„Brüssel schien Anfang der 1990er Jahre noch ganz weit weg“
25 Jahre KoWi – die Kooperationsstelle EU der Wissenschaftsorganisationen tagte und feierte an der Freien Universität
30.06.2015
Die Kooperationsstelle EU der Wissenschaftsorganisationen, kurz: KoWi, ist für Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen einer der wichtigsten Ansprechpartner, wenn es um die Forschungsförderung der Europäischen Union geht. 2015 fand die KoWi-Bundestagung – eine Austauschplattform zum Thema Forschungspolitik und Forschungsförderung der EU – an der Freien Universität statt. Eva-Maria Silies, Leiterin des Teams Forschungsförderung der Freien Universität, erklärt, warum die Tagung so wichtig ist.
Frau Silies, an wen richtete sich die zweitägige Veranstaltung?
Zunächst einmal an alle, die sich mit EU-Forschungsförderung beschäftigen. Das sind vor allem die EU-Referentinnen und Referenten der Universitäten und Hochschulen und der außeruniversitären Forschungseinrichtungen oder von Technologieförderern, das sind Vertreter der Landes- und Bundesministerien und der EU-Kommission. Gekommen sind aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Unternehmen, die mit Forschungseinrichtungen kooperieren. Insgesamt waren fast 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmer da, ein bunt gemischter Kreis.
Welche Themen wurden besonders kontrovers diskutiert?
Bei der Bundestagung stand vor allem der Austausch von Erfahrungen, die alle Beteiligten mit dem Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union gemacht haben, im Mittelpunkt. Das Programm, mit dem die EU Forschung und Innovation in der EU vorantreiben will, ist Anfang 2014 gestartet und nach gut anderthalb Jahren können wir eine erste Bilanz ziehen: Es wurde diskutiert, wie die Antragsverfahren ablaufen, wie die Bewilligungschancen gesteigert werden können, wie die Ausschreibungen zu verstehen sind – und wie wir alle uns strategisch noch besser aufstellen können, um bei Horizon 2020 erfolgreicher zu sein.
Welche Bilanz lässt sich ziehen?
Insgesamt wird das Programm positiv gesehen, denn durch Horizon 2020 fließt viel Geld in die Forschung in den EU-Ländern: 80 Milliarden Euro bis 2020. Aber es gab auch Kritik: Ein Problem sind beispielsweise die niedrigen Bewilligungsquoten von teilweise nur zehn Prozent. Und das bei dem sehr großen Aufwand, den meist muss man gemeinsam als Konsortium einen Antrag zu stellen. Außerdem war die starke Bedeutung von Innovation und Vermarktung von Forschungsergebnissen bei Horizon 2020 ein wichtiges Thema.
Insgesamt gilt ja die EU-Forschungsförderung als sehr wirtschaftsorientiert. Was bedeutet das für die Freie Universität Berlin, die einen starken Schwerpunkt in den Geistes- und Sozialwissenschaften hat?
Wir haben auch in den Geisteswissenschaften Projekte, die im Rahmen von Horizon 2020 erfolgreich sind. Ein Ziel der Kommission ist die Einbindung von Geistes- und Sozialwissenschaften in Verbundprojekte, bei denen es etwa um Biotechnologie, um Gesundheit oder Nanoforschung gehen kann. Es gibt dabei aber immer auch um gesellschaftlich relevante Fragen, die in Zusammenarbeit mit den Geistes- und Sozialwissenschaften beantwortet werden sollen. Beispiele dafür gibt es in der Klimaforschung, hier ist zum Beispiel das Forschungszentrum für Umweltpolitik (FFU) der Freien Universität sehr aktiv.
Neben den großen Verbundprojekten, die direkt ausgeschrieben werden, gibt es außerdem noch weitere Förderformate der Säule „Exzellenz“, bei der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fachbereiche ihre Projekte einreichen können – sei es beim ERC, dem European Research Council, sei es bei der Mobilitätsförderung im Programm Marie Sklodowska-Curie. Daher: Die Freie Universität Berlin ist im Rahmen von Horizon 2020 erfolgreich und bereitet sich auf weitere Projekte vor!
Worauf gründet sich dieser Erfolg?
Wir betreiben an der Freien Universität eine breite Informationspolitik. Außerdem sind wir eine sehr international ausgerichtete Hochschule. Die EU-Förderung ist ja keine Einbahnstraße – über Förderprogramme wie das Marie Sklodowska-Curie-Programm kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland an die Freie Universität, bereichern Forschung und Lehre mit ihren internationalen Erfahrungen und ermöglichen zukünftige Kooperationen.
Wie offen können strategische Fragen bei der KoWi-Bundestagung diskutiert werden? Letztlich stehen die Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ja auch in Konkurrenz zueinander.
Natürlich sind wir Konkurrenten um die EU-Töpfe, aber es ist sehr wichtig, dass die deutschen Wissenschaftseinrichtungen gemeinsam an einem Strang ziehen bei Themen, die nur gemeinsam gelöst werden können. Wenn etwa bestimmte Vorgaben praktisch einfach nicht umsetzbar sind, müssen die deutschen Einrichtungen gemeinsam die Stimme erheben und dafür Kanäle wie die KoWi nutzen. Deshalb ist die Bundestagung auch so eine wichtige Veranstaltung: Man kann sich nicht nur mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Forschungseinrichtungen vernetzen, sondern auch mit den Vertretern der Ministerien und der EU-Kommission in Kontakt kommen und ihnen direkt Feedback geben. Auch für sie ist es eine interessante Veranstaltung, weil sie so erfahren, wie die Abwicklung der Programme in den Einrichtungen funktioniert – oder auch nicht.
Gefeiert wurde auf der Tagung auch ein Geburtstag: Die KoWi wird in diesem Jahr 25 Jahre alt. Wie haben sich die Aufgaben der Organisation seit 1990 verändert? Wie sieht sie ihre Aufgaben in der Zukunft?
Die KoWi, 1990 gegründet von den großen Forschungsförderungsinstitutionen, war zunächst eine Informationseinrichtung. Brüssel schien zu Beginn der 1990er Jahre noch weit weg. In einer Zeit, in der das Internet als Informationsmedium gerade erst entstand, ging es darum, die Förderangebote der EU systematisch bekannt zu machen und den Institutionen bei den ersten Schritten in Richtung Europa zu helfen.
Je wichtiger die EU-Forschungsförderung wurde, je mehr sich das deutsche Beratungssystem für die Wissenschaft ausdifferenziert hat, und je stärker der Gedanke einer Qualitätssicherung durch Wettbewerb wurde, desto wichtiger wurde es auch für die KoWi, sich zu einem Dienstleiter für unterschiedliche Zielgruppen zu wandeln. Heute berät sie Universitäten und andere Forschungseinrichtungen bei der Antragstellung, vermittelt Kontakte nach Brüssel, aber auch zu potenziellen Kooperationspartnern für Verbundprojekte. In Zukunft soll dieser Service-Bereich noch weiter ausgebaut werden, um sich auf die Dynamik der EU-Forschungsförderung und der Bedürfnisse der Hochschulen und der Forschungseinrichtungen einzustellen – etwa in Hinblick auf strategische Fragestellungen.
Die Fragen stellte Nina Diezemann