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„Wir müssen den Menschen andere, bessere Möglichkeiten bieten“

Seine Exzellenz, der irakische Botschafter Hussain Alkhateeb, zu Gast an der Freien Universität Berlin

11.06.2015

Seine Exzellenz, der irakische Botschafter Hussain Alkhateeb, zu Gast am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität.

Seine Exzellenz, der irakische Botschafter Hussain Alkhateeb, zu Gast am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität.

Der irakische Botschafter Hussain Alkhateeb war kürzlich zu Gast am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. Im Rahmen des Seminars „The US in the Middle East“ (Die USA im Nahen Osten) bei Professorin Jessica Gienow-Hecht und Professorin Lora Viola stand er den zahlreich erschienenen Studierenden Rede und Antwort auf ihre Fragen zur Situation im Irak, den Irakkriegen und der akuten Bedrohung durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Nach monatelangen hitzigen Debatten im UNO-Sicherheitsrat griff im März 2003 eine von den USA geführte Allianz den Irak an. Hauptargument der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten dafür war, dass der Irak über biologische und chemische Massenvernichtungswaffen verfüge. Die Existenz dieser Waffen wurde schon 2003 angezweifelt – und später widerlegt. Die Invasion wurde von vielen Seiten als unberechtigt und unnötig kritisiert.

Die Studierenden der Freien Universität wollen von seiner Exzellenz, Botschafter Alkhateeb, wissen, ob er dieser Argumentation zustimme. „Der Krieg war berechtigt“, ist Alkhateebs Antwort. „Und ich bin dankbar für den Einmarsch der Amerikaner, wenngleich ich nicht jeder ihrer Handlungen zustimme.“ Es seien Fehler gemacht worden, führt er weiter aus, und natürlich seien die Amerikaner mit gewissen Wünschen in den Irak gekommen. Im Großen und Ganzen aber hätten sie getan, was hätte getan werden müssen. Zu Beginn wurden die US-amerikanischen Soldaten von der Bevölkerung freundlich empfangen, im Süden sogar bejubelt, wie sich der Botschafter erinnert. Bis die UN erklärt habe, die im Irak eingesetzten Truppen, seien Besatzer. Das habe alles verändert. „Niemand sieht sein Land gerne von fremden Truppen besetzt“, sagt Hussain Alkhateeb.

Amerikaner im Irak

Nach Ansicht von Hussain Alkhateeb wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Amerikaner mit mehr Verständnis für die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Irak einmarschiert wären. „Wer in einem fremden Land agiert, muss sich mit dessen Kultur und Mentalität vertraut machen, sonst kommt es zu Missverständnissen und Kommunikationsproblemen“, argumentiert er. Auch hätten die Kampfeinsätze besser geplant und die irakische Bevölkerung stärker informiert werden sollen. So seien beispielsweise Museen und Ölraffinerien zerstört worden – Schäden, die zu vermeiden gewesen wären, führt der Botschafter aus. Und anstatt der irakischen Bevölkerung ein neues politisches System aufzuzwingen, wäre mehr Raum zur Selbstbestimmung und -entwicklung beim Neuaufbau des Staates förderlicher gewesen.

Ein freies Leben

Inzwischen habe sich die Lage aber stabilisiert, und im neuen Irak sei sehr vieles besser als vor dem Irakkrieg. „Unter Staatschef Saddam Hussein konnte man zwar auch zufrieden leben“, sagt Botschafter Alkhateeb. „Doch die Voraussetzung dafür war, dass man streng die Regeln des Systems befolgte.“ Heute aber sei das Leben im Irak insgesamt freier. Es herrsche Meinungs- und Pressefreiheit, der Lebensstandard sei gestiegen und die Koalitionsregierung vertrete die Interessen der breiten Bevölkerung. „Es wird immer viel über Sunniten und Schiiten und ihre jeweiligen Interessen diskutiert“, sagt der irakische Botschafter. „Aber im Kern sind die Probleme des Landes nicht religiöser sondern politischer Natur.“ Allerding werde Religion von bestimmten Ländern und Politkern benutzt, um Druck auszuüben und Macht zu erlangen.

Der Islamische Staat – ein neuer Krieg

Eine dieser Gruppierungen sei die Terrormiliz Islamischer Staat. Sie beherrscht weite Teile im Norden des Landes. Die Studierenden wollen in diesem Zusammenhang von Hussain Alkhateeb wissen, wie groß die Bedrohung der Demokratie durch den IS im Nahen Osten tatsächlich sei. Kann der Irak der wachsenden Macht des Islamischen Staates entgegenwirken? Ist ein Zusammenschluss der regionalen Mächte im Nahen Osten stark genug, den Ansturm des IS aufzuhalten?

„Die Bedrohung durch den IS muss ernst genommen werden“, betont Botschafter Alkhateeb, und vordergründig seien militärische Offensiven die effektivste Möglichkeit, den IS zu bekämpfen. Hierbei benötige der Irak allerdings Unterstützung. Die Popular Mobilisation Force des Irak, ein Zusammenschluss aus Freiwilligen, sei mit 1,2 Millionen Kämpfern zahlreich genug und habe ihre Widerstandskraft gegen den IS bereits unter Beweis gestellt. Es fehle aber an Ausrüstung, Waffen und einer adäquaten Ausbildung der Soldaten. „Die Sorge, Waffen könnten in die Hände von IS-Streitern fallen, ist doch durchaus berechtigt“, wirft ein Student ein. Dies sei eine Sorge, die auch die irakische Regierung teile, erklärt Botschafter Alkhateeb. Und ja, es sei vorgekommen, weil die Befehlskette nicht funktioniert habe, weil die Soldaten nicht genügend Ausbildung genossen hätten oder weil Krieg immer auch chaotisch verlaufe.

Auf die Frage, was er von der aktuellen Diskussion um die erneute Entsendung US-amerikanischer Truppen in den Irak halte, antwortet Hussain Alkhateeb nachdrücklich „Wir brauchen keine fremden Truppen auf irakischem Boden!“ – Der Westen könne dem Irak aber auf anderen Wegen Unterstützung bieten: finanziell, mit Ausrüstung und der Ausbildung der irakischen Soldaten an den westlichen Waffen.

Die Rivalität zwischen den USA und dem Iran, die sich um den Einfluss im Irak streiten, sei der Situation dabei wenig zuträglich, kritisierte der Botschafter. Indem der Irak als Mediator zwischen beiden fungieren müsse, würden Prozesse verlangsamt und unnötigerweise verkompliziert. Der Irak brauche jedoch beide Länder als Verbündete.

Symptom und Ursprung

Die militärische Bekämpfung des IS sei aber nur ein Teil der Lösung, gibt Hussain Alkhateeb zu bedenken. Denn das eigentliche Problem sei die Glaubensschule, die die Ideologie des IS propagiere. Gegen sie könnten Waffen nur bedingt etwas ausrichten. „Wir dürfen nicht nur die Symptome bekämpfen“, sagt der irakische Botschafter. „Wir müssen zum Ursprung gehen und dort entgegenwirken.“ Der IS habe großes Talent darin, die Medien zu manipulieren und für seine Zwecke einzusetzen. „Das ist Teil seiner psychologischen Kriegsführung“, erklärt Hussain Alkhateeb. „Jede Nachricht von einem weiteren Sieg des IS wirkt demotivierend, selbst wenn sie falsch ist.“ Die westlichen Medien hätten in dieser Hinsicht auch Fehler gemacht, indem sie Nachrichten ausstrahlten ohne diese auf ihren tatsächlichen Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Ein solches Vorgehen spiele dem IS in die Hände, kritisiert der irakische Botschafter.

Des Weiteren zöge der IS Vorteile aus der Unsicherheit im Land und der allgemeinen Angst vor Anschlägen. Beispielsweise seien in einem Fall mehrere Menschen aufgrund einer Massenpanik ums Leben gekommen. Auf einer überfüllten Brücke habe ein IS-Mitglied „Bombe“ geschrien, woraufhin Panik ausgebrochen sei; Menschen seien totgetrampelt worden oder von der Brücke gestürzt. Angesichts der Bedrohung durch den IS hätten sich die internen Streitigkeiten des Irak etwas beruhigt, wenngleich es immer noch Gruppierungen und einzelne Personen gebe, die den neuen Irak nicht als positiv sehen. „Deshalb müssen wir Ordnung und gute Lebensverhältnisse schaffen, das Bildungs- und Gesundheitssystem verbessern – wir müssen den Menschen die Augen öffnen, ihnen andere, bessere Möglichkeiten geben“, erklärt Hussain Alkhateeb. „Und wir müssen zusammenstehen und aus unseren Fehlern lernen.“ Hilfe anderer Länder sei dabei sehr willkommen.

Hussain Alkhateeb

Hussain Mahmood Fadhlalla Alkhateeb, geboren 1953, studierte Chemie und Physische Chemie Baghdad und promovierte an der Universität Manchester in Anorganischer Chemie. Von 1981 bis 2008 war er in den Niederlanden und in Schottland wissenschaftlich tätig. In den Niederlanden war er Mitbegründer der Nichtregierungsorganisation Irakese Verenigingen Raad, in der zwölf niederländische NGOs zusammengeschlossen sind. Des Weiteren ist er einer der Mitbegründer und Vorsitzender der Organization of Human Rights in Iraq (OMRI) in den Niederlanden.