Springe direkt zu Inhalt

Die Geschichte sprechen lassen

Der italienische Historiker Professor Carlo Ginzburg hielt einen geschichtstheoretischen Vortrag an der Freien Universität

16.02.2011

Professor Carlo Ginzburg sprach an der Freien Universität  über Ansprüche und Methoden der Geschichtswissenschaft.

Professor Carlo Ginzburg sprach an der Freien Universität über Ansprüche und Methoden der Geschichtswissenschaft.
Bildquelle: Jennifer Lohr

Wie verhält sich die Sprache des Historikers zur Sprache derjenigen, über die er schreibt? Und über welche Kunstfertigkeiten muss ein Historiker verfügen, um Vergangenes adäquat aufarbeiten und beschreiben zu können? In seinem Vortrag „Our Words and Theirs. A Reflection on the Historian's Craft Today“, die vom Italienzentrum der Freien Universität und dem „Centre Marc Bloch“ organisiert wurde, sprach Professor Carlo Ginzburg von der Scuola Normale Superiore in Pisa über Ansprüche und Methoden, die es in der Geschichtswissenschaft zu wahren und zu erarbeiten gelte.

Wenn ein Historiker über die Vergangenheit forscht, stellt sich ein zweifaches Problem: Erstens sprechen er und seine Wissenschaftlerkollegen bei der Analyse der Geschichte eine „eigene Sprache“. Der „Akteur der Geschichte“ als Forschungsgegenstand benutzte aber womöglich eine ganz andere, sodass der Historiker gelegentlich zum Übersetzer wird.

Zweitens entwickelt der Wissenschaftler, um Geschichte begreifbar zu machen, allgemeine methodische Konzepte, die allerdings immer wieder anpasst und abgeändert werden müssen, um der jeweiligen Forschungsthematik gerecht zu werden.

Ob nun „Akteur der Geschichte“ oder vermittelnder Wissenschaftler: Beide suchen nach einer spezifischen Sprache, die ein Ereignis fassbar und erklärbar macht. Doch welche „Sprache“ ist angemessen, um ein Phänomen zu erklären? Welche Ansätze und Methoden beschäftigen derzeit die Geschichtswissenschaftler? Und ab wann entfernt sich die Wissenschaft in ihrer Strenge möglicherweise sogar vom Kern des Problems?

Die „language of mathematics“ und die des „everyday life”

In seinem Vortrag nahm Carlo Ginzburg auf Galileo Galilei Bezug, der in seinen Reflektionen über die Natur streng mathematisches Formulieren als Methode forderte, um die Natur beschreibbar zu machen. Wie aber verhält es sich in Bezug auf das „Studium der menschlichen Angelegenheiten“, beispielsweise die Geschichtswissenschaft?

„Die Sprache der Geschichte“, so Ginzburg, müsse eine „human language“, eine Sprache des „every day life“ sein. Mitunter zwar von statistischen Methoden und Zahlen gestützt, könne schließlich trotzdem nur die Alltagssprache das komplexe Phänomen der „menschlichen Handlungen“ einfangen.

Historiografie und Aktualität

Schon der französische Historiker Marc Bloch analysierte die Rolle und Funktion, die die Sprache innerhalb der geschichtswissenschaftlichen Forschung spielt. Carlo Ginzburg widmete Blochs Überlegungen hohe Aufmerksamkeit, ganz besonders dessen 1941 entstandenem Text „Apologie der Geschichte oder der Beruf des Historikers“. Hier wird Geschichte nicht als Wissenschaft der Vergangenheit beschrieben, sondern als "science of men in time".

Auf die Perspektive kommt es an

Bei der Erforschung soziokultureller Strukturen führen verschiedene Blickwinkel zu verschiedenen Ergebnissen. Besonders interessierte Ginzburg hier die Spannung zwischen einer „emischen“ und einer „etischen“ Herangehensweise nach Kenneth Pike: „Emisch“ als Versuch, „von innen heraus“, die Besonderheiten eines kulturellen Gebildes zu verstehen – „etisch“ als der Blick „von außen“.

Beide Zugangsweisen liefern wichtige Erkenntnisse für den Prozess der geschichtswissenschaftlichen Wahrheitsfindung, und es zeigt sich, dass es nie nur eine einzige Betrachtungsweise der Geschichte geben kann und wird.

Keine Methode ist absolut

„Keine Methode kann uns letztlich gänzlich vor Fehlern bewahren“, sagte Ginzburg. Besonders wichtig sei es, sich mit wachen Augen einem Forschungsgegenstand zu nähern, da kein „Methoden-Label“ je vollkommen anwendbar sein werde. „Und neue Generationen werden neue Fragen und neue Forschungswege entwickeln – so war es immer und so wird es auch in Zukunft sein.“