aber ich wollte im Westen studieren. Meine Mitschüler in Dessau erzählten mir von der Gründung der Freien Universität. Es sprach sich rum wie ein Lauffeuer, dass wir dort eine Chance auf ein Studium hätten“, sagte Kampf.

Genau zwei Tage dauerte es, bis Wolfgang-Dietrich Kampf 1948 sein neues Leben eingerichtet hatte: Er schrieb sich für klassische Philologie und Altgriechisch ein, bekam ein eigens für Ostdeutsche eingerichtetes Stipendium und bezog ein möbliertes Zimmer in Steglitz. Zwei Semester später wechselte Kampf in die Biologie, wo er am Institut für Hygiene studierte, promovierte und schließlich lehrte. Aber die Boltzmannstraße 3, erinnert sich Kampf, blieb für mich „der Ort, an dem ich das erste Mal an die Freie Universität kam“.

Auch Stanislaw Karol Kubicki, der Student mit der Matrikelnummer 1 der Freien Universität, erinnerte sich beim Festakt an die ersten Tage der Hochschule. In einem Video erzählt der heute 89-Jährige, wie er gemeinsam mit Kommilitonen zum Professorenschreck wurde: Als junger Student balancierte er auf einer nur 50 Zentimeter breiten Balustrade in 13 Metern Höhe um das Gebäude herum, um den überraschten Professoren durch das Fenster zuzuwinken. „Wir mussten versprechen, das nie wieder zu tun“, sagte Kubicki mit einem verschmitzten Lächeln. Die Gründungsjahre waren, das wird an diesem Tag deutlich, trotz aller Widrigkeiten für die Studierenden und Lehrenden eine Zeit, an die sie gern zurückdenken.

Eine richtige Universität?

Andreas Fijal, Prodekan für Lehre am Fachbereich Rechtswissenschaft, gab schließlich einen historischen Überblick über die Geschichte des Gebäudes Boltzmannstraße 3. Den etwa 80 Gästen des Festakts wusste Fijal in unterhaltsamer Weise aus den vergangenen 100 Jahren zu berichten.

Der Wissenschaftler zitierte dazu Erinnerungen ehemaliger Studierender, etwa von Elsa von Kotzebue, die sich 1948 für das Fach Jura einschrieb und später – als erste Frau, die an der Freien Universität zur Promotion zugelassen wurde – in die Geschichte der Hochschule einging. Ihre Erlebnisse aus den Gründungsjahren hat sie in dem Buch „Durchs Fernrohr der Zeit: 1939 – 1956“ festgehalten, aus dem der promovierte Jurist Andreas Fijal einige Passagen vorlas.

Unter anderem die Stelle, an der sich Elsa von Kotzebue daran erinnert, wie sie 1948 vor dem Gebäude in der Boltzmannstraße ein Pappschild mit der Aufschrift „FU-Anmeldung hier“ stehen sah. Fest entschlossen, sich zu immatrikulieren, habe sie aber zunächst vorsichtig gefragt, ob es sich hier tatsächlich um eine richtige Universität handele. Man habe sie, so hielt es die Juristin fest, dann schnell beruhigen können. Ja: Die Freie Universität sei eine richtige Universität. Und was für eine! Aus der „Keimzelle“in der Boltzmannstraße 3 und Boltzmannstraße 4 ist eine Universität erwachsen, die heute zu den elf Exzellenzuniversitäten Deutschlands zählt und regelmäßig Spitzenplätze in weltweiten Hochschulrankings belegt. Das hätten wohl nicht mal die Gründer zu träumen gewagt.

Weitere Informationen

Des Rätsels Lösung!

Anfang April hatte die campusleben-Redaktion Sie eingeladen, Ihr Wissen über die Anfänge der Freien Universität zu testen. Wir möchten uns herzlich für die Einsendungen und die Teilnahme bedanken. Beim Festakt in der Boltzmannstraße 3 überreichte Juraprofessor Christian Armbrüster den drei Gewinnerinnen ihren Preis, einen Büchergutschein der Buchhandlung Schleicher. Die drei Damen hatten alle Fragen korrekt beantwortet. Zugegeben, wir hatten es Ihnen, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, nicht leicht gemacht. Hier nun die Auflösung des Boltzmannstraße-3-Quiz':

Was ist hier falsch?

Von 1916 bis 1943 waren in der Boltzmannstraße 3 die Räume des Instituts für Chemie (Richtig: Institut für Biologie) der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften untergebracht. Acht Jahre später, 1951 (Richtig: 1948) wird die Boltzmannstraße 3 zum ersten Hauptgebäude der frisch gegründeten Freien Universität, in dem Vorlesungen unterschiedlicher Fächer stattfinden. Im Keller- und Erdgeschoss befinden sich die Universitätsleitung, die Mensa (Die Mensa befand sich nicht in dem Gebäude), die Hauptkasse und die Telefonzentrale. Seit 2006 wird das Gebäude vollständig vom Fachbereich Rechtswissenschaft genutzt.

Wer kennt diesen Mann?

Gesucht haben wir den französischen Filmregisseur Claude Lanzmann, der 1949 als 24-Jähriger eine Lektorenstelle an der neu gegründeten Freien Universität angetreten hatte.

Stimmt’s oder nicht?

Das „Gerangel um Parkplätze“, bei der ein Professor im November 1961 durchsetzen wollte, dass Studenten von einigen Parkplätzen vor der Boltzmannstraße 3 ferngehalten werden, weil man ihnen noch Parkmöglichkeiten vor der Mensa zur Verfügung stelle, ist eine wahre Geschichte.

Fehler finden sich in der zweiten Geschichte, dem „Atelier im Gummihaus“, auch wenn fast alle Fakten in dieser Geschichte korrekt sind: selbst den Raum im 3. Stock mit 93 Quadratmetern in der südöstlich gelegenen Gebäudeecke zur Boltzmannstraße und zum Faradayweg hin gibt es. Doch es ist frei erfunden, dass der Raum durch den Kunsthistoriker Edwin Redslob beansprucht wurde.