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Schöne „Libelle“, hässlicher „Wutzelkrump“

Der Schriftsteller Raoul Schrott und der Psychologe Arthur Jacobs diskutierten in der Akademie der Künste über „Gehirn und Gedicht“

18.03.2011

Raoul Schrott und Arthur Jacobs stellten ihr Buch „Gehirn und Gedicht. Wie wir unsere Wirklichkeiten konstruieren“ vor, das gerade bei Hanser erschienen ist.

Raoul Schrott und Arthur Jacobs stellten ihr Buch „Gehirn und Gedicht. Wie wir unsere Wirklichkeiten konstruieren“ vor, das gerade bei Hanser erschienen ist.
Bildquelle: Gisela Gross

Prof. Dr. Winfried Menninghaus (links) vom Peter-Szondi-Institut für Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität führte in den Abend in der Akademie der Künste mit Raoul Schrott und Arthur Jacobs ein.

Prof. Dr. Winfried Menninghaus (links) vom Peter-Szondi-Institut für Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität führte in den Abend in der Akademie der Künste mit Raoul Schrott und Arthur Jacobs ein.
Bildquelle: Gisela Gross

Warum können wir uns in ein Buch versenken? Warum empfinden wir das Wort „Libelle“ als schön, „Wutzelkrump“ dagegen als hässlich? Raoul Schrott, österreichischer Schriftsteller und ehemaliger Samuel-Fischer-Gastprofessor an der Freien Universität, wollte wissen: „Was macht Sprache?“ Er diskutierte mit dem Psychologie-Professor Arthur Jacobs, der an der Freien Universität am Exzellenzcluster Languages of Emotion über die Verbindung von Sprache und Gefühl forscht.

„Ist das, was ich produziere, Schmarrn?“ Der Schriftsteller Raoul Schrott wiederholte auf dem Podium im Plenarsaal der Akademie der Künste am Pariser Platz jene Frage, die am Anfang seiner Beschäftigung mit Poesie und Hirnforschung stand. Die Suche nach Antworten hatte ihn zu Arthur Jacobs geführt, Professor am Arbeitsbereich für Allgemeine und Neurokognitive Psychologie am Exzellenzcluster Languages of Emotion der Freien Universität. „Gehirn und Gedicht. Wie wir unsere Wirklichkeiten konstruieren“ ist das 528-seitige Ergebnis des Dialogs zwischen dem Schriftsteller und dem Psychologen: „ein Programm in kaleidoskopähnlicher Montageform“, sagte Moderator Winfried Menninghaus, Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Freien Universität. Schrott liebe „die ganz großen Aufgaben“, fügte er hinzu – eine Anspielung auf dessen Neuübertragung von Homers „Ilias“ 2008, die eine heftige Kontroverse in den Medien ausgelöst hatte.

In elementaren literarischen Stilmitteln lassen sich neuronale Prozesse erkennen

„Früher dachte ich, Sprache sei die Grenze meiner Welt. Doch denken wir tatsächlich nur in Sprache?“, fragte Schrott auf dem Podium der Akademie der Künste. Metren und Metaphern sind sein schriftstellerisches Handwerkszeug, doch auch im Alltag, etwa bei Logos und Markennamen, werde die Wirkung von Bildern und Rhythmus in unserem Sprachgebrauch offensichtlich. Das Medikament „Viagra“, das Schrott zufolge nicht zufällig an die Niagarafälle erinnert, zeige, welche Assoziationen Namen und Lautfolgen hervorrufen könnten.

Durch die Zusammenarbeit mit dem Psychologen Jacobs erfuhr der Schriftsteller, dass Gedichtzeilen in der Regel immer etwa drei Sekunden lang sind und dass diese Zeitspanne exakt dem Drei-Sekunden-Takt unseres Gehirns bei der Informationsverarbeitung entspreche. Oder dass das visuelle Wortformareal im Gehirn ursprünglich Objekte identifizierte und damit etwa den Fluchtreflex auslöste. Im Laufe der Evolutionsgeschichte hatte es dann die Aufgabe übernommen, sprachliche Zeichen zu erkennen. Da dieses Areal besonders engmaschig mit anderen Gehirnbereichen vernetzt ist, könnte man sich als Leser in einen Text versenken und darin versinken.

Was geschieht beim Lesen und Verstehen von Texten im Gehirn?

„Wörter aktivieren neuronale Netzwerke“, erklärte Jacobs. Wie schnell das Gehirn Wörter erfasst, demonstrierte er dem Publikum, indem er nach und nach Bruchstücke eines Wortes auf dem Beamer erscheinen ließ. Die Buchstabenfolge SUCHT wurde lesbar, der „lexikalische Zugriff“ erfolgt, doch der Leser müsse je nach Kontext noch entscheiden, ob er die Zeichen als Verb oder Substantiv zu verstehen habe.

Mithilfe empirischer Studien kann Arthur Jacobs nachweisen, dass Texte Reaktionen in beiden Hirnhälften hervorrufen, also auch ästhetische Empfindungen und Emotionen wecken. Viele Fragen sind noch offen, etwa wann und warum wir ein Gedicht als wohlklingend empfinden. Und welche Rolle dabei unsere Muttersprache spielt.

Die Geheimnisse der Sprache, die trotz hochmoderner Analyse-Methoden noch nicht gelüftet sind, lassen Raum für Poesie – und für weitere Forschungsarbeiten am Exzellenzcluster.