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„Perestroika und Glasnost sind heute noch aktuell“

Konferenz am 25. und 26. Februar an der Freien Universität zu den Auswirkungen der russischen Reformen

09.02.2016

Die Perestroika leitete Mitte der 1980er Jahre den politischen Umbruch in der Sowjetunion ein.

Die Perestroika leitete Mitte der 1980er Jahre den politischen Umbruch in der Sowjetunion ein.
Bildquelle: Wikimedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1988_CPA_5942.jpg

Francesco Di Palma vom Friedrich-Meinecke-Institut hat die Konferenz organisiert.

Francesco Di Palma vom Friedrich-Meinecke-Institut hat die Konferenz organisiert.
Bildquelle: Manuel Krane

„Die Folgen der Reformen Gorbatschows Mitte der 1980er Jahre bestimmen bis heute die russische Politik“, sagt Francesco Di Palma vom Friedrich-Meinecke-Institut für Geschichtswissenschaft an der Freien Universität. Welcher Art die Auswirkungen genau sind, wird am 25. und 26. Februar auf der Konferenz „Perestroika und Kommunismus in Europa (1985-1990/91). Rezeption, Reaktion und Auswirkungen“ nachgezeichnet werden. Campus.leben sprach mit dem promovierten Historiker Di Palma, der die Veranstaltung konzipiert hat.

Herr Di Palma, sind die Schlagworte „Perestroika“, also der gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Umbau der Sowjetunion, und „Glasnost“, die auf Transparenz ausgelegte Reformpolitik, heute noch aktuell?

Durchaus. Wir werden uns natürlich auf der Konferenz mit Fragen aus der Vergangenheit beschäftigen, welche die letzten drei Jahrzehnte betreffen, aber die Perestroika beeinflusst noch heute die Politik.

Etwa, wenn man beobachtet, was aktuell an der EU-Außengrenze, in der Ukraine oder in Russland passiert. Vieles davon ist auf die Perestroika und die kontroverse Diskussion um Gorbatschows Reformen zurückzuführen. Mit dem Wegfall der ehemaligen sowjetischen Staatenföderation konnten nationalistische Autonomiebewegungen wieder an Bedeutung gewinnen und damit einhergehend auch umstrittene Territorialansprüche eingefordert werden. Die Perestroika beschleunigte den Untergang des „Russischen Imperiums“ und setzte Ressentiments frei, die heute noch zu spüren sind.

2014 ist im russischen Parlament ein Verfahren gegen Michail Gorbatschow eröffnet worden wegen Hochverrats. Er wird beschuldigt, durch seine Reformen Russland ins Chaos gestürzt zu haben. Und zwar nicht nur finanziell, sondern auch kulturell und politisch. Es gibt viele Menschen in Russland und anderen osteuropäischen Ländern, die die Perestroika als „Katastroika“ bezeichnen und Gorbatschow als Brandstifter sehen, als Zerstörer des Weltimperiums Russland.

Hat Gorbatschow denn so viel verändert?

Das, was Gorbatschow und seine Berater an Reformen ersonnen hatten, ist niemals vollends in die Praxis umgesetzt worden. Gorbatschow hatte kaum eine Chance, seine Visionen zu realisieren. Er hat sich sehr viel vorgenommen, aber die Hürden, die seine Ideen hätten nehmen müssen, waren sehr hoch. Es konnte nur Weniges umgesetzt werden. Unter Jelzin hat sich in Russland auch nicht viel verändert.

Wie sind die Auswirkungen der Perestroika in der heutigen Politik zu spüren?

Es gibt heute im russischen Parlament viele Ostalgiker, die sich eine Rückkehr zu sowjetischen Verhältnissen wünschen. Einer der Haupterfolge Gorbatschows war die Beendigung der Breschnew-Doktrin (das vom damaligen Parteichef Leonid Breschnew 1968 festgelegte Recht, einzugreifen, wenn Russland den Sozialismus in einem sozialistischen Staat bedroht sieht, Anm. der Redaktion). Doch der Wegfall der Breschnew-Doktrin wird heute nicht von allen akzeptiert. Man muss andererseits aber auch beachten, dass die Außenpolitik Putins eine Reaktion auf die territoriale Expansion der NATO ist. Moskau braucht nach wie vor eine gesicherte Pufferzone, die beispielsweise durch den NATO-Beitritt der baltischen Staaten in Gefahr geraten ist.

Auf der Konferenz wird die Perestroika aus der Sicht unterschiedlicher europäischer Regionen betrachtet – wie unterscheidet sich die Wahrnehmung in den jeweiligen Staaten?

Innerhalb der kommunistischen Parteien Europas hat die Perestroika teilweise zu Brüchen geführt. Die französische kommunistische Partei verstand sich als stalinistisch. Diese Ausrichtung blieb bis zum Fall der Mauer bestehen, während die italienischen Kommunisten als Widerständler galten, weil sie Reformen propagierten. In Italien litt die Partei nach dem Ableben des Generalsekretärs Enrico Berlinguer 1984 unter einem Imageverlust. Es brodelte in der Partei, und die Perestroika hat den Eurokommunismus der italienischen kommunistischen Partei beflügelt. Dennoch wurde kontrovers diskutiert, weil die ältere Garde der pro-sowjetischen Politiker innerhalb der Partei nach dem Weggang Berlinguers wieder mächtiger wurde. Deshalb kam es zu Reibungen zwischen den moskautreuen älteren Mitgliedern und der jüngeren Generation. Bei der SED stellte der Machtwechsel im Kreml eine unmittelbare Gefahr für die angestammte, KPdSU-hörige Generation dar, die sich entsprechend bald von Gorbatschow distanzierte. In Jugoslawien stieß die Perestroika durchaus auf positive Resonanz. Tito war schon immer ein Anhänger der Demokratisierung innerhalb des kommunistischen Milieus. Auch wenn er 1985 nicht mehr lebte, blieb seine Lehre einflussreich in Jugoslawien.

An wen richtet sich Ihre Konferenz?

Auf der Konferenz befassen wir uns nicht mit der Perestroika an sich – dazu liegt bereits umfassende Fachliteratur vor. Uns geht es vor allem darum, nachzuzeichnen, wie die jeweiligen kommunistischen Parteien Europas auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs auf sie reagiert haben und wie diese kulturell und politisch rezipiert wurde. Die in englischer Sprache gehaltene Konferenz richtet sich nicht nur an Fachkundige, sondern an alle, die Interesse an Geschichte und Politik haben. Der Fokus liegt auf Europa, wir werden aber auch eine US-amerikanische Sicht der Dinge hören.

Die Fragen stellte Manuel Krane

Weitere Informationen

„Perestroika und Kommunismus in Europa (1985-1990/91). Rezeption, Reaktion und Auswirkungen“/ Perestroika and Communist Parties in Europe (1985-1990/91). Reception, Reactions and Consequences

Ort: Freie Universität Berlin, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin, Raum KL 32-123

Datum: 25. und 26. Februar 2016

Die von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gesponserte Konferenz ist öffentlich. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.