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Vorsichtige Vandalen

Aktionsgruppe versteckt in der Philologischen Bibliothek kunstvoll gefertigtes Buch

15.02.2013

Klaus Ulrich Werner, Leiter der Philologischen Bibliothek der Freien Universität Berlin,  und Antje Salmann, Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste. Im Vordergrund: das handgeschriebene Werk der "Vorsichtigen Vandalen"

Klaus Ulrich Werner, Leiter der Philologischen Bibliothek der Freien Universität Berlin, und Antje Salmann, Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste. Im Vordergrund: das handgeschriebene Werk der "Vorsichtigen Vandalen"
Bildquelle: Jan Hambura

Der Buchrücken von „Goethe. Er konnte alles. Alles.“ mit der von den "Vorsichtigen Vandalen" gewählten Signatur: Pg 2073,5

Der Buchrücken von „Goethe. Er konnte alles. Alles.“ mit der von den "Vorsichtigen Vandalen" gewählten Signatur: Pg 2073,5
Bildquelle: Jan Hambura

Zwei Zufallsfunde der Philologischen Bibliothek: eine Rechnung für ein Buch von 1917 (oben) und eine „BVG“-Fahrkarte aus den 1930er Jahren (unten)

Zwei Zufallsfunde der Philologischen Bibliothek: eine Rechnung für ein Buch von 1917 (oben) und eine „BVG“-Fahrkarte aus den 1930er Jahren (unten)
Bildquelle: Jan Hambura

Ein weiterer Zufallsfund: eine Einladung zur „traditionellen Weihnachtsmusik“ am 19. Dezember 1961 im Hamburger „Johanneum“-Gymnasium

Ein weiterer Zufallsfund: eine Einladung zur „traditionellen Weihnachtsmusik“ am 19. Dezember 1961 im Hamburger „Johanneum“-Gymnasium
Bildquelle: Jan Hambura

Menschen vergessen manches in Büchern: Abholzettel, Lesezeichen, Rechnungen, Liebesbriefe. Als jedoch in der Philologischen Bibliothek der Freien Universität  ein kunstvoll gefertigtes Buch hinterlassen wurde, war das ein Novum. Das handgeschriebene Werk wurde von einer Künstlergruppe – den „Vorsichtigen Vandalen“ – erstellt und trägt den Titel „Goethe. Er konnte alles. Alles.“.

Das meiste sind Zufallsfunde. Schließlich haben die Mitarbeiter der Philologischen Bibliothek nicht die Zeit, alle Bücher der Bibliothek einzeln durchzuschauen. Anders sei es nur bei Büchern aus Nachlässen. „Wenn wir darin etwas finden, geben wir es natürlich zurück. Wir achten dabei sehr genau auf die Persönlichkeitsrechte“, sagt Klaus Ulrich Werner, Leiter der Philologischen Bibliothek der Freien Universität Berlin.

Handgeschriebenes Buch über Goethe ist ein besonderer Zufallsfund

Zu den Zufallsfunden zählen etwa ein Rabattgutschein über 20 Prozent für die „großen sonntäglichen Mittagstische für Studenten“ des mittlerweile geschlossenen  Steglitzer Restaurants „Doctor Knock“, eine Einladung zur „traditionellen Weihnachtsmusik“ am 19. Dezember 1961 im Hamburger „Johanneum“-Gymnasium sowie eine „BVG“-Fahrkarte aus den 1930er Jahren.

Und dann ist da das Buch „Goethe. Er konnte alles. Alles.“. Entdeckt wurde es von einer Mitarbeiterin der Bibliothek, aufgefallen war ihr das sonst nicht übliche Komma in der Signatur auf dem Buchrücken.

Für Klaus Ulrich Werner ist das Werk „einfach nur intelligent und kreativ.“ Der Umschlag habe etwas von einem Poesie-Album. „Die äußere Form zeugt von einer besonderen Wertschätzung für das Buch an sich“, sagt Werner. Ausdruck dieser Haltung sei auch, dass der Text handschriftlich verfasst worden sei. Auf jeder zweiten Seite des Buches steht ein Satz.

Den promovierten Germanisten Klaus Ulrich Werner begeistert besonders der Schluss: „Goethe hat Schiller erfunden“, steht auf der letzten Seite. Ein Satz, der Werner zufolge zum Denken anregt, da er an dem Mythos kratze, Goethe und Schiller seien gute Freunde gewesen.

Schließlich habe Goethe Schiller von Weimar an die Uni Jena weggelobt. Als kleine Spitze empfindet Werner auch die im Buch enthaltene Widmung „Für Schiller“. Und Antje Salmann, Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste in der Philologischen Bibliothek, bemerkt bei Sätzen wie „Goethe konnte seine Matrikelnummer auswendig“ sofort die Ähnlichkeit zu den Witzen über den US-Schauspieler Chuck Norris und seine übermenschlichen Kräfte.

„Vorsichtige Vandalen“ wollen nichts zerstören

Wie sich herausstellte, wurde das Buch bereits im Mai 2011 von den „Vorsichtigen Vandalen“ in die Philologische Bibliothek eingeschleust. Wer hinter der Gruppe steckt, die im Mai 2008 in Regensburg gegründet wurde und sich als „eine offene künstlerische Bewegung“ versteht, soll ein Geheimnis bleiben.

Über sich und ihre Philosophie schreiben die „Vorsichtigen Vandalen“ lediglich: „Vorsichtiger Vandalismus greift nicht permanent in den öffentlichen Raum ein und kann jederzeit wieder entfernt werden.“ Er zerstöre nichts und hinterlasse keine Schäden. Jeder könne mitmachen, müsse allerdings seiner Installation eine Post- oder Emailadresse hinzufügen, damit die Möglichkeit der direkten Reaktion gewährleistet werde.

Ob noch weitere versteckte Bücher auf die Mitarbeiter der Philologischen Bibliothek warten? Um diese Frage zu beantworten, nahm campus.leben per E-Mail Kontakt mit den „Vorsichtigen Vandalen“ auf. Die Antwort folgte prompt: „Wir haben zwar kein weiteres Buch in einer Bibliothek der Freien Universität versteckt, es gab aber noch weitere Installationen in und um die Freie Universität.“

Ein Beispiel dafür sei der „Koma-Patient“. So hieß eine Aktion vom Mai 2011, bei der eine Figur im Foyer der Silberlaube an ein piepsendes EKG-Gerät angeschlossen wurde. Die Installation musste jedoch wegen Sicherheitsbedenken nach rund 20 Minuten wieder abgebaut werden. „Es werden auf alle Fälle noch weitere Aktionen folgen“, schreiben die „Vorsichtigen Vandalen“:  Derzeit arbeite die Künstlerbewegung an einem „Vestival des Vorsichtigen Vandalismus“, das im Juli 2013 stattfinden soll.

„Goethe. Er konnte alles. Alles.“ steht jetzt in der Bibliothek

Mittlerweile steht das Buch „Goethe. Er konnte alles. Alles.“ wieder in der Philologischen Bibliothek. Thematisch beim „jungen Goethe“, so wie von den „Vorsichtigen Vandalen“ vorgeschlagen. „Wir haben das Werk regulär katalogisiert“, sagt Klaus Ulrich Werner. Es trage auch die von den „Vorsichtigen Vandalen“ gewählte Signatur: Pg 2073,5. Und nun auch den Vermerk, dass es sich bei dem Buch um ein Kunstwerk handelt.