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Ein Herz für Bruchpiloten

Tiermediziner in Berlin-Düppel versorgen verletzte Wildtiere / Der Berliner Senat unterstützt das in den kommenden zwei Jahren mit 100.000 Euro

21.12.2013

Frühe Bescherung für die Wildtiere in der Kleintierklinik der Freien Universität Berlin in Berlin-Düppel: Der Senat unterstützt die Klinik für zwei Jahre mit 100.000 Euro pro Jahr. Einer der glücklichen Patienten ist dieser Höckerschwan.

Frühe Bescherung für die Wildtiere in der Kleintierklinik der Freien Universität Berlin in Berlin-Düppel: Der Senat unterstützt die Klinik für zwei Jahre mit 100.000 Euro pro Jahr. Einer der glücklichen Patienten ist dieser Höckerschwan.
Bildquelle: Verena Blindow

Ein aktueller Patient: Ein junges Habicht-Männchen wurde wegen eines gebrochenen Flügels in die Klinik gebracht. In ein paar Wochen kann der Vogel wieder freigelassen werden.

Ein aktueller Patient: Ein junges Habicht-Männchen wurde wegen eines gebrochenen Flügels in die Klinik gebracht. In ein paar Wochen kann der Vogel wieder freigelassen werden.
Bildquelle: Verena Blindow

Die habilitierte Veterinärmedizinerin Kerstin Müller ist als Oberärztin für die medizinische Versorgung der Wildtiere zuständig.

Die habilitierte Veterinärmedizinerin Kerstin Müller ist als Oberärztin für die medizinische Versorgung der Wildtiere zuständig.
Bildquelle: Verena Blindow

Aus dem Nest gefallene Waldkäuze, junge Habichte, die bei ihren ersten Jagdversuchen verunglückt sind, oder verletzte Eichhörnchen und Igel – in der Kleintierklinik der Freien Universität Berlin werden pro Jahr etwa 1.200 bis 1.500 Wildtiere eingeliefert und medizinisch versorgt. Kurz vor den Feiertagen erhielt die Kleintierklinik nun ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk: Der Berliner Senat hat beschlossen, die Tiermediziner bei der Versorgung von Wildtieren in den kommenden zwei Jahren mit 100.000 Euro pro Jahr zu unterstützen. Campus.leben sprach mit Oberärztin Kerstin Müller. Die habilitierte Veterinärin ist für die Versorgung der Wildtiere zuständig.

Frau Dr. Müller, welche Wildtiere betreuen Sie in der Kleintierklinik?

Vor allem Wildtiere, die unter Naturschutz stehen, die verletzt sind oder einer tiermedizinischen Betreuung bedürfen: Singvögel, Entenvögel, Greifvögel und Eulen, aber auch Eichhörnchen, Igel und Fledermäuse. Tiere, die gejagt werden dürfen, versorgen wir nur, wenn es uns möglich ist. Wildschweine, Rehe, Waschbären und Füchse können wir nicht artgerecht unterbringen. Weil diese Tierarten dem Jagdrecht unterliegen, ist für sie außerdem die Jagdbehörde zuständig. Wird nachts ein verletzter Fuchs oder ein Waschbär gefunden, versuchen wir aber immer, ihm zu helfen.

Welche Tiere gehören zu Ihren häufigsten Patienten?

Mauersegler waren 2012 die häufigste Vogelart in der Kleintierklinik, dicht gefolgt von Ringeltauben und Mäusebussarden. Die Zahlen zu den einzelnen Arten schwanken jedes Jahr stark, je nach Nahrungsangebot und Umweltbedingungen. Im vorletzten Sommer war die starke Hitze für Mauersegler ein großes Problem. Für die Jungtiere war es in den Nestern zu heiß, sodass viele den Nistplatz verlassen haben, obwohl sie noch nicht fliegen konnten. Unter den Säugetieren sind Igel und Eichhörnchen unsere häufigsten Patienten, gefolgt von Fledermäusen.

Welches Tier behandeln Sie aktuell?

Gerade haben wir einen Höckerschwan mit Oberarmbruch in der Klinik, den wir chirurgisch versorgt haben. Die Verletzung heilt sehr gut, in wenigen Wochen kann das Tier wieder frei gelassen werden. Außerdem behandeln wir ein Habicht-Männchen, das mit einem gebrochenen Flügel zu uns kam. Wir rechnen damit, es Mitte Januar wieder in die Freiheit entlassen zu können. Das Tier wird gut auf die Auswilderung vorbereitet: Wir entlassen den Habicht gut gesättigt, damit er nicht gleich am ersten Tag auf eigene Beute angewiesen ist.

Zu welcher Jahreszeit landen besonders viele Tiere auf Ihrem Behandlungstisch? Und warum?

Von Frühjahr bis Anfang Herbst werden besonders viele Wildtiere in die Klinik gebracht: Zugvögel kommen zurück, Jungvögel machen erste Flugversuche und verunglücken. Die ersten Boten des neuen Jahres sind meist verletzte junge Waldkäuze, die häufig schon im März eingeliefert werden. Zum Ende einer Saison kommen oft flügge Habichte, die sich bei ihren ersten Jagdversuchen verletzt haben. Greifvögel kollidieren immer wieder mit Autos oder Fensterscheiben, das führt zu Knochenbrüchen. Etwa zwei Drittel der Tiere können wir geheilt entlassen.

Wie kommen die Tiere zu Ihnen?

Manchmal bringen Privatpersonen, die etwa einen verletzten Vogel gefunden haben, das Tier selbst zu uns. Andere melden sich bei der Feuerwehr, der Polizei oder dem Berliner Naturschutzverband NABU, die die gefundenen Tiere dann in die Klinik bringen.

Das Berliner Abgeordnetenhaus unterstützt Ihre Arbeit in den nächsten zwei Jahren mit 100.000 Euro jährlich. Wofür werden Sie das Geld verwenden?

Mit diesem Geld werden die Materialien und die Leistungen für die tiermedizinische Versorgung sowie die Unterbringung und Fütterung der verletzten Wildtiere sichergestellt. Die Versorgung eines Tieres kostet uns etwa 100 Euro – mit der Unterstützung durch den Senat ist also ein Großteil der Kosten gedeckt, worüber meine Kollegen und ich uns sehr freuen.

Gibt es auch „Exoten“, die eingeliefert werden?

Berliner „Exoten“, die wir im Grunde jedes Jahr sehen, sind die Wanderfalken vom Alexanderplatz. Die Tiere brüten dort fast jedes Jahr, und die noch unerfahrenen Jungtiere fliegen häufig gegen Fensterscheiben. Die Bruchpiloten sitzen dann benommen am Boden, werden so gefunden und zu uns gebracht. Meist haben sie nur eine leichte bis mittlere Gehirnerschütterung, sind nach wenigen Tagen wieder munter und können am Alexanderplatz freigelassen werden.

Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Das Berliner Seeadlerweibchen, das im Januar 2009 zu uns in die Klinik gebracht wurde. Es war das Weibchen des damals einzigen Seeadlerpaares in Berlin, und ein Förster hatte es geschwächt auf einem Waldweg gefunden. Das Tier hatte eine Bleivergiftung erlitten, weil es über die Nahrung bleihaltige Munitionsreste aufgenommen hatte. Leider ist das Seeadlerweibchen trotz intensiver Pflege gestorben – deswegen gab es 2009 auch keine erfolgreiche Berliner Seeadlerbrut.

Kommen auch Nicht-Berliner-Patienten in Ihre Klinik?

Die Intensität der tiermedizinischen Versorgung von Wildtieren in Berlin ist einzigartig in Deutschland, vielleicht sogar in Europa. Darum werden einige Arten wie der Seeadler auch aus anderen Bundesländern zu uns gebracht. Wir hatten schon einen Schreiadler aus Malta bei uns. Das kommt wiederum unseren Studierenden zugute, die in der Ausbildung einiges über Wildtiere erfahren. Wir sind außerdem Ansprechpartner für andere Wildtierstationen aus Deutschland.

Die Fragen stellte Verena Blindow.