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„Europa als Errungenschaft und nicht als Strafe“

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und sein französischer Amtskollege Pierre Moscovici diskutierten an der Freien Universität über die Zukunft Europas

08.05.2013

Diskutierten an der Freien Universität über die Zukunft Europas: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und sein französischer Amtskollegen Pierre Moscovici.

Diskutierten an der Freien Universität über die Zukunft Europas: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und sein französischer Amtskollegen Pierre Moscovici.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Mehr als 500 Interessierte verfolgten die Diskussion im Hörsaal.

Mehr als 500 Interessierte verfolgten die Diskussion im Hörsaal.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Der Politikwissenschaftler Prof. Thomas Risse (li.)  moderierte die Veranstaltung.

Der Politikwissenschaftler Prof. Thomas Risse (li.) moderierte die Veranstaltung.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Wie kann in Europa die richtige Balance zwischen Sparen und Ausgeben, zwischen Haushaltskonsolidierung und Wachstumsanreizen aussehen? Innerhalb der Europäischen Union herrschen darüber recht unterschiedliche Auffassungen. Bei einer Diskussion mit Studierenden an der Freien Universität zum 25-jährigen Jubiläum des deutsch-französischen Finanz- und Wirtschaftsrates demonstrierten die Finanzminister Frankreichs und Deutschlands, Pierre Moscovici und Wolfgang Schäuble, dagegen beinahe freundschaftliches Einverständnis.

Auf französischer und deutscher Seite herrscht Einigkeit darüber, der historischen Verantwortung gerecht werden zu wollen, die weit älter ist als der 1988 ins Leben gerufene Finanz- und Wirtschaftsrat: Dort verpflichten sich Artikel 1 des Vertrages zufolge beide Nationen dazu, die Wirtschaftspolitik ihrer Länder zu harmonisieren und sich in internationalen Finanz- und Wirtschaftsfragen anzunähern.

Moscovici betonte, dass die Grundlagen einer deutsch-französischen Zusammenarbeit deutlich länger zurücklägen, nämlich exakt 50 Jahre. Damals, 1963, besiegelten Konrad Adenauer und Charles de Gaulle einen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag, den sogenannten „Elysée-Vertrag“.

Peter-André Alt, Präsident der Freien Universität Berlin, begrüßte die beiden Finanzminister im Hörsaal und wies auf die Tradition der Freien Universität als Begegnungs- und Diskussionsstätte zwischen Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft hin sowie auf die engen Kooperationen des Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft mit französischen Wissenschaftseinrichtungen. So werden gemeinsam mit der renommierten französischen Universität Science Po zwei Doppel-Masterstudiengänge in Berlin und Paris angeboten.

Der französische Sozialist und der deutsche Christdemokrat sprachen immer wieder von den gemeinsamen Interessen Deutschlands und Frankreichs, von dem Respekt füreinander, und dass es gerade unter befreundeten Nationen darum gehe, voneinander zu lernen. Dass das Überwinden vorhandener Divergenzen nicht bedeute, eigene Positionen aufzugeben, darin waren sich Moscovici und Schäuble ebenfalls einig. „Wir haben uns gegenseitig versichert, dass wir nicht die Partei des anderen wählen würden“, sagte Moscovici.

Wie lässt sich Vertrauen in den Euro zurückgewinnen? Wie bringt man Unternehmen dazu, angesichts niedriger Zinsen in der Eurozone Investitionen zu tätigen? Moscovici sprach von neuen Instrumenten, die Anreize schaffen und Wachstum fördern sollen, von einer Bankenunion, die auch Schäuble zügig auf den Weg bringen will, und von der beide erwarten, dass man Risiken künftig besser antizipieren könne.  

„Die Eurozone muss das Herzstück eines europäischen Wachstumsraumes sein“, sagte der französische Finanzminister und betonte, dass die Staatsausgaben in Europa nur in den Griff zu bekommen seien, wenn man glaubwürdig agiere: „Wir müssen verhindern, dass aus Finanzkrisen Staatskrisen werden.“

Moscovici bezog sich auf das jüngste Beispiel Zypern, das am Image der Eurozone gekratzt hätte. Er und sein Parteikollege, der französische Staatspräsident Francois Hollande, stehen im eigenen Land selbst unter Druck: Sie werden auch von deutscher Seite gemahnt, ihren Haushalt zu konsolidieren und Strukturreformen à la „Agenda 2010“ auf den Weg zu bringen, während die Mehrheit ihrer sozialistischen Wähler von ihnen eher Stärkung denn Abbau des Sozialstaates erwartet. „Strukturierte Reformen sind die Voraussetzung für Wachstum“, sagte Moscovici und versprach, den französischen Staatshaushalt zu konsolidieren.

Wolfgang Schäuble wies auf die Erfolge hin, die der Zusammenschluss von anfangs sechs und heute 27 eigenständigen Nationalstaaten vorzuweisen habe. Schäuble ermunterte dazu, die richtigen Lehren aus der Finanzkrise zu ziehen und sprach von einer „effektiven Regulierung der Finanzmärkte“. Europa sei eine „Schicksalsgemeinschaft mit einer gemeinsamen Vergangenheit“. Für Moscovici ist es essentiell, dass „Europa als Errungenschaft und nicht als Strafe“ wahrgenommen werde.

In der anschließenden Diskussion mit Studierenden wurden Zweifel an der immer wieder betonten Einigkeit beider Politiker laut. Moscovici entgegnete darauf, dass es doch normal sei, dass sie nicht an eine Universität kämen, um Parteipolitik und Wahlkampf zu machen. Auf die Frage eines Studenten nach dem negativen Deutschlandbild in Europa, sagte Schäuble, dass es ihn mit Sorge erfülle, dass die deutsche Haltung in der Finanzkrise Anlass für eine solche Wahrnehmung sei. Von einem „deutschen Europa“ könne allerdings keine Rede sein. Man müsse Ungleichgewichte in der Gemeinschaft berücksichtigen und je nach wirtschaftlicher Situation Staatsverschuldung abbauen.

Sein französischer Amtskollege ergänzte, dass Europa nun einmal ein Kompromiss aus verschiedenen Kulturen sei, und dass das Image Deutschlands nicht anhand von Karikaturen bewertet werden sollte: „Wir wollen das Bild einer starken deutsch-französischen Freundschaft im Kopf haben.“ Auch wenn es schon so sei, dass Deutschland momentan im europäischen Fußball etwas zu oft gewänne.