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Die ägyptische Revolution verstehen

Bei einer Podiumsdiskussion des Kairoer Büros der Freien Universität sprachen Wissenschaftler über die Parallelen des Umsturzes in Ägypten und der deutschen Wende

16.05.2011

Wissenschaftler der Freien Universität Berlin und ägyptische Forscher sprachen in Kairo über die Parallelen des Umsturzes in Ägypten und der deutschen Vereinigung.

Wissenschaftler der Freien Universität Berlin und ägyptische Forscher sprachen in Kairo über die Parallelen des Umsturzes in Ägypten und der deutschen Vereinigung.
Bildquelle: Lennart Brand

Diskutiert wurde über die Entwicklung von sozialen Bewegungen zu politischen Organisationen, den Aufbau neuer Regierungsstrukturen und den Umgang mit dem Erbe des alten Regimes. Die Podiumsdiskussion, die das Verbindungsbüro Kairo der Freien Universität in Kooperation mit der American University in Cairo ausrichtete, war der Auftakt einer Veranstaltungsreihe, die die politischen Umbrüche in Ägypten und Nordafrika thematisiert.

Da einige der geplanten Themen auch nach dem Sturz Hosni Mubaraks noch mit großer Zurückhaltung behandelt werden, hatte die Podiumsdiskussion schon im Vorfeld viel Aufmerksamkeit erregt. Das Interesse an der Veranstaltung war groß: Fast hundert Zuhörer hatten sich in der prachtvollen Oriental Hall der American University zusammengefunden, um mit neun Wissenschaftlern ägyptischer und deutscher Institutionen über den Arabischen Frühling und seine Folgen zu diskutieren. Viele der zumeist jungen Teilnehmer waren selbst an den wochenlangen Demonstrationen auf dem Kairoer Tahrir-Platz beteiligt gewesen, die das Regime Mubaraks im Februar zu Fall gebracht hatten.

Während der Pausen tauschten sich die Zuhörer über ihre Erlebnisse während jener Tage aus: etwa die 19-jährige Studentin einer Privatuniversität, die mit ihren Kommilitoninnen für 18 Tage auf dem Tahrir-Platz kampiert hatte, der Professor, dessen Teilnahme an den Protesten das Ende seiner wissenschaftlichen Karriere hätte bedeuten können, und der erklärte Atheist, für den alles noch ein wenig schneller gehen könnte.

Chancen und Risiken für Ägypten

Die Beteiligung dieser Aktivisten und die zeitliche Nähe zu den Geschehnissen prägten auch die Debatte, in der Chancen und Risiken für Ägypten und die Region mit großem Engagement aufgezeigt und entwickelt wurden. Nachdem Forscher der American University und des Al Ahram Center for Strategic Studies die Hintergründe der Bewegung 25. Januar nachgezeichnet hatten, stellte Konrad Jarausch, Lurcy-Professor for European Civilization an der University of North Carolina at Chapel Hill und derzeit Gastprofessor an der Freien Universität Berlin, die Parameter dar, innerhalb derer der Untergang des DDR-Regimes 1989 vonstatten gegangen war.

Stefan Wolle, Historiker im Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität, nahm sich in seinem Vortrag über die Stasi-Akten eines Themas an, das in Ägypten nicht minder brisante Fragen aufwirft wie seinerzeit in Deutschland. Ausführungen ägyptischer Wissenschaftler zur Rolle der ökonomischen Verhältnisse und des Militärs im prä- und postrevolutionären Ägypten wurden ergänzt durch einen Rückblick auf die Geschichte der deutschen Revolutionen von Jochen Staadt – ebenfalls vom Forschungsverbund SED-Staat.

Abschließend skizzierte Monem Al Mashat, Professor an der Kairo Universität, den Weg zu den im September anstehenden ägyptischen Parlamentswahlen. Als nach dem Ende der Veranstaltung auf dem Campus weiter diskutiert wurde, bemerkte ein Teilnehmer, das Symposium sei einer jener seltenen Momente gewesen, in denen Wissenschaft auf Geschichte trifft.